Über Sexualität, Geschmack - und warum sie Religion gleichen
Folgenden Text habe ich vor einiger Zeit in einem Autorenforum veröffentlicht, als aufgrund der Veröffentlichung einer schwul-erotischen Geschichte ein paar Menschen ausflippten und das Ende der Welt prophezeiten, weil nur heterosexuelle, sowie lesbische erotische Fantasien in Ordnung seien und schwule Erotik widerlich.Ich möchte ihn gern auch hier vorstellen, weil ich denke dass er, wenn auch ausdrücklich meine persönliche Auffassung, doch ein relativ allgemeingültiges Plädoyer darstellt:
Über Sexualität, Geschmack und Religion.
Aus aktuellem Anlass, will sagen, bestimmten Kommentaren unter einer bestimmten Geschichte, möchte ich gern ein paar Worte verlieren.
In den letzten fünf Jahren bin ich viel gereist und habe sexuell im Rahmen meiner eigenen Vorlieben viel ausprobiert. Dabei habe ich sehr, sehr viele tolle Menschen kennengelernt, die alle etwas einte: Eine gut entwickelte, sexuelle Persönlichkeit, will sagen, ein gesundes, sexuelles Selbstbewusstsein.
Ich habe Homosexuelle kennengelernt, Heteros, Bisexuelle. Asexuelle, Fetischisten. Masochisten, Sadisten, Sklavenhalter, Sklavinnen. Zofen, Butler, Pets.
Man vergebe mir an dieser Stelle, dass ich keine geschlechtsunspezifischen Formulierungen benutze, auch wenn all dies auf Angehörige beiderlei Geschlechts, Transsexuelle, Transidentitäten und sogar zwei Hermaphroditen bezogen sein soll.
Ich kenne Menschen von einer sexuellen Ausprägung, die sich sogar selbst als krank bezeichnen und doch nicht aus ihrer Haut können.
Ich erinnere mich, Menschen gesprochen zu haben, die sich über die Homosexualität ihres Kindes massiv negativ äußerten, um sich im weiteren Verlauf einer Party von einer Domina eine Schweinsmaske aufsetzen und einen Ringelschwanz-Analplug setzen zu lassen.
Ich könnte diese Liste beliebig verlängern um die abstrusesten sexuellen Gelüste und intolerantesten Verhaltensweisen, aber ich denke, ihr versteht, worauf ich hinaus will. Deshalb weiter im Text.
Ich möchte an dieser Stelle weder darauf eingehen, woher sexuelle Neigungen meiner Meinung nach stammen, noch eine entsprechende Diskussion beginnen. Wer dahingehend Diskussionsbedarf hat, möge sich in entsprechenden Foren (bei ernsthaftem Interesse) oder am örtlichen Stammtisch (bei eigenem, Vorurteil behafteten und unverrückbarem Weltbild) tummeln.
Jede sexuelle Identität besteht aus einem Grundgerüst, bestehend zum Einen auf dem jeweiligen Geschlecht des eigenen Verlangens (Mehrfachnennungen möglich) und einem Bedürfnis, welches mit dem Partner der Wahl auf welche Weise auch immer gestillt werden will.
Ferner aus darin enthaltenen Vorlieben, deren Bandbreite sich in speziellen sexuellen Techniken ebenso widerspiegelt, wie an bevorzugten Accessoires.
Wir befinden uns an dieser Stelle ausdrücklich NICHT im Fetischbereich. Wer den Unterschied verstehen will, der frage sich, welche Stellung er am Liebsten mag und dann, ob er dabei eine spezielle Bettwäsche mag.
Ein Fetisch wird es erst dann, wenn das Vorhandensein der Bettwäsche in Abwesenheit des Partners bereits als sexueller Reiz ausreichend ist.
Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten, daran ist nicht zu rütteln. Manche finden mit der Zeit Geschmack an etwas, das ihnen ursprünglich widerstrebt hat, andere nicht. Die Geschmäcker sind bekanntlich verschieden. Niemand wird wirklich dafür verurteilt, dass ihm Schokolade mit Nuss mehr zusagt, als Zartbitter mit Pfefferminzfüllung.
Warum ich das so deutlich anspreche?
Weil wir uns hier unsere Geschichten präsentieren. Seien sie fiktiv, erlebt oder aus dem Hörensagen niedergeschrieben.
Ich glaube, dass wir alle erwachsen und gefestigt genug sind, um jedem, der uns seine Werke präsentiert in unserer geschlossenen Runde, einen gewissen Grundrespekt und eine gewisse Toleranz erwarten kann.
Selbst, wenn er davon schreibt, dass er seinen Dingdong gern in heissen Apfelkuchen steckt.
Ich würde mich daher freuen, wenn wir davon absehen könnten, Geschichten für ihren Inhalt zu kritisieren.
Ein Lob für eine gut geschriebene Geschichte, Kritik an mangelnder Rechtschreibung, Grammatik oder Interpunktion, vielleicht auch am Schreibstil. Alles vollkommen in Ordnung und legitim.
Ebenso, wenn jemand vom Inhalt einer Geschichte intensiv geflasht oder irritiert ist und dazu Fragen hat. Traumhaft, wenn jemand eine Geschichte liest und darüber feststellt, dass er genau das auch will und sich darüber vielleicht sogar Gleichgesinnte finden.
Was in meinen Augen gar nicht geht, ist Kritik an Geschichten, weil einem der Inhalt widerstrebt. Ich würde es nur ungern sehen, wenn jemand angefeindet würde, weil er über Analverkehr ohne Kondom mit wechselnden Partnern schreibt.
Ich denke, wir alle verstehen, dass es sich hier zuallererst um Geschichten handelt. Selbst bei konkreten Erfahrungsberichten sollten wir uns darüber klar sein, dass wir es hier mit Menschen zu tun haben, die ihr eigenes Leben leben und für dieses eigene Verantwortung tragen.
Was uns schließlich zum letzten Teil meiner Überschrift bringt: Religion.
Meine These ist, dass Sexualität und Religion sehr viel gemein haben.
Jeder von uns hat eine, selbst das nicht vorhanden Sein einer religiösen Identität kann in diesem Zusammenhang als eine Religion verstanden werden.
Manch einer wechselt im Laufe seines Lebens seine Religion, wird bekehrt oder entwächst schlicht der Religion seiner Kindheit. Andere finden erst im Alter zu Gott.
Jeder lebt seine persönliche Religion auf seine persönliche Weise. Mancher offen, mancher hinter verschlossenen Türen als etwas äußerst Privates.
Und wieder Andere stehen mit dem Wachturm in der Fussgängerzone.
All jenen möchte ich von ganzem Herzen wünschen, dass sie glücklich werden mit dem, was sie fühlen.
Unabhängig davon, ob sie gen Mekka beten oder vor einer Domina knien. Leben und leben lassen.
Dann gibt es da noch die Bibeltreuen Christen, ja, die gibt es auch aus rein sexueller Sicht. Solche Leute, die irgendein Buch, einen Film oder was auch immer verinnerlicht haben und nur ihr Verständnis der darin enthaltenen Zeilen als einzig wahre Wahrheit anerkennen.
Auch sie sind prinzipiell erstmal harmlos, obschon sie bisweilen nervig werden können.
Wer einmal als Atheist an Karfreitag bei einem besonders "christlichen" Haushalt zum Essen geladen war, der mag eine Vorstellung bekommen, was ich meine.
Toleranz, Freunde, auch, wenn es nervt.
Gehen diese Bibeltreuen noch einen Schritt weiter und beginnen Missionarsarbeit, werden sie zum Ärgernis. Ich möchte nicht gesagt bekommen, dass ich etwas tun MUSS, weil doch der Heiland gesagt hat, ebenso wenig, wie mir jemand erzählen soll, dass ich ein Mädchen nur in der Hündchenstellung nehmen darf, weil diese besonders intensiv ist.
Ja, dieses Bild ist provokativ.
Die schlimmste Gruppe, das sind die Fundamentalisten, solche, die ihre eigene Überzeugung so sehr verinnerlicht haben, dass sie jede davon abweichende rigoros anlehnen und stigmatisieren.
Einem guten Freund wurde mal gesagt, ihn sollte man totschlagen, weil er ein Homo ist. Der selbe Soldat war bei einem Selbstmordattentat zugegen in Afghanistan und hatte mehr Glück, als Verstand.
Ich hoffe, ich konnte klarstellen, warum ich diese Abhandlung an euch gerichtet habe.
Ihre Absicht war und ist nicht, jemanden hier vor den Kopf zu stoßen, sondern einzig, ein Plädoyer für mehr Toleranz. Wenn schon nicht im täglichen Leben, dann wenigstens an diesem Ort, einer geschlossenen Gruppe von Menschen, die einfach Spaß daran haben, von Sexualität zu lesen oder zu schreiben.
Wer sich hingegen durch diesen Text auf den Schlips getreten fühlt, der ist womöglich doch eher am falschen Ort.
Piep, piep, piep, ich hab euch alle lieb.