Aber ist damit im Szene-Sprachgebrauch nicht eher gemeint, dass ein Reaktionsfetischist Lust aus der Lust seines Gegenübers zieht?
In den Webforen der letzten 10 Jahre ist diese Interpretation häufig zu lesen.
(Ich bringe damit die erste Post-Hype-Phase der SZ um etwa 2006/7 in Zusammenhang, als diese von "Interessierten" überschwemmt wurde.)
Sie ist allerdings das krasse Gegenteil der allgemeinen (=Rest der Welt), insbesondere der psychologischen Definition.
Genauer:
Sadomasochismus wird allgemein so verstanden, dass der Masochist durch das Handeln seines Partners Qual empfindet. Punkt.
Diese Qual kann er in Lust/Erfüllung/Befriedigung umsetzen; dies ist die Besonderheit des Masochisten.
In der neueren Online-Interpretation wird erst erst einmal der "Zwischenschritt" des Quälens übersprungen, also, aus dem Handeln folge direkt die Lust, und in einem weiteren Schritt die Qual ganz untersagt, es dürfe also nicht zur Qual/Leid/Schmerz kommen, sondern das sadistische Handeln müsse direkt zur Lust des Masochisten führen.
Daraus wiederum leiten sich Aussagen ab wie "der Sadist zieht seine Lust aus der Lust des Masochisten".
Das ist Neusprech, Quark, Unsinn.
Es gibt natürlich Menschen, die genaus so handeln, denken, fühlen (sie ziehen ihre Lust aus der des Partners) - nur, das ist eben nicht Sadismus, nicht Masochismus und auch nicht Sadomasochismus.
Selbstüberwindung z. B. eines Marathonläufers auch dessen Masochismus bedienen kann. Ich glaube, es gibt Menschen, die eine sehr große Fähigkeit zur Selbstüberwindung haben – sei es, weil sie das unangenehme Gefühl, das es zu überwinden gilt, relativ leicht ausblenden bzw. umwandeln können; sei es, weil die verheißene Belohnung einen derart starken Reiz ausübt.
Ein Mensch, der ein Ziel vor Augen hat, dieses hoch bewertet und dafür auch erhebliches Leid/Anstrengung/Entbehrung auf sich nimmt, ist deswegen nicht masochistisch.
Der Unterschied ist der Zweck: Der Zielstrebige will den Marathon bestehen, den Berg bezwingen oder die Wüste durchqueren und leidet dafür. Beim Masochisten ist es genau umgekehrt: Er sucht Leid für seine Befriedigung und nutzt dazu Mittel wie den Marathonlauf oder die Bergbesteigung.
Um das von aussen zu unterscheiden, muss man meist sehr genau hinschauen.
Sadismus sich selbst gegenüber
Masochisten suchen nmE wie in der Theorie immer die gezielte Handlung eines Gegenübers, nicht den Schmerz an sich. Autonom, ohne ein Gegenüber also, sich selbst Qualen als Selbstzweck auszusetzen, das ist selbstverletzendes bzw. selbstschädigendes Verhalten.
Es gibt natürlich Überschneidungen der Motivationen bei ein und derselben Person.
Beim
neigungskompatiblen "Erfüllungsgehilfen"
stellt sich also die Frage, ob es vorrangig um die Verletzung selbst geht und das Gegenüber nur passendes Mittel zum Zweck ist, oder ob die Erfahrung des (passiven) Gequält-Werdens durch ein Gegenüber der Sinn und Zweck des Miteinanders ist.