„An manchen Tagen bin ich mutig, an manchen Tagen verunsichert, manchmal habe ich das Gefühl ich sollte umdrehen und mich mit Vanilla zufrieden geben. Meine Grenzen verschieben sich gefühlt gerade täglich in kleinen Bereichen, denn ich lasse vieles auf mich zukommen, dass ich eigentlich nicht "gesucht" habe.
[...]
Und nun kommt ihr liebe Gruppe, wie erging/ ergeht es euch beim Einstieg in diese Welt. Wie war von euch der Übergang vom Mensch mit unerfahrener Neugier zum Dom/ zur Sub.
Gab es auch Situationen in denen eure Gedanken und Gefühle euch übermannt haben (ausser halb einer Session) und wie seid ihr damit umgegangen?
Seid ihr allein in diese Welt eingetaucht oder hattet ihr einen Partner an dem ihr euch festhalten konntet?
Von den erfahrenen würde ich mir Wünschen, zu wissen wie es euch heute damit geht, wenn ihr an diese Einstiegszeit zurück denkt.
Guten Morgen liebe TE.
Ich möchte nicht auf deine Frage nach dem Wie des Einstiegs eingehen, denn der gestaltete sich bei mir sehr schleppend, da ich in meinen langjährigen, festen Beziehungen kein BDSM praktizierte, sondern nur in den kurzen Beziehungen dazwischen. Deswegen würde ich mich momentan auch nicht als erfahren bezeichnen, sondern als beginnend. Und so bin ich heute, mit fast 50, immer noch ganz am Anfang meines Weges zum Dom. Das Wie findet also gerade statt, mit meiner Schönen, die zum Glück devot ist (was wir vor dem Verlieben nicht wussten) und genauso verspielt und verrückt dabei wie ich.
Ich empfinde gerade die jetzige Phase als sehr schön, denn alles ist so neu, so ungewohnt, so aufregend. Diese Entdeckungsreise ist für uns beide ein Abenteuer, wie es schöner kaum sein kann (im sexuellen Bereich).
Worauf ich aber etwas intensiver eingehen möchte, ist deine Frage nach dem Gefühlschaos und der Unsicherheit auf diesem Weg, denn das geht mir ähnlich wie dir, denke ich.
Ich bin jemand, dem SM nicht so sehr am Herzen liegt. Ja, ich lege sie übers Knie und mag es, mal eine Nippelklemme anzubringen (oder auch zwei, haha), aber das ist eigentlich auch schon alles, was mich bzw. uns im Bereich SM reizt. Wir mögen es dagegen sehr, wenn ich sie auf anderem Weg quäle. D/s ist wohl unser Ding. Wenn ich sie fordere, indem sie in für mich sehr unterhaltsamen Spielen "abliefern" soll oder ich sie einfach nach Lust und Laune für meinen Lustgewinn oder -Abbau benutze.
Ein Beispiel ist das Vorlesen einer schönen Geschichte, wobei ich sie dann auch mal spontan zum Deepthroat zwinge, sie zwischen ihre Beine fasse, ihre erogenen Zonen reize (und ja, es ist von Vorteil, wenn Mann die kennt) und ähnliches. Für sie ist das sehr schwer, denn a) steht sie nicht gerne im Mittelpunkt und es ist ihr peinlich, so genau betrachtet zu werden, wie ich das bei ihrem Vorlesen tue, und b) reagiert sie sehr schnell und sehr intensiv auf mein Necken und Spielen, was das Vorlesen sehr erschwert, und was mich dann natürlich stört, denn ich möchte der Geschichte lauschen! Sie enttäuscht mich also vielleicht, und das gefällt wiederum ihr nicht. Ach, ist das alles schwierig!
So gibt es immer wieder Situationen in unserem Spiel mit BDSM (ich weiß, dass viele Doms jetzt die Nase rümpfen, weil ich das ein Spiel nenne. Who cares, wie ich das nenne?), in welchen sie oder ich oder wir beide unsicher sind. Unsicher, wie wir in der Situation reagieren sollen, was der andere sich von uns wünscht oder gar erwartet, und unsicher, wie wir uns dabei fühlen sollten.
Wir sprechen immer wieder darüber, wie es uns gefällt, was es mit uns macht. Dabei stelle ich oft fest, dass ich auf der Suche nach meinem Weg durchaus auch etwas "rumeiere", in mancher Situation also sehr gefestigt in mir bin und genau weiß, was ich möchte, in anderen aber ausprobiere, experimentiere, unsicher werde und dann nicht klar genug fordere und führe. Ich frage mich manchmal, ob ich dominant genug bin, um sie wirklich führen zu können. Genug Sicherheit ausstrahle, gerade auch, wenn ich z.B. einige meiner Schwächen offenbare.
Eine dieser Schwächen zeigt sich momentan z.B. im beruflichen Umfeld. Ich eigne mir ein neues Aufgabengebiet mit deutlich mehr Verantwortung an, unter anderem bin ich zukünftig für den problemlosen Betrieb unserer Server und Software für mehrere Tausend Beschäftigte zuständig. Manchmal gibt es da einfach Redebedarf, wo meine Liebste, meine Sub, die sich doch eigentlich auf meine Standfestigkeit, auf meine Dominanz verlassen können sollte, merkt, wie ich mir unsicher ob dieser Verantwortung werde. Ich weiß, dass ich einen sehr guten Job mache, was mir auch bestätigt wird, und dass ich gut organisieren kann, und das alles spielt mir da natürlich in die Karten. Außerdem sollte man in einer Partnerschaft doch über alles reden können, über alle Sorgen und Nöte, oder nicht? Natürlich! Dennoch bleibt in mir oft ein Zweifel, ob solch ein Thema meine Dominanz nicht etwas untergräbt.
Bei manchem sexuellen Spiel zwischen uns bin ich dermaßen überrascht, wie sich eine Situation entwickelt, welchen Weg sie plötzlich nimmt und damit all meine Vorbereitungen und Gedankenspiele, wie sich das Spiel gestalten ließe, beiseite wischt, dass ich deswegen unsicher werde. Mich frage, was tu ich denn jetzt?
Es entsteht ein Chaos in mir, da ich einerseits sehr erregt bin und unbedingt weiter mit ihr spielen möchte, andererseits aber vor dem Dilemma stehe, kreativ handeln zu müssen, ohne meine dominante Ausstrahlung zu gefährden. Sie soll ja nicht merken, dass ich gerade zweifle, an mir oder an meinen Fähigkeiten, und ich möchte ja für sie stark und sicher und überlegt in meinem Tun sein. Zum Glück bin ich ein Mensch, der sehr kreativ ist, und kenne meine Liebste inzwischen sehr gut, sodass die Situation bisher noch nie wirklich gekippt ist.
Das Gefühlschaos bei mir dreht sich also um die Frage: Bin ich immer Herr der Lage und dominant genug?
Dazu trägt auch bei, dass wir unsere Dom-Dev-Beziehung nicht 24/7 leben, sondern nur, wenn wir beide Lust dazu haben. Wir verhalten uns im Alltag so, als gäbe es BDSM gar nicht. Wir haben auch ganz normalen, sogar sehr kuscheligen, liebevollen, innigen Sex völlig ohne BDSM, wir streicheln, küssen und liebkosen uns wahnsinnig gerne. Eine Beziehung ohne BDSM wäre also durchaus denkbar und auch ohne BDSM - vermutlich - liebevoll und befriedigend. Ich habe mich auch schon gefragt, ob das nicht vielleicht reichen würde und ob ich den Weg BDSM weitergehen möchte, wo er mir doch manchmal steinig erscheint und ich mir unsicher bin, ob ich dominant genug bin - für sie, aber auch, um überhaupt als dominant gelten zu können. Wenn ich mir Filme, Bücher, den Joyclub anschaue, stelle ich fest, dass ich vielen Prinzipien nicht folge oder gar nicht folgen möchte, weil sie für mich nicht richtig, nicht passend erscheinen.
Du siehst, ich stecke immer noch voller Fragen, voller Chaos.
Und ich fürchte, das wird sich auch in Bälde nicht wirklich ändern. Und vielleicht möchte ich das auch gar nicht, denn ich habe derzeit beim Entdecken so viel Spaß, ich lerne so viel, das ist einfach toll! Zum Glück zieht sie da mit. Wir sind verspielt und offen genug miteinander, und vermutlich auch einfach ineinander verschossen genug, um nicht enttäuscht zu sein, wenn etwas mal unrund läuft - gerade, weil uns die jahrelange Souveränität fehlt. Wir wissen beide, dass wir nicht perfekt sein möchten, das ist nicht unser Anspruch. Wir möchten eine lockere, intensive, wunderbare Zeit miteinander verbringen, trotz Chaos im Kopf.
Ich bin gespannt, wohin mich, wohin uns diese Reise noch führen wird. Werde ich als Dom souveräner werden? Werden wir weiterhin so viel experimentieren und dabei auch miteinander lachen? Oder werden wir BDSM auf Popohaue dann und wann beschränken und uns anderen Spielarten im intimen Miteinander zuwenden? Es bleibt spannend...
Und vielleicht ist etwas Gefühlschaos ja auch gar nicht verkehrt. Das wirft Fragen auf und bringt dich dazu, dich mit dir selbst zu beschäftigen. Finde ich jetzt nicht ganz so verkehrt.