Mein "Eintritts-Senf"
**ro:
Deshalb nun meine Frage an euch Mitbürger in Bad Weisheit: Wie "wahr" sind Gefühle?
Nun, rein neurobiologisch sind Gefühle zu 100% wahr, werden sie ja einfach durch eine gewisse Hormonkombination hervorgerufen. Ganz arg simplifiziert sieht das so aus, dass ein Ungleichgewicht zwischen Dopamin und Oxytocin ein negatives Empfinden in Richtung "Trauer" bzw. "Depression" auslöst - in jedem Menschen (und ja ich weiß: Da sind noch hunderte, vielleicht tausende weiterer Neurotransmitter, Botenstoffe, Hormone und hormonähnliche Stoffe dran beteiligt, es ist eine sehr, sehr vereinfachte und eher bildhafte Darstellung).
Die Frage ist nun eher, wie wird dieses Ungleichgewicht ausgelöst und ist es gerechtfertigt?
Der Auslöser kann z.B. rein physische Ursachen haben, wenn etwa die Grundbausteine für die Stoffe im Körper fehlen oder die Körperchemie wegen Schlaf-, Licht- oder Bewegungsmangel nicht in Gang kommt. Ergo wäre das Gefühl "Traurigkeit" wegen dieser Auslöser nicht gerechtfertigt und damit "unwahr", weil gar keine objektiven Gründe für Trauer vorliegen - es fehlen lediglich die Stoffe im Körper, die für "fröhlich sein" wichtig sind.
Weiterhin kann ein Mangel auch psychisch ausgelöst werden - der Menschen "denkt" sich sozusagen in einen emotionalen Zustand hinein. Auch hier wäre kein zwingender Grund für "Traurigkeit" vorhanden, das empfundene Gefühl also "unwahr". Spannend daran ist übrigens, dass dieser Mechanismus auch in die andere Richtung funktioniert - mensch kann sich seine Gefühle bewusst selbst produzieren.
Erst wenn es einen objektiven Auslöser im Außen gibt und der Mensch (bewusst oder unbewusst) die Wahl trifft, sich dem passenden Gefühl wie z.B. Trauer hinzugeben, ist das Gefühl "wahr", weil passend und angemessen (das passiert meist unbewusst, ungesteuert - mensch wird von seinen wahren Gefühlen "übermannt").
Ich denke die Frage der TE ergibt sich aus der Beobachtung, dass es manchmal keinen objektiv passenden Auslöser gibt, das Gefühl aber dennoch entsteht und von der betroffenen Person ernsthaft empfunden wird.
Für eine Erklärung dieses Symptoms lohnt sich ein Blick in die Schmerzforschung: Von Phantomschmerzen in fehlenden Gliedmaßen hat man ja oft schon gehört, aber ganz spektakulär sind sich häufende Schmerzempfindungen z.B. beim Zahnarzt, obwohl die zu behandelnde Stelle definitiv und nachprüfbar betäubt ist - kratzt der Zahnarzt mit einem Stichel im Loch, bleibt der Patient völlig gelassen, berührt er dieselbe Stelle mit dem Bohrer, windet sich der Patient vor - eingebildeten - Schmerzen, die sein Botenstoff-System aber ganz brav als real übermittelt: Er fühlt einen "wahren" Schmerz, obwohl es keinen objektiven Auslöser dafür gibt.
Die Erklärung dafür liegt in der Phsyche des Menschen: Wir trainieren uns von Kindesbeinen an, in bestimmten Sitautionen bestimmte Gefühle zu produzieren, der eine intensiver, der andere weniger intensiv. Getreu der Erkenntnis "Mind shapes Body" wirkt hier der eigene Geist als unbewusster Trainer für Gefühlsreaktionen. Kleines Beispiel: Kinder, die bei kleinen Verletzungen immer wieder über die Maßen getröstet werden oder eine übertriebene Hysterie bei den Bezugspersonen erleben, sind als Erwachsene im Durchschnitt übertrieben wehleidig und übervorsichtig.
M.E. werden Gefühle dann als "wahr" empfunden, wenn sie in Art und Ausprägung zur Situation passen, wobei es natürlich einen Gradmesser gibt, der gesellschaftlich-kulturell geprägt ist und einen weiteren, der sich am eigenen, individuellen Gefühls-Spektrum orientiert.
Für den Menschen aber, der ein Gefühl erlebt, ist es zunächst mal "wahr", ob es nun objektiv zu der erlebten Situation passt oder nicht