Linda (1): Aufgezogen
"Ihr Ziel befindet sich nach 200 Metern auf der linken Seite." tönte es durch die Ohrhörer. "Eine Baustelle?" fragte sich Linda, die ihren Wagen unsicher wie eine Ortsfremde lenkte, laut. Sie war aufgeregt. Nein, das war eine Untertreibung: Sie fragte sich, ob in ihrem Adrenalin überhaupt noch Blut schwimmt.Es war die Stimme, die ihr Nervenkostüm nahe an den Abgrund geführt hatte. Die Stimme, es war nicht die des Navigationssystems, nein: Es war die eines Mannes, der sie bei den bisherigen Begegnungen fast um den Verstand gebracht hatte. Und genau um diesen Verstand fürchtete sie jetzt wieder. Einen zugelegt, würde keine Therapie sie vor der Klapsmühle retten können.
Was zum Teufel machte sie da bloss?
Der Mann, der keinen Namen hatte, war die Erfüllung ihrer Träume. Träume, die ihr die Schamröte ins Gesicht trieben, wenn sie nur daran dachte. Doch etwas in ihr war stärker als ihr Verstand und liess sie genau das tun, was er von ihr verlangte. Sie, die starke Frau, von der jeder in ihrem Freundeskreis eidesstattlich versichert hätte, sie sei der Inbegriff einer Person, die jeder Versuchung widersteht. Eher distanziert, die Realität mit Logik im Griff - so sahen ihre Kolleginnen sie. „Pha!“, sagte sie laut vor sich hin, als sie daran dachte, obwohl sie in diesem Moment niemand hören konnte. Niemand ausser ihm, durch die integrierten Mikrofone.
Der Mann im Ohr brachte Linda an die Grenzen ihrer Erotik und vielleicht bald darüber hinaus. Irgendwie hatte sie sich dieser Gefahr bereits ergeben. Vernunft ade! Obwohl er das Innerste, nicht nur das Intimste von ihr kannte, wusste sie wnach Monaten noch immer nicht, wer er eigentlich war. "Nenn mich Leon. Leon von Löwe, von wegen stark." Das war alles. Er blieb geheimnisvoll, er war für die Zeit da, die sie miteinander verbrachten. Aber ausserhalb? Fehlanzeige. "Wir sind Teil desselben Universums. Ich bin immer da, auch wenn deine Sinne mich nicht wahrnehmen können. Meine Energie wird dich nicht mehr loslassen." hatte er gesagt. Die Erinnerung an diese Sätze liess ihre Gänsehaut Amok laufen. Nichts auf der Welt konnte sie jetzt noch beruhigen.
Sie sah den Rohbau des Gebäudes, mit einem Baulift an der Aussenseite und einer Bretterwand, die an Werktagen Neugierige davon abhielt, den Bauarbeitern zu genau auf die Finger zu schauen. Zum Glück, dachte Linda, war heute Sonntag und niemand auf der Baustelle.
Oder doch?
"Wenn du das Auto geparkt hast, drückst Du das dritte Holzbrett von links. Es ist lose und lässt Dich eintreten in unsere Baustelle."
Irgendwie war es ein wohliges Gefühl. „Unsere Baustelle“. Aber warum denn dieser Ort, wenn es doch nur um Zweisamkeit ging?
Ging es denn nur um Zweisamkeit? Plötzlich kam ihr der Verdacht, dass der Plural sie gar nicht einschloss. "Scheisse!", stiess sie panisch aus, dann verdrängte sie den Gedanken mit dem Rest an Kraft, der ihr noch verblieben war. Und das war nicht viel: Sie folgte ihm, wann immer er es von ihr verlangte. Allein die Ahnung, dass er sich melden könnte - und die völlig unvorhersehbaren Momente - trieben ihre Lust an, liessen ihre Vulva anschwellen und ihr Höschen zu einem Teich werden. Ja, es war eine Frage ihres Verstandes, sie schämte sich ihrer Geilheit, ihres Wunsches, ihm zu gefallen, sich dem hinzugeben, was er sich wieder einmal ausgedacht hatte. Aber tief in ihrem Kopf flüsterte sie sich zu. "Aber es ist geil."
Mit der Bretterwand im Rücken orientierte sie sich an diesem verlassenen Ort. Der kalte Geruch von Beton stieg ihr in die Nase, ein Luftzug liess sie kurz frösteln. Unter ihren spitzen Stiefeletten knirschte der Kies so laut, als wolle er an diesem leblosen Ort die Toten wecken, die ein mörderischer Vorarbeiter im Auftrag der Mafia verschwinden liess.
„Steig in den Bauaufzug. Fahre nach oben, auf die Höhe des fünften Stockwerks. Dort hältst Du an, öffnest den Fahrkorb und bleibst drinnen.“
"Wirst Du dort sein?" fragte Linda schüchtern. Doch Leon antwortete nur mit einem festen "Geh!".
Linda kletterte auf das Gitterviereck, das sie nach oben bringen sollte, und entdeckte darin etwas, womit sie nicht gerechnet hatte: einen Vakuumbeutel mit verschiedenen Sexspielzeugen. Daneben: Eine Augenbinde.
Sie schloss das Gitter, drückte auf den Knopf und der Aufzug setzte sich ratternd in Bewegung. Bald hatte sie einen Blick auf die niedrigeren Häuser rings um die Baustelle, in die Weite, aber auch auf die Nachbargebäude, in denen sich bestimmt Menschen befanden...?
"Die Augenbinde", befahl Leon, als der Aufzug in der gewünschten Höhe hielt.
Linda wollte erst nachsehen, ob noch jemand in der Nähe war, aber Leon wies sie sofort zurecht: "Jetzt!", brüllte er. Linda erschrak und folgte dem Befehl. Genau in dem Moment, als sie nichts mehr sehen konnte, dröhnte ein lauter, stampfender Beat durch ihre Ohrhörer. Zwar wusste sie, wo sie war, aber von nun an fehlten ihr zwei Sinne.
Plötzlich spürte sie einen harten Griff um ihr linkes Handgelenk. War es Leon? Der Geruch des Mannes - es musste eindeutig ein Mann sein - liess sie dann aber fast in Ohnmacht fallen: Es konnte sich unmöglich um Leon handeln! "Unsere Baustelle" - das Rätsel war gelöst, und nicht in ihrem Sinne. Verfluchte Situation! Verdammte Scheisse! Wie konnte dieser Mistkerl nur so etwas wagen! Für eine halbe Sekunde verfluchte sie alles, was gerade geschah - und merkte gleichzeitig, wie ihr Körper mit einer ihr fremden Euphorie darauf reagierte.
Eine Mischung aus Verzweiflung über die Reaktion ihres Körpers und über die Ausweglosigkeit der Situation machte sich in ihr breit.
Sie fragte sich: Bin ich ein Flittchen? Um Himmels willen! Sie kannte sich selbst nicht mehr, so stark war ihr Stolz. Aber er schien keineswegs im Widerspruch zu stehen zu dem sich explosionsartig ausbreitenden Drang, alles zu wollen, was einen Schwanz trug. Fremde Männer? Egal!
Nur noch ein letztes Entsetzen, ein letztes Aufbäumen ihrer gutbürgerlichen Erziehung unterbrach sie: Nein! Habe ich das jetzt wirklich gedacht? Doch dann war dieser ungleiche Kampf auch schon entschieden.
Der unbekannte Mann fesselte Linda mit losen Ketten. Dann riss er ihr mit einem Ruck das Höschen an den Beinen herunter - und plötzlich war es weg. Zerrissen? Sie hatte keine Ahnung, hörte nur den stampfenden Beat. Mit je einem Tritt gegen ihre Füsse wurde ihr bedeutet, die Beine zu spreizen. Und ehe sie richtig begriff, was geschah, waren auch Rock, Bluse und BH weg. War es eine Schere? Es war ihr egal. Der Moment erregte sie zu sehr, als dass es jetzt noch eine Rolle spielen würde. Sie war nackt bis auf die Stiefeletten, ausgestellt über der Stadt in einem Bauaufzug, in der Gewalt mindestens eines fremden Mannes, gefesselt, ohne Sicht und ohne akustische Orientierungsmöglichkeit. Ein unbeschreiblicher Rausch überfiel sie, ein Delirium, das sie von allem isolierte, was nicht dieser unkontrollierbaren Lust diente.
---
gangleader / Oliver G. Wolff 2024. Fortsetzung folgt hier irgendwann (und auf meinem Blog, wo es weitere Geschichten gibt).