Zunächst ...
… war ich auf dem völlig falschen Dampfer als ich das Thema las und wollte schon antworten "Warum sind wir denn im BDSM, wenn nicht, um endlich wir selbst und ganz zu sein? Endlich nichts zurückhalten, endlich keine Rolle spielen, endlich so akzeptiert werden, wie man ist."
Doch dein Thema, liebe Marena, zielt auf die Grenzen ab und auch dieses Thema ist sehr spannend. BDSM lebt davon, dass Grenzen ausgelotet, angekratzt, ggf. erweitert oder sogar aufgehoben werden. BDSM geht mit persönlichen Entwicklungen einher, die in alle möglichen Richtungen gehen können. Oft in Richtungen, von denen man nie gedacht hat, dass man sie einschlagen könnte.
"Sei du selbst" heißt in diesem Sinne also zunächst einmal "Lerne, wer du wirklich bist und glaube nicht, das du morgen noch die (der) von gestern bist oder die (der) von morgen auch die (der) von übermorgen sein muss"
Aber es gibt schon Grenzen, die sind nicht einfach verrückbar, denn sie gehören zum wahren Selbst. Ich unterscheide deshalb zwischen vermeintlichen und tatsächlichen Grenzen. Ich fand das Thema deshalb so spannend, weil wir gerade auf so eine tatsächliche Grenze gestoßen sind. Diese Grenze war ein ehemaliges Tabu, das ich mit dem Verschenken meiner Person an meinen Herrn und Ehemann mit verschenkt habe. Ich bin 200 % hetero und habe absolut null bi-Neigung. Doch mein Herr wollte, dass ich mir auch die Freude an dieser Stimulierung nicht selbst verschließe und ich wollte ihm diese Spielwiese gerne öffnen. Mein Devotismus wollte das sooo sehr! Doch vor ein paar Tagen mussten wir den Versuch fürs erste einstellen, denn ich stürzte immer häufiger ab und dies schon allein bei Mindgames darüber. Meist Geist setzte jedes Mindgame in Realität um. Ich sah mich in der jeweiligen Situation und es wurde für mich zur Realität und dies, selbst wenn ich eigentlich wusste, dass er dies so auf absehbare Zeit nicht umsetzen würde. Das war egal. Wir haben lernen müssen, dass der Spielcharakter einer Session (nicht das, was wir jeden Tag leben) und auch das Spielen mit meinem Kopf über Mindgames bei mit der Persönlichkeit verbundenen Grenzen schwere Folgen für meine Psyche hat und nicht mit dem Abbau solcher Grenzen zusammenpasst. Wir werden das Thema wieder angehen, aber dann vermutlich komplett anders. Aber „Sei du selbst“ bedeutet in diesem Fall „Akzeptiere, dass du heute 200 % hetero bist und nichts daran ändern kannst. Vielleicht geht es morgen, aber heute geht es nicht!“
Besonders schwierig ist so etwas für den Dom (oder die Domina), denn er hat nun die schwierige Aufgabe zu erkennen, was eine vermeintliche und was eine tatsächliche Grenze ist, er muss rechtzeitig die Reißleine ziehen, ggf. Geduld mitbringen und auch einmal eine Pause einlegen, hat aber gleichzeitig auch die Aufgabe, seine Sub (oder seinen Sub) weiterzuentwickeln und an dessen Grenzen zu rütteln. Man kommt geprägt von der Gesellschaft und seiner Erziehung sowie mit den Päckchen, die man im Laufe seines Lebens angesammelt hat, zum BDSM. So viele Hemmnisse, die es der bzw. dem Sub erschweren sie bzw. er selbst zu sein. Eingeengte Vorstellung davon was richtig und falsch ist, was sein darf oder eben nicht. Vieles ist noch Ibah/Igitt und von noch mehr glaubt Frau und Mann, dass es nicht geht, nicht sein darf, bei ihr bzw. ihm nicht funktioniert … All dies versperrt den Weg zu sich selbst. Horizonterweiterung, Offenheit, die Fähigkeit Neues zu erfahren, zu akzeptieren und als zu einem selbst zugehörig erkennen, sind Dinge, die viele erst einmal lernen müssen. Der Dom bzw. die Domina sind die Menschen, die einen hier führen, anleiten und ggf. auch zum Glück zwingen. Eine sehr schwierige Aufgabe!
Aber auch anders herum wird ein Schuh draus. Auch der Dom bzw. die Domina müssen Ballast abwerfen, die ihre Prägung und Erziehung ihnen auf die Schulter geladen haben. Sie müssen sich von Klischees und vermeintlichen Regelwerken im BDSM lösen lernen. Sie müssen, genauso wie ihre bzw. ihr Sub, ihren eigenen Weg finden und lernen sie selbst mit ihren jeweiligen Bedürfnissen zu sein. Auch sie überschreiten Grenzen und müssen die immer wieder erweitern, bzw. erkennen und akzeptieren, dass es da Grenzen gibt, die verhindern, dass sie ihre bzw. ihren Sub bestmöglich führen können. Auch für sie gilt, dass es vermeintliche Grenzen gibt und tatsächliche. Auch sie verändern sich unter dem Einfluss von BDSM sowie im Zusammenspiel mit ihrer bzw. ihrem Sub. Daher gilt auch für sie: "Lerne, wer du wirklich bist und glaube nicht, das du morgen noch die (der) von gestern bist oder die (der) von morgen auch die (der) von übermorgen sein muss"
LG
Shania