„Ein menschliches Grundbedürfnis ist, sich vor Verletzungen und Schmerzen zu schützen. Ob einem die Schmerzen freiwillig oder unfreiwillig zugefügt werden, der Schmerz bleibt der gleiche.
Das Bedürfnis sich vor Verletzungen zu schützen ist sicher grundlegend, und wenn ich hier Bilder von Frauen sehe, die sich übelst zurichten lassen, wird mir auch etwas mulmig. Das scheinen mir aber eher Einzelfälle zu sein und kein allgemeiner Trend.
Schmerz hingegen ist in erster Linie ein Warnsignal des Körpers, und das Zusammenspiel von Nervenbahnen, Rezeptoren, Hormonausschüttungen und Verarbeitung im Gehirn ist hochkomplex. Da ist es durchaus ein Unterschied, ob der Schmerz von sexueller Erregung begleitet ist oder nicht. Es ist z.B. auch erwiesen, dass in Stresssituationen das Schmerzempfinden herabgesetzt ist und dass der Körper bei Schmerz Endorphine und Stresshormone produziert, um den Schmerz zu lindern und die Kampfbereitschaft zu erhöhen. Da entsteht ein Zusammenspiel von Reizen, das nicht so leicht analysierbar ist.
„Da will ich dann doch einhaken, weil diese Entwicklung doch ungewöhnlich intensiv sich entwickelt hat. Ich kann mir 50 shades nicht als Ursache dafür erklären. Das Buch/Film ist allenfalls ein Katalysator für eine Entwicklung, die aufgrund der Masse einen Auslöser haben muss.
Ich vermute den Grund darin, dass es dank Joyclub & Co. viel leichter geworden ist, an Informationen über das Thema zu kommen, darüber zu kommunizieren und passende Partner zu finden. So trauen sich viele Frauen das auszuleben, was früher im Reich der Fantasie blieb.
Eine andere These, die hier ja auch schon so ähnlich vermutet wurde: Die Soziologin Eva Illouz hat eine Schrift über "50 Shades of Grey" verfasst. Darin begründet den Erfolg des Buches damit, dass durch die zunehmende Individualisierung viele Menschen ein Bedürfnis nach festen Strukturen haben. Eine BDSM-Beziehung mit klarer Rollenverteilung verspricht die Erfüllung dieses Bedürfnisses, ist aber trotzdem individualistisch, sodass man nicht das Gefühl haben muss, in überwundenen patriarchalen Strukturen steckengeblieben zu sein. Eva Illouz sagt aber selbst, dass diese These zwar erklären kann, warum mehr Menschen von BDSM fantasieren, nicht aber auf BDSM im allgemeinen übertragbar ist, denn die Bedürfnisse und Beziehungsformen in diesem Bereich seien doch komplexer als das.
Und das würde ich persönlich unterstreichen: Ich habe ja erst vor ein paar Jahren angefangen meine Fantasien vom Unterworfensein auszuleben, und empfinde das als eine innere Befreiung, die mir sehr viel Kraft gibt. Auch dafür zum Beispiel, schwierige Situationen allein durchzustehen, in denen ich mich früher nach einer starken (männlichen) Schulter zum Anlehnen gesehnt hätte. Insofern besteht für mich persönlich keinerlei Widerspruch zwischen erotischer Unterwerfung und meiner Eigenständigkeit als Frau.