Berliner Lust
„Dafür kannst Du mich unmöglich verantwortlich machen!“ protestierte Amanda mit ihren total süssen Falten des Ärgers auf ihrer Stirn, gefangen im Jojo zwischen ihrer devoten, aber fordernden Begierde und dem von ihrem Stolz genährten Gerechtigkeitssinn. „Wie sollte ich bitteschön einen Einfluss auf Deine Träume haben!?“ Bislang kannte sie die Details meines Nachtmahrs nicht, nur, dass sie darin offenbar eine unrühmliche Rolle gespielt haben musste. "Was soll ich denn konkret verbrochen haben?"Ich lächelte süffisant und verharrte mit meinem Blick in ihrem perfekten Ausschnitt. Etwas beschämt und mit leicht errötetem Gesicht schaute sie sich nach links und rechts um, ob andere Gäste der 27 Café Bar etwas davon mitbekämen. "Du bist unmöglich!" lästerte sie, als sie einigermassen sicher war, dass wir nicht unter Beobachtung standen.
Ihre ganze Körperhaltung signalisierte die Spannung, die ich innert den ersten Minuten aufgebaut hatte, und fand ihr Ventil in der Wortwahl mir gegenüber. Bewusst liess ich mir mit meiner Antwort Zeit, nur eines war klar: Amanda würde ganz sicher büssen müssen für das, was ich in der letzten Nacht gesehen hatte, auch wenn ich nie einen Vorwand benötigte, um das zu tun, was ich mit ihr tat; besser gesagt: ihr antat. Aber mit Grund war es einfach spassiger.
Wir sassen mit unserem Latte Macchiato draussen, direkt am Kurfürstendamm. Berliner Luft - wie sehr hatte ich sie vermisst! Keine zwei Stunden waren seit meiner Landung in Berlin vergangen. Irgendwie war es merkwürdig, nicht mehr in Tegel anzukommen. Seit Jahren hatte ich die Stadt meiner Mutter nicht mehr besucht. Meine Mutter, die mit den unglücklichsten Vorzeichen, die man 1937 haben konnte, am für sie ziemlich gefährlichsten Ort der Welt eben auf diese Welt kam. Doch sie schaffte das Unwahrscheinliche, sie überlebte hier und verliess Berlin erst viel später und besuchte sie mit uns Kindern regelmässig. Wir waren mit der Metropole emotional stets verbunden, auch wenn uns viele hundert Kilometer trennten. Und jetzt war ich es nun zusätzlich mit Amanda, meinem Wildfang von Sub.
Bisher war diese umwerfende Frau immer brav zu mir in die Schweiz geflogen, um, wie ich jeweils sagte, ihre verdiente Tracht Prügel abzuholen. Wir konnten schlicht nicht voneinander lassen, die Distanz war auf einmal kein Problem mehr. "Wie eine Seele ohne Verstand, wie ein Körper ohne Vernunft, so unkontrollierbar von meiner Natur getrieben ist mein Verlangen nach Dir." schrieb sie schon wenigen Stunden nach unserem ersten Abschied, gleich nach ihrem Rückflug; für diesen hatte sie ein Upgrade in die Business Class in Erwägung gezogen. "Der Po!" war ihre knappe Begründung auf meine verwunderte Frage, und sah dabei aus wie das Emoji, das mit breitem Mund die Zähne zeigt. Süsser als gezuckerter Bienenhonig! Der Preis für das Upgrade war dann doch schmerzhafter, befand sie, und flog tapfer Economy. „Du beweist also einer vollbesetzten Kabine Deinen Masochismus“ konkludierte ich mit einem Zwinkern. „Nicht lustig!!!“ maule sie zurück, und ich hielt mir den Bauch vor Lachen. Wie sehr ich diesen Moment genoss - ich hätte sie vom Fleck weg heiraten können, wenn ich denn sowas je nochmals täte.
Dabei waren die Vorzeichen doch so schlecht gewesen, eigentlich bildeten wir eine völlig unmögliche Konstellation. "Du bist wohl meschugge!?" hatte sie auf meine frühe Frage im Onlineportal geantwortet, ob sie sich einen Top in der Schweiz vorstellen könnte. Keine drei Wochen später hatte ich sie auf dem Bock in Urdorf fixiert. "So schnell kann’s gehen!" amüsierte ich mich, während der erste Peitschenhieb sie traf.
Sie war wie ein heiliger Gral für mich, den ich wohlbehütet und gut abgeschirmt an diesen Ort der bösen Taten gebracht hatte, gleich nach ihrer Ankunft. Ihre überwältigende Erscheinung mit einem strahlenden Gesicht, das keine Fotografie je transportieren könnte; ihre hellen Augen wie eine nie endenwollende Supernova, graue Wildleder-Overknees, so sexy und gleichzeitig so dezent, dass sie zum ebenso grauen Business-Anzug perfekt passten. Ihre ganze Körperhaltung und Mimik, die nichts als tiefgründende Freude ausstrahlten waren so vereinnahmend, dass ich fürchtete, andere Männer in der Ankunftshalle könnten ihrer Aura ebenso schock-erliegen und sie mir zu rauben versuchen. Wie um Teufels Willen konnte ein Mensch in Bruchteilen von Sekunden so wertvoll für mich werden, wie konnte ich Eifersucht empfinden, bevor wir uns das erste Mal berührt hatten?
Zu meiner grossen Erleichterung galt ihr Blick nur mir, nachdem sich die Schiebetüren geöffnet hatten. "Solange Du Dich in der Schweiz befindest, gehörst Du ausschliesslich mir!“ Sie lachte über meine Begrüssung und antwortete mit einem ironischen Tonfall "Nur dann? Na, da bin icke ja froh."
Frech war sie ja, musste das als Direktionsassistenz eines multinationalen Unternehmens ja wohl auch irgendwie sein. Der Vorzimmerdrache, der bei mir seine ganze Devotion zeigte. Welch Privileg! Und welche Verantwortung.
Eine Autohupe holte meine Aufmerksamkeit ins 27 zurück. Amanda fuhr sanft über meine Hand. "Na komm schon, erzähl von Deinem Albtraum!"
"Na gut. Du hattest eine Peitsche in der Hand, Du als meine Sub, gerade als ich mich von Dir rimmen liess und meine Augen kurz öffnete. Eine Peitsche, in deren Griff - und das wusste ich im Traum genau - ein feiner Faden aus echtem Gold eingearbeitet war. Sekunden später fand ich mich zu Deinen Füssen wieder und Du verkündetest, Deine magischen Stiefeletten würden mich von nun an in Deinem Bann und damit Deiner Kontrolle halten. Und tatsächlich war ich gelähmt, wie in einer Schlafparalyse."
Amanda riss vor Überraschung ihre Augen weit auf und schwieg für ewige Sekunden. Dann aber begann sie zu kichern und strahlte mich an, mit diesen unglaublichen Augen, die mich wie in ein eigenes Universum sogen. Hilfloser Dom? Wie sehr ich diesen Gedanken hasste.
Aber warum ihre Überraschung?
"Nun, das mit den Stiefeletten und Deinem Fetisch, mein lieber Schweizer Top, ist ja nicht sooo weit hergeholt." Sie streckte ihr rechtes Bein in die Höhe und zeigte das dazu passende Schuhwerk. "Was für ein Zufall, ne? Soll ich langsam am Reissverschluss ziehen, damit Du Klick für Klick hörst und siehst…, wie es Elly in Deiner Geschichte tat?"
"Schweig, Du Satansbraten! Du hast Dich soeben selbst geliefert, sollte Dir das nicht aufgefallen sein, meine bittersüsse Berlinerin - nur so von wegen Einfluss auf meine Träume nehmen. Du wirst sehen, ein Stück wie Dich esse ich als Vorspeise, sogar ohne Zucker, also treib es nicht zu bunt hier!"
"Oh, Shitfuck!" entsetzte sie sich, und zwar so laut, dass sich die anderen Gäste nun doch zu uns umdrehten. Peinlich berührt hielt sie ihre Hände vor den Mund.
Wir bezahlten.
Amandas Refugium befand sich unweit des Kudamms. Es handelte sich um zwei für sich schon grosszügige Dachwohnungen, die sie zu einer noch viel grösseren Bleibe verbunden hatte. Ich konnte es mir nicht erklären, aber die neue Situation, nun bei ihr in Berlin zu sein, machte mich nervöser als alle anderen Treffen zuvor. Etwas Heftiges lag in der Luft, mein Kopfkino spulte die wildesten Szenen ab, als sie mit dem Schlüssel die Türe zu ihrem Reich öffnete.
„Willkommen in meinem Schloss Charlottenburg!“
Vor mir zeigte sich ein ungewöhnlich breiter Flur, links und rechts von Schränken gesäumt, deren Inhalt mit Rollos abgedeckt war. Amanda zog sogleich der Reihe nach an den vier Seilzügen links und rechts; die offenen Gestelle waren voll von Schuhen, von Pumps über Stiefeletten bis zu Overknees! Ein Duftgemisch aus ihr und den unterschiedlichen Ledersorten stiess sofort in meine Nase liess mich leicht taumeln.
Diese freche Brat lachte natürlich. "Hier ist sie zuhause, Deine Berliner Lust - und sie hat Dich wie im Traum unter Kontrolle, nicht wahr?"
"Na warte!" grollte ich, schob meinen Rollkoffer so hastig weg, dass er kippte und zog meinen Ledergürtel mit einem lauten Schleifgeräusch aus der Hose. Amanda erstarrte erschrocken. "Shitfuck! pflegst Du doch in solchen Situationen zu sagen, nicht wahr, meine Teure?“
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Fortsetzung folgt
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Oliver G. Wolff - 2023