Burg Rabenstein
Die Burg thronte majestätisch auf dem hohen Granitfelsen und war weithin über den umliegenden Feldern und Viehweiden sichtbar. Als Wohnsitz der Familie Rabenstein und gleichzeitig Verwaltungszentrum ihrer Herrschaft über drei Dörfer wildreiche Wälder war sie schon seit Jahrhunderten der Hüter über die Gegend. Als die Ungarn gekommen waren, hatte ihnen Rabenstein trotzig die Stirn geboten. Und als die Könige um die Krone stritten und sich gegenseitig Burg um Burg entrissen, hatte Rabenstein den Widersachern widerstanden. Feind um Feind hatte sie zurückgeworfen und in die Knie gezwungen, und sie würde dies noch mehrere Jahrhunderte tun. Davon waren die Bauern der Umgebung überzeugt und schätzten ihre Herren wegen dieser Sicherheit.Graf Robert, ältester Sohn und Erbe des Rabensteiner Grafengeschlechtes war bei den Leuten als exzentrischer und strenger Herr bekannt, der meistens außer Landes war und dann, wenn er in der Burg weilte, nur sehr wenig Umgang mit den Menschen aus der Umgebung pflegte. Das Gesinde in der Burg war geteilter Meinung über ihn. Die einen beschrieben ihn als groben Gesellen, vor dem sie sich fürchteten. Andere meinten, er wäre ein gebildeter redegewandter Gentleman, der von vielen Ruhmestaten zu berichten wusste und dies auch gerne tat. Wie jeder zweite Edelmann im Land war auch Graf Robert auf jenen sagenhaften und blutigen Kreuzzug gegangen, der vor Akkon endete. Wie kaum ein anderer war er allerdings lebendig zurückgekehrt und hatte einige seltsame Dinge mitgebracht. Gewürze, Kleidungsstücke und Gebräuche, derentwegen ihn so mancher heimlich den „deutschen Sarazenen“ nannten. Niemals jedoch hätte es einer gewagt, dies in Gegenwart des Grafen zu tun, denn es hieß, daß der Graf nicht mit Züchtigungen sparte.
Dessen ungeachtet war es eine hohe Ehre, in der Burg eine Arbeit zu finden, egal wie anstrengend oder niedrig diese auch sein mochte. So pietätlos es sein mochte, aber wenn eine Magd im Kindbett verstarb, der Knecht vom Pferd totgetreten oder ein armer Wachsoldat vom Blitz erschlagen wurde, dann hielt sich die Trauer mit der Freude über die offene Stelle oftmals die Waage.
Julia hatte dieses Glück gehabt und pries den Zufall, der ihr die Gelegenheit beschert hatte, Dienstmagd in der Burgküche werden zu können. Die arme alte Grete – Gott sei ihrer Seele gnädig – war die Treppe hinuntergestürzt und hatte auf den Granitsteinen vor dem Weinkeller den Weg zu ihrem Schöpfer angetreten. Julia war nun seit fünf Wochen in der Küche und schuftete um ihr täglich Brot. Die Arbeit war anstrengend, eine regelrechte Schinderei. Sie putzte Kartoffeln, Karotten, Pastinaken, Rüben und Kohl, wusch Boden, Töpfe, Pfannen, Krüge – nicht unbedingt in dieser Reihenfolge – brachte den Eimer mit den Fleischabfällen zu den Hunden und bangte jedesmal darum, daß sie nicht selbst gefressen wurde. Die anstrengendste Arbeit aber war die ewige Wanderschaft zwischen Küche und den Speiseräumen von Herrschaft und Gesinde. Besonders bei Festen war hier die Hölle los, und sie konnte gar nicht schnell genug mit den Speisen eilen, daß nicht der eine oder andere wütend vor Hunger ein böses Wort verlor. Sieglinde, die zweitälteste der vier Küchengehilfinnen hatte diese Aufgabe vor Julia inne gehabt, und sie hatte ihr in farbenprächtigster Art von den Blasen an ihren Füßen erzählt, die sie sich täglich gelaufen hatte. Die steilen Treppen in die Gemächer, die finsteren gewundenen Gänge, die direkt von der Küche in die Speiseräume führten. Julia hatte aber recht rasch festgestellt, daß ihr die feuchte Kühle in den Gängen nicht unangenehm war. Im Gegenteil. Im Vergleich zur Hitze in der Küche und den intensiven Gerüchen aus all den brodelnden und zischenden Kesseln und dem Herd war die Stille der Verbindungswege eine willkommene Abwechslung.
Sie putzte gerade einen dreckverkrusteten Eimer und verlor sich in Gedanken bei dem Anblick der Torfwiese, der sich ihr gestern dargeboten hatte, als sie oben im Turm aus dem Fenster sah
„Julia!“ brüllte Alfred quer durch die verrauchte Küche. „Wo zum Teufel bist du?“
Der Koch war ein kleiner dicker Mann mit stets hochrotem Gesicht und einem Gemüt wie einer der qualmenden Dampfbottiche, in denen die weißen Leinen ausgekocht wurden. Er war stets auf irgendwen oder irgendwas wütend, und er wirkte, als könne er sich nur mit Mühe daran hindern, jemandem einen Arm abzubeißen.
„Ja, Herr!“ schrie sie aus der anderen Ecke der Küche zurück. „Hier!“ Sie kam eilig angelaufen und wischte sich die Hände an der Schürze ab.
Alfred knurrte und kniff die Augen zusammen. Dann deutete er auf einen kleinen irdenen Topf mit Deckel, der auf der Anrichte stand. „Das da!“ grunzte er barsch. „Nach oben tragen. Flott! Flott!“ Er klatschte in die speckigen Hände, daß es laut von der Küchendecke widerhallte „Und ja nicht! ….“ Er wedelte mit dem Finger vor Julias Nase herum, wobei er nach oben sehen musste. „Ja nicht fallenlassen, du Tollpatsch! Kapiert?“
„Ja Herr“ sagte sie eifrig und griff nach dem Topf.
„NEIN!“ er packte sie an der Hand und hielt sie davon ab, den Topf anzufassen. „Das ist heiß, du dummer Trampel! Willst du dich verbrennen?“
„Oh“
„Siehst du nicht, daß das qualmt?!“
Sie sah zu Boden. „Nein, Herr.“
„Nimm verdammt nochmal ein paar Lappen! Und jetzt flott! Flott!“
Er wedelte mit den Händen. „Weg mit dir“
Julia nahm Leinen und wickelte es um die kleinen Henkelchen. Was immer der Koch darin zubereitet hatte, duftete verführerisch. Aber es war auch höllisch heiß. Wie er gesagt hatte, qualmte es heftig. Wie aus einem Weihrauchfass. Sie setzte sich in Richtung der kleinen Holztür in Bewegung. Schwungvoll. Ein bisschen zu schwungvoll. Was er ihr nicht gesagt hatte war, daß der Inhalt flüssig war, und daß der Topf bis zum Rand voll war mit dieser siedendheißen Flüssigkeit.
Ein bisschen was davon spritzte durch die Löchlein im Deckeln und auf ihre Hand. Julia schrie auf und ließ den Topf fallen. Er zerplatzte auf dem Boden und spritzte seinen heißen Inhalt in alle Richtungen. Wie durch ein Wunder blieb sie von dem Schwall verschont.
Alfred stand der Mund offen. Einen Moment lang konnte er gar nicht sprechen, dann wurde sein Gesicht so dunkelrot, wie sie es niemals zuvor gesehen hatte.
„DU VERDAMMTE, NUTZLOSE GÖRE!“ brüllte er zornig. „SIEH NUR, WAS DU ANGESTELLT HAST!“
„Ja Herr“ murmelte Julia und sah zu boden. Was Besseres fiel ihr nicht ein.
Alfred schäumte. Sie rechnete damit, daß er ihr jeden Moment eine schallende Ohrfeige versetzen würde, oder Schlimmeres. Aber nichts dergleichen geschah. Sie konnte sich auch nicht daran erinnern, daß er jemals handgreiflich geworden wäre.
Musste er auch nicht.
„KOMM MIT!“ stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
„Herr…“
„KOMM MIT!!!“ wiederholte er laut und stieß sie in Richtung der Tür. „Vorwärts! Und Ihr!“ er drehte sich zu den anderen beiden jungen Frauen um, die gerade in der Küche ihren Dienst versahen. „Ihr macht das weg!“
„Ja Herr“ sagten sie wie aus einem Munde. Sieglinde eilte bereits nach einem Wischmop. Elvira holte einen Eimer.
„Herr… bitte…“ stammelte Julia. Ihr schwante Übles. So anstrengend die Arbeit auch war, sie wollte den Dienst in der Burg nicht verlieren. Es war eine besondere Anstellung. Besser als auf dem Feld krumm zu werden, oder bei schlechtem Licht zu nähen, flechten oder spinnen und langsam zu erblinden. Magd bedeutete, irgendwann Köchin werden zu können, selbst Gesinde zu beaufsichtigen und etwas zu sein und zu haben. Alfred durfte sie nicht aus der Burg werfen lassen. Das hatte sie nicht verdient.
„Halt den Mund!“ knurrte der kleine Koch unwirsch und stieß sie weiter in Richtung Treppe. Die linke führte nach oben ins Gemach der Burgverwaltung. Dort saß Winfried, der Vogt. Ein Wort von Alfred zu Winfried, und Julia flöge von der Burg.
„Weiter!“
„Ich kann doch nichts dafür, Herr!“ flehte sie, und Tränen traten in ihre Augen. „Es war heiß, ich habe mich verbrannt.“
„Du Tölpel hast einen guten Tontopf zerstört und ein edles Kräutergericht auf dem Boden verteilt“ zischte Alfred
„Aber, Ihr habt mir doch nicht gesagt, daß es eine Suppe ist. Eine Suppe trage ich vorsichtig. Suppen kenne ich.“ Sie versuchte ihn anzublicken und musste sich dazu ein bisschen verrenken, damit es nicht von oben herab wirkte. Es war schwer, dem kleinen Koch angemessen respektvoll zu begegnen. Aber er war nun mal der Küchenchef und Mundschenk. Sein Wort hatte Gewicht.
„Eine Suppe, ja?“ er grunzte abfällig, schien aber etwas zu Besinnung zu kommen.
„Es tut mir sehr leid“ sagte Julia nochmal.
„Leid tun reicht aber leider nicht“
„Bitte lasst mich nicht von der Burg werfen“ flehte die Magd, „ich …. Mache es wieder gut, wenn ich kann“
Es war ihr tatsächlich ein paar Mal passiert, daß etwas kaputt ging oder auf dem Boden landete. Das war nie zu vermeiden. Aber einen ganzen Topf … das war ihr noch nie passiert. Sie war selbst noch ganz geschockt.
„Pffft…“ der Koch blieb stehen. „Ihr jungen Leute habt überhaupt keine Disziplin“ er schüttelte den Kopf, „WAS SOLL ICH BLOSS MIT DIR ANSTELLEN, WENN DU IMMER ALLES FALLEN LASST!?“ Er bekam wieder einen zornroten Kopf und packte Julia beim Arm.
„Von der Burg werfen lasse ich dich nicht, aber du wirst dir für die Zukunft merken, daß du mit ALLEM, was ich dir gebe umzugehen hast, wie mit einem rohen Ei!“ Sie gingen dir rechte Treppe hinunter und aus dem Hauptgebäude.
Julia blinzelte die Tränen weg und war erstmal froh, daß sie weiter Magd sein durfte. „Was macht ihr mit mir?“
„Wirst du gleich sehen“