Aurelia und die böse Königin - Part 2
Vor langer Zeit, als die Wälder noch im vollen Besitz der Natur waren, trug es sich zu, dass sich Serafina, die Königin, auf ihrer Stute und in Begleitung von der Jägertruppe, den Weg durchs Dickicht suchte. Die Kreaturen des Waldes beobachteten sie skeptisch aus ihren Verstecken. Serafina fluchte, als sie absteigen musste, um ihre Stute zu führen, wie schon etliche Male an diesem Tag. Der Jagdführer eilte sofort mit seinem Handbeil herbei, um der Königin den Weg freizuschlagen. Die Sonne war schon über den Zenit gezogen und sie hatten den ganzen Tag noch keine Rast eingelegt. So sprach der Jagdführer vorausschauend: “Lasst uns Halt machen bei der Lichtung da vorne!” Die Königin stimmte zu. Das tat sie nicht oft, jedoch schmerzten auch ihr die Lenden und sie sah ein, dass sowohl die Pferde als auch die Hunde erschöpft waren. Sie ließen sich nieder und stärkten sich, da fragte die Königin:
“Die sieben Gestalten, was sind das? Müssen wir auf der Hut sein?”
“Eure Hoheit, das sind Ausgestoßene, die in den Wäldern eine neue Heimat gefunden haben. Sie gleichen dem Wild. So lange sie sich nicht bedroht fühlen, werden sie Euch kein Leid tun.” gab ihr der der Jagdführer zur Antwort.
“Ausgestoßene, woher?”, wollte sie weiter wissen.
“Von Eurem Königreich, Hoheit.”, bekannte er.
“Ich habe in all der Zeit niemanden verbannt!”, schnaufte die Königin daraufhin empört.
“Verzeiht, Hoheit, nein, das habt Ihr nicht. Sie haben sich selbst entschieden zu gehen um nach ihrer Art zu leben.”, versuchte er sich mit dünner Stimme zu retten.
“Gesetzlose!”, rief sie aus und nickte. “Weiter geht’s!”
Drei Tage waren sie auf diese Weise unterwegs: langsam und beschwerlich, die Königin wurde zunehmend schlechter gelaunt. Es war der Abend des dritten Tages, als es schon dämmerte und sie sich in der aufkommenden Dunkelheit eine gute Stelle für das Nachtlager suchten, als sie plötzlich ein Licht entdeckten. Sie verfolgten das Licht und als sie näher kamen, da vernahmen sie fröhliche Musik, bekannte Melodien aus alten Tagen. Es war bereits völlig dunkel, als sie die Hütte erreichten, aus dem das Licht, die wohligen Töne und Aromen lecker duftender Speisen zu vernehmen waren.
Die Königin klopfte sich den Dreck vom Rock, zupfte sich die Blätter aus den Haaren, baute sich vor der kleinen grünen Türe auf und klopfte. Nichts. Mit dem Rücken ihrer Reitgerte schlug heftig auf die Tür PONG! PONG! PONG! Die Tür wurde aufgerissen und der Stiel traf das zierliche Menschlein mit der Fuchsmaske beinahe im Gesicht. “Ooooh”, stieß dieses mit einer hellen aufgeregten Stimme heraus. “Was für eine Überraschung! Hier hat noch nie jemand geklopft!” Aufgeregt fuchtelte es mit den Armen. Die Musik verstummte, man hörte das Klappern von Musikinstrumenten, die niedergelegt wurden und sogleich quetschten sich weitere maskierte Gesichter durch die Tür. Ein Reh, zwei Schweinchen, ein Wolf, eine Echse und eine Person ganz in schwarz sahen die Königin und ihr Gefolge mit großen, neugierigen Augen an. “Habt ihr Hunger? Ihr müsst Hunger haben!”, quickte das Fuchsmenschlein aufgedreht. “Pssst, warte!”, knurrte der Wolf skeptisch. “Wer ist da?” rief eine liebliche Stimme aus dem Inneren. Die Gestalten zogen ihre Köpfe aus der Tür und stattdessen erschien ein wunderhübsches Gothic Girl. Sie hatte langes, schwarzes, glänzendes Haar. Ihre Haut war kühl und bleich, ihre Lippen blutrot und sie hatte große, ausdrucksstarke, dunkle Augen. Sie trug ein schwarzes Korsagenkleid und feine schwarze Stiefel. Als sie die Königin vor sich sah, ging sie sogleich in einen sehr tiefen Knicks und sprach: “Meine Königin! Was für eine Ehre! Wie kann ich euch dienen?”
Die Königin jedoch reagierte nicht. Sie blieb erstarrt stehen. Sie war verblüfft über die ausgezeichnete Huldigung und sie war verzaubert von der Schönheit, die allerlei an Gefühlen auslöste: Anerkennung, Neid, Furcht, Entzücken! Und sie fragte sie sich, ob die Geschichten über Vampire womöglich doch mehr als nur Mythen seien. Denn wenn jemand auf der Welt einem Vampir glich, dann diese Schönheit! Die Königin fasste sich und sprach - merklich leiser als gewöhnlich: “Ich und meine Leute müssen essen und schlafen!” Die schöne Sissy-Prinzessin richtete sich auf, lächelte breit und einladend, sodass man ihre weißen Zähne durch die roten Lippen sah und jubelte: “Aber natürlich! Kommt nur alle herein!” So quetschen sich fünf Jäger, drei Hunde und eine Königin in die kleine warme Hütte zu der Prinzessin und den anderen Gestalten. Als alle irgendwie irgendwo einen Platz gefunden hatten, klatschte Prinzessin Aurelia in die Hände und rief: “Wer gibt sein Tellerchen ab für einen Gast?” “Ich!” fiepte das Füchslein sofort. “Die Königin kann mein Tellerchen haben! Ich habe schon gegessen!” Als sie ihr den Teller übergab, fragte sie staunend: “Bist du wirklich eine ganz echte Königin?” Die Königin kam nicht zum antworten, da schob schon der Wolf das Füchslein weg mit einem erneuten “Pssst!” Und noch bevor irgendwer etwas sagen konnte, appellierte Aurelia erneut: “Na? Wer ist so freundlich? Milo? Maxi? Dann dürft ihr auch ausnahmsweise vom Boden essen!” Mehr brauchte sie nicht zu sagen. Die Schweinchen eilten los, um ihre Teller zu holen. “Ausgezeichnet!”, lobte Aurelia und führte fort: “Auch ich gebe meinen Teller und zwei von euch können sich die Servierplatte teilen. So klappt es!” Gedünstete Pastinaken, Zwiebeln und Pilze wurden aufgetischt und dazu Giersch. Sogar den kostbaren Honigwein verschonte die Prinzessin nicht. Sie waren gesellig und fröhlich, manche tanzten, andere beschäftigten sich mit Schnitzereien oder häkelten und plauderten bis tief in die Nacht. Sie sollten einen ausgelassenen Abend haben, bevor es wieder ernst wurde. Die Königin wurde in das Bett der Prinzessin gebettet. In den Schlafkuhlen kuschelte sich das Füchslein an den Wolf, die Schweinchen aneinander, der Mann in Schwarz lag neben seinem Bettchen, darin die Prinzessin, das Reh bei der Echse. So wurden drei Plätze für die Jäger frei. Von den zwei übrigen Jägern lag einer auf der Sitzbank und der Jagdführer schlief sitzend auf dem Boden, um bloß nicht in allzu tiefen Schlaf zu sinken! Dann wurde es friedlich.
Am nächsten Morgen, voller neuer Energie wollte die Königin wissen: “Welchen Königreichs Prinzessin bist du, Liebes?” “Erkennt Ihr mich nicht, Hoheit?” entgegnet sie “Kennt Ihr noch Prinz Aurel, des Königs Sohn?” “Prinz Aurel! Der fortging um die Welt zu sehen und nicht mehr zurückfand!” “Ich habe sie hier gefunden!” Es war also der Königin Stiefkind. Die Königin brauchte einen kleinen Moment. Dann nahm sie eine Strähne der Prinzessin auf und fragte mit heruntergezogenen Mundwinkeln: “Aber Kind, wer hat dir das angetan?”
“Es war die Waldhexe. Weil ich mich hier um die Menschlein kümmerte, die sonst niemanden hatten. Da sprach sie: ‘Möge dein Äußeres schön sein, wie dein Inneres’- und so wurde das hier aus mir.. Sie hat mir auch Kleider gebracht und gezeigt, mit den Wildkräutern allerlei Gebräu herzustellen.”
“Wie rührend!”, entgegnete die Königin mit gerümpfter Nase. “Jedoch fürchte ich, dass das jetzt ein Ende hat. Du wirst mit mir zurückkommen müssen!” bestimmte sie. “Aber.. Hoheit, nein..” stammelte die Prinzessin. “Du hast Pflichten im Palast, Aurelia. Du bist das Eigentum des Königreiches. Es geziemt dir nicht, es im Stich zu lassen.”, mahnte die Königin streng. "Nein, Hoheit, das ist doch nie meine Absicht gewesen!, protestierte sie. Die Königin lächelte fürsorglich, berührte Aurelia am Arm und raunte ihr zu: “Sei ein gutes Mädchen und lass dich von mir deinen Pflichten zuführen. Wenn nicht ich, dann kommt die Königsgarde. Die wird diese Wilden verhaften, da sie dich hier gefangen gehalten haben. Das muss doch nicht sein.”
“Ja, Hoheit”, gab sie unter Tränen nach. “Ich wollte Euch niemals betrüben."
“Braves Mädchen, so ist gut! Wir brechen noch heute auf.” rief die Königin aus.
Sie konnte ihr Grinsen kaum verbergen. Es gefiel ihr gut, dass dieses bezaubernde Wesen so folgsam war.
Aurelia rannte zum Mann in Schwarz, und bedeckte ihn sogleich mit Tränen und Küssen. “Du wirst dich doch gut um alle kümmern, Raven?” schluchzte sie in seine Schulter. Mit tiefer, kratzender Stimme sprach er zum ersten Mal seitdem der Besuch da war: “Sei unbekümmert, Liebste, ich habe hier alles im Griff!”
Unter Tränen packte sie ihr Täschlein und knuddelte ihre Freunde durch, gab jedem einen Kuss auf den Kopf und war noch unter Tränen, als die Hütte hinter ihnen in der Ferne winzig klein wurde und verschwand.
Die Königin jedoch, die beim Hinweg so gar mürrisch gewesen war, grinste nun gedankenverloren in sich hinein. Die Gedanken an das, was kommen sollte, erfüllten sie mit böser Freude.