"Danach" ist genau so wichtig wie "davor"
Ich kann LaGala nur zustimmen:
Wir sind alle nur Menschen. Und Dom`s wie Sub`s kann es gleichermaßen passieren, dass sie sich zu sehr mit- und hinreißen lassen von dem, was sie da gemeinsam mit einander "treiben".
So sehr beide Seiten auch vorher nach bestem Wissen und Gewissen in partnerschaftlicher und respektvoller Weise Signale (Codewörter, Ampelsystem etc.) mit einander abgestimmt haben: In der "Hitze des Gefechts" ist schon so mancher Dom über das Ziel hinaus geschossen, der das vorher für sich selbst kategorisch ausgeschlossen hätte.
Unnötig zu sagen, dass der dominate Part dann die in dieser einen Situation verlorene Selbstkontrolle mehr als nur bedauert. Nicht selten führt das zu gravierenden Selbstzweifeln, weil man(n)/frau (Domina) die Pflicht zur Rücksichtnahme auf den schwächeren Part in so eklatanter Weise verletzt hat. Soll ich die Büchse der Pandora lieber wieder schließen, noch bevor ich sie ganz geöffnet habe? Darf ich noch weiterhin Dom/Domina/Herr sein? Ist es gut für mich, für meine Sub? Für meine Umwelt?
Ähnliches gilt aber auch für die Sub-Seite. Dort ist die Situation sogar noch viel schwieriger, weil schon die Psychologie der Rollenverteilung für die Grundtendenz sorgt, sich jemandem und seinem Willen unterwerfen zu wollen - und selbstverständlich dabei unter Beweis stellen zu wollen, dass man(n)/frau eine "besonders" gute Sklavin ist, weil man(n)/frau besonders viel aushält...
Vielleicht gerät Sub aber auch selbst in einen solchen Lustrausch, dass sie gar nicht mehr mitbekommt, was sie da eigentlich mit sich machen lässt. Ganz fatal wird es, wenn Sub zu der Kategorie (pathologischer) masochistischer Menschen gehört, die ihre sexuelle Erfüllung erst dann erreichen, wenn man im medizinischen und auch juristischen Sinne ganz eindeutig von Körperverletzung sprechen muss...
Fazit: Beide BDSM-Seiten haben es nicht leicht. Bei zu viel Selbstkontrolle reduziert sich die Lust am Spiel - manchmal sogar so weit, dass es unerträglich, weil man sich nicht mehr fallenlassen kann. Und mal unter uns: Auch Dom`s müssen dass, um sich selbst im Spiel wieder zu finden. Leider dürfen Sie das eigentlich nicht, denn SIE haben die Verantwortung der Aktion.
Bei zu wenig Selbstkontrolle droht aber eine unzulässige Grenzüberschreitung.
Was also tun?
Wurde wirklich einmal der Grundsatz SSC (sane, safe consentual) unbewusst (!) überschritten, rate ich zu folgenden Maßnahmen:
1. Unmittelbares Session-Ende: Verarzten von Körer und Seele.
Das bedeutet konkret: Dom verarztet nicht nur fachmännisch eventuell entstandene körperliche Blessuren/Wunden, sondern massiert vor allem die Seele der Sub durch Liebe, Verständnis und zarte Streicheleinheiten. Ist dies angebracht, entschuldigt er/sie sich ausdrücklich für den entstandenen Kontrollverlust - dies aber ohne dabei in Selbstzerfleischung auszuarten. Wenn möglich, sollte Sub daraufhin zeigen, dass sie zwar angeschlagen ist, aber nicht zerstört wurde. Dies sollte sie aber ohne (verständliche) Wut, sondern möglichst neutral tun.
2. "Der Tag danach": Anlytisches Gespräch.
Keine Frage: Ein klärendes Gespräch ist absolut notwendig. Ich persönlich rate aber dazu, dies NICHT im unmittelbaren Anschluss an die missglückte Session durchzuführen, denn beide Seiten sind dann emotional noch zu aufgeladen, um klar denken zu können. Also trifft man sich am Besten erst 1 bis 2 Tage später auf "neutralem" Boden, um gemeinsam herauszufinden,
a) was schief lief,
b) was die individuellen Ursachen dafür auf beiden Seiten sein könnten,
c) wie so etwas in Zukunft verhindert werden kann.
Hierbei ist vor allem b) die Grundvoraussetzung für c). Vor (!!!) dem Analyse-Treffen sollten sich daher beide Seiten intensiv selbst befragen, was sie jeweils dazu getan haben, dass es überhaupt so weit kommen konnte. Jede der beiden Seiten trägt einen Teil der Verantwortung. Es ist notwendig, sich selbst darüber im Klaren zu sein, was der eigene Beitrag dazu war.
Das wirlich Schwierige ist dabei aber nicht "der Tag danach" - es ist die nächste gemeinsame Session, die mit großer Wahrscheinlichkeit von den vorangegangenen Ereignissen überschattet werden dürfte. Hierbei das verlorengegangene Vertrauen (auch und gerade in sich selbst) wieder aufzubauen, ist manchmal sicherlich nicht leicht.
Doch mit einander zu spielen lernt man nur im Spiel. Gleiches gilt für ein gegenseitiges "Sich-Verlieren" - nur wenn beide Seiten aktiv suchen, werden sie sich wieder finden. Es gibt dazu also keine Alternative - es sei denn, es wurde bei der "Unglücks-Session" so viel emotionales Porzellan zerbrochen, dass man sich trennt. Auch das kann manchml passieren.
Dann sollte man auseinander gehen wie erwachsene Menschen: In gegenseitigem Respekt, ohne Schuldzuweisungen. Auch wenn es schwerfällt, und die Theorie hier deutlich leichter fällt als ihre Umsetzung in die Praxis.
Abschließend gebe ich noch folgendes zu bedenken: Auch in Vanilla-Beziehungen werden Grenzen überschritten. Daher sollte man BDSM nicht generell als "pathologisches Gekloppe" verurteilen, nur weil es dort ebenfalls manchmal dazu kommt - dann zwar oft mit körperlich sichtbaren Spuren, aber das ist der einzige Unterschied, den ich ausmachen kann. Ich kann nur sagen: Körperliche Wunden heilen schneller als seelische. Und die holt man sich auch in Vanilla-Beziehungen.
Fahrenheit 451