Das BDSM-Diplom
Inspiriert um die Diskussionen hinsichtlich echtem (BD)SM ist mir eine Geschichte eingefallen, die ich Euch nicht vorenthalten möchte. ---
Jolanda schälte sich aus der Schulbank. „So ein Sadist, dieser Alfons!“, schimpfte sie und meinte damit den Kursleiter, der die Teilnehmenden des BDSM-Lehrgangs in eine Grundschule mit entsprechend kleinen Bänken eingeladen hatte. „Ich bin mir nicht sicher“, sagte Ulrike auf dem Weg nach unten, „ob er wirklich ein echter Sadist ist! Immerhin hat er die Sklav:innen-seite mindestens so eindrücklich und mit Funkeln in den Augen behandelt… da fällt es mir schwer…“
„Sub! Nicht Sklavin!“ wies Jolanda sie zurecht.
Jolandas Verärgerung über die ihrer Meinung nach unqualifizierten Äusserungen ihrer Banknachbarin wuchs und irgendwann konnte sie sich nicht mehr zurückhalten.
„Du blöde Kuh, du hast ja keine Ahnung! Apropos Kuh: Schon die Frage nach der Melkmaschine war völlig überflüssig. Das ist natürlich nur was für weibliche Zitzen. Männer haben keine!“
„Aber ich hab schon von Gays gehört, die….ach.. und von Transen die in der Lage sind, Milch… “
Jolanda schüttelte heftig den Kopf und fuhr ihr über den Mund. „Sag mal, wie willst Du denn jemals Dein BDSM-Diplom machen? Und um auf Deine Eingangsfrage zurückzukommen: Er ist GANZ! SICHER! und EINDEUTIG ein naturdominanter Sadist. Kein anderer Mensch, den ich je getroffen habe – und glaub mir, Baby, das waren viele – hat diese Lust am Quälen besser beschrieben als er! Also Basta!“
Ulrike schwieg, bis sie das Erdgeschoss und die Tür des dortigen Schulgebäudes erreicht hatten.
„Und wenn er ein Switcher ist?“, fragte sie leise. „Ein Switcher ist kein echter Dom und schon gar kein Sadist, der macht nur Wohlfühl-Popoklatsch für Softies. Hat Dir das Annette nicht schon in der Pause erklärt? Sie hat schon viele solcher angeblichen Doms erlebt!“
„Annette? Ist das die, die behauptet hat, sie hätte vom vielen Oralsex schiefe Zähne?“
„Nein, das ist die mit den speichelverschmierten Stiefeln.“
„Ach, ich weiss, die Domina, gell?“
„Ulrike, das ist keine Domina, die nimmt kein Geld.“
„Nicht mal für die Stiefelreinigung? Ach, Entschuldigung, ja, natürlich solche Frauen nennt man Femidom!“
Femdom, Ulrike! Du verstehst wirklich überhaupt nix. Sag mal, unter uns Pfarrerstöchtern: Warum besuchst Du den Kurs eigentlich?“
„Naja, ich dachte…mit dem Diplom, da hat Frau was in der Tasche! Ich hab zwar einen Job, aber… Und ausserdem hat mich Karl-Heinz neulich ausgelacht, weil ich bei seiner Erzählung von der Besteigung eines Doms von einer bisexuellen Neigung ausgegangen bin. Ich muss doch wissen, wovon er redet!“
Irgendein Teufel kitzelte Jolanda. „Naja, so abwegig ist das bei den Doms nicht. Die ficken sich auch gegenseitig heimlich in den Arsch – natürlich im Darkroom – und kriegen dabei einen Prost-Orgasmus, denn Subs in einer Session zu ficken gehört ja nicht zu echtem, natürlichem SM. Heteroflexibel nennen sie das dann. Das macht sie aber nicht weniger dominant, hängen das aber trotzdem nicht an die grosse Glocke.“
„Ah!“
Ulrike schwieg einen Moment, offensichtlich unsicher, ob das ein Scherz war oder nicht. Um das Thema zu wechseln, fragte sie dann: „Aber wenn ich mich jetzt echt spanken lasse und das geil finde“, sie schämte sich fast für das Wort, „bin ich dann nur Masochistin, wenn ich es geniesse, oder nur, wenn ich es mit meinem Top mache, oder wie ist das?“
Jolanda wurde jetzt richtig ärgerlich. „So wird das nichts mit Dir. Das Top ist Dein Oberteil, was hat das damit zu tun? Spanking darf man es nur nennen, wenn es vom Dom mit 50 Schlägen pro Minute bei Sonnenaufgang, über’s Knie gebeugt und in einem englischen Landhaus gemacht wird. Alles andere ist Pipifax.“
„Pipifax? Was hat das denn mit NS zu tun? Muss ich dann das auch noch trinken, um mich in echt Devotina nennen zu dürfen?“
Der „Du-bist-das-Letzte“-Gesichtsausdruck von Jolanda liess Ulrike schliesslich verstummen und freiwillig auf eine Antwort verzichten. Um den Abend nicht noch mehr mit negativen Vibes zu belasten, verabschiedete sie sich ein paar Minuten später. „Tschüss, ich nehme die Bahn.“
Jolanda ging noch ein paar Schritte weiter und liess den Abend Revue passieren. So konnte sie definitiv nicht nach Hause gehen, ihr Ehe-Dom würde ihr die Wut nicht verzeihen, die sie gerade über dieses naive Dummchen im Bauch hatte. Also kehrte sie ein, um mit sich mit einem Glas Weisswein abzukühlen. „Zum roten Schreihals“ hiess die Kneipe.
Und wen sah sie da? Alfons, den Kursleiter!
„Ist es recht?“ fragte Jolanda und setzte sich zu ihm, als er zustimmend nickte. „Also manche Schüler:innen sind wirklich nicht für das Diplom geeignet. Wie hältst Du das aus, ohne gleich alle vor Wut über ihre Dummheit auspeitschen zu wollen?“ platzte es aus ihr heraus.
Alfons lachte. „Weisst Du, so ein Kurs ist nichts anderes wie mein Blockflötenkurs. Sie müssen alles Schritt für Schritt lernen.“
Jolanda war irritiert. Was meinte er nun damit? „Ah, Du zeigst den Kursteilnehmer:innen auch, wie man gut bläst?“
Alfons, eben gerade das frisch gefüllte Bierglas fahrlässigerweise für den ersten Schluck angesetzt hatte, prustete den Schaum auf den Tisch. „Jolanda! Ich bin Volksschullehrer!“
Jolanda errötete. „Wie töricht von mir!“ schämte sie sich. „Aber wie lebst Du denn Deinen Sadismus aus?“
„Sadismus? Jolanda, ich unterrichte hier ein Fach, weil ich es in einem Internet-Kurs gelernt habe, um ein paar Euro dazuzuverdienen. Meine Frau druckt dann zuhause am Computer die schönen Diplome aus – das ist ihre einzige unterwürfige Handlung. Ansonsten habe ich mit Sadismus überhaupt nichts am Hut!
Als er sah, wie für Jolanda eine Welt zusammenbrach, tröstete er sie: „Aber daheim trage ich auch meistens Hosen.“ Natürlich konnte er sein Schmunzeln nicht verbergen. Zur Wiedergutmachung hob er die Hand, um die Kellnerin zu rufen. „Ludmilla, Du altes Miststück, noch einen doppelten Korn für meine Schülerin hier!“
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Oliver G. Wolff / gangleader 2023