Zum Thema (den Themen)
Ich sehe im Eröffnungstext zwei Themen, jedes sehr grundlegend, damit besonders respektvoll und genau zu diskutieren, plus eine Fragestellung.
In der Aussage
Dabei wurde offensichtlich, dass man/frau sich trefflich über Begrifflichkeiten streiten und auch "wunderbar" aneinander vorbei reden kann
sehe ich als 1. Thema die Frage nach der Art von Diskussionen, zumal schriftlichen im Internet, aber grundsätzlich auch nach der Bedeutung, Rolle und Notwendigkeit von Begriffen/Begrifflichkeiten und deren Definitionen, völlig richtig zusammenfassend beschrieben als die Frage des "Umgangs miteinander"
In der Aussage
Es ist mir aufgefallen, dass einige, die BDSM für sich als Lebens- und Beziehungsweg entdeckt haben, dies mit einer Vehemenz nach außen vertreten, die manchmal den Respekt vor anders Lebenden/Denkenden zu vermissen scheint.
Ich meine damit nicht die Begeisterung für einen Weg, den ich mit Leidenschaft gehe, sondern die Tendenz, sich abzugrenzen, indem anders Denkende herabgesetzt werden.
Konkret: "Man" hebt sich z.B. ab von den "Stinos" (,,,)
sehe ich das 2. und eigentliche Thema der Fragenden, nämlich das Thema Abgrenzung von sich selbst als Minderheit und verfolgt bzw. gesellschaftlich ausgegerenzt fühlenden Gruppen(mitgliedern) gegenüber der so genannten Normalität, der Mehrheit bzw. geglaubten solchen. Ein generelles Thema von Subkulturen, nicht nur im Kontext von BDSM.
Dann kommt zum Schluss noch 3. die Frage
Doch ist diese Sicht und auch diese Weise, die eigene Sicht zu transportieren, wirklich hilfreich im Austausch?
Oder zementieren wir dadurch sogar selbst die Vorurteile, die uns gegenüber geäußert werden?!
Erst einmal meine Dank zur Eröffnung diese Themas an Invincible(w)
Dann zum Thema 2, Abgrenzungsverhalten von so genannten oder tatsächlichen Randgruppen:
Es ist in der Tat ganz häufig zu beobachten, dass eine Gruppe von Menschen sich dadurch "auszeichnet", sich anscheinend dauernd abgrenzen zu müssen.
Hintergrund ist natürlich oft die Suche nach Identität, nach "zuhause fühlen".
"Wir Echten" bildet dann die neue Heimat, das was die "Normalen" durch Abtauchen in der Masse fühlen, nämlich ungefragte, eintauchende Geborgenheit, Sicherheit, nicht Begründen müssen, warum etwas so ist, wie es ist.
Einen souveränen, selbstbestimmten Menschen wird das so oder so wenig interessieren, denn er/sie ist jederzeit in der Lage, die eigene Haltung. Lust oder Neigung zu beschreiben und ggf. zu begründen, häufig aber auch nicht und wird seine Lust oder Neigung einfach (soweit zulässig und möglich) offen oder im geschützten Bereich leben.
Es ist also ein häufig zu beobachtendes Gruppenverhalten, dass egal in welcher Subkultur, quer durch alle Gesellschaften und Zeiten, gerade die neueren oder weniger souveränen "Mitglieder" dieser Subkultur sich insbesondere dauernd absetzen müssen.
Vordenker oder Freigeister hatten dieses nie oder weniger nötig und wurden daher stets gern von den anderen zu Vorbildern erwählt.
Dabei ist alles in meinen Augen nur eine Frage des persönlichen Mutes und der Offenheit:
Stehe ich zu mir selbst, zu meine Lüsten und Haltungen oder nicht?
Wenn ja, kann ich bequem meine Haltung jedem anderen (wenn ebenfalls vernunftbegabt und sich selbst reflektierend) vermitteln, ob er/sie zu meiner (Rand)Gruppe, Neigung etc. gehört oder nicht.
Als Beispiel: Meine schönsten Gespräche über SM hatte ich mit so genannten "normalen" Leuten, anfangs total skeptisch bis ablehnend, die nach eineinhalb Stunden Gespräch sagten: Ach, das kenn ich aber genau so.
Zum 1. Thema, welches mir stets sehr am Herzen lag und liegt (Begriffe und ihre Definition) eine Wiederholung, die jedoch nicht häufig genug betont werden kann:
Ohne Definitionen, ohne Diskussionen über Begriffe, gibt es keine Verständigung. keine Diskussion über die Sache. ja nicht mal überhaupt eine Kommunikation.
Wenn ich von Brot rede, sollte schon bei allen zumindest ein aus Mehl gebackenes Lebensmittel verstanden werden, selbst wenn in den Kulturen verschieden, sonst können wir uns partout nicht verstehen.
Sich über Begriffe und ihre Definition auseinanderzusetzen und zu verständigen ist nicht kleinkariert, überflüssig oder als l'art pour l'art anzusehendes Hirngewichse (ein leider indirekt häufig gemachter Vorwurf) sondern unsere notwendige Basis, wenn wir als Menschen kommunizieren wollen mit Hilfe der Sprache.
Und gerade im Internet haben wir nur diese Sprache, nicht die non-verbale Ebene (sonst die bewiesenermaßen stärkere Ebene) und auch nicht die andern Neben-Schienen wie Klang etc.
So ist es zum Beispiel sinnvoll, die Bedeutung des zusammengefassten Begriffs(paares) BDSM zu kennen, genau wie es sinnvoll ist, die verschiedenen Ausprägungen des Bergiffs 24/7 zu definieren und zu versuchen, eine Ebene dafür zu finden.
Es bringt nix, keinerlei Verständigung, keinerlei Erkenntniszuwachs und keinerlei Fortschritt, wenn man behauptet, es könner jede/r sich unter 24/7 etwas eigenes vorstellen.
Wenn dem so wäre, dann ersetze ich mutwillig mal 24/7 durch mit Käse belegtes Butterbrot, und sofort erkennt jeder, wie absurd da jede Diskussion wird.
Man kann auch nicht leichtfertig sagen, Ehe, Liebe oder Beziehung seien allesamt oder einzeln das gleiche wie 24/7 - wozu soll ein Begriff dann dienen, wenn er synonym mit anderen wäre?
Begriffe wollen also, durchaus kontrovers und sich im langsamen Laufe der Zeit wandelnd, aber doch mehrheitlich erst einmal grundlegend definiert werden, sonst reden wir zwangsläufig und planmäßig alle an einander vorbei.
Dabei sind Wertungen höchst uneffektiv und zu vermeiden.
Wenn ich also definiere, was 24/7 wohl heißt (oder nehmt TPE als anderes oben gefallenes Beispiel) dann sollte bei der Begriffsklärung erst einmal vollständig draußen bleiben, ob das etwas für micht tolles, das wichtigste überhaupt, "lebbar" oder "unvorstellbar" ist, ich kann eine Definition mittragen, und trotzdem etwas nicht mögen.
Der eingangs beschriebene "miisionarische Eifer" und die Intoleranz mancher Zeitgenossen schon bei der Begriffsklärung kommt m. E. genau aus dieser Vermischung von Definition und Wertung, Begriffsklärung und eigener Haltung zu einem Thema.
Trennen um zu verstehen heißt hier die kommunikative Devise für mich.
Und so finde ich 3. die abschließende Frage auch eine rhetorisch gestellte:
Natürlich nützt uns derartiges (Diskussions)-Verhalten nichts.
Im Gegenteil, es verhindert Zugewinn an Erkenntnis.
Ob es stets schadet, wage ich allerdings zu bezweifeln.
Wie jede sich selbst zu ernst nehmende Randgruppe macht man sich höchstens damit lächerlich, schadet sich freilich untereinander, denn manche verlieren die Lust an einer Gruppe/einem Thema, und das ist doch traurig.
Leben macht Spaß, ist oft ein wirrer Weg, voller unerwarteter Erkenntnisse, wenn ich es wage, mich einzulasen, und nicht vorgefertigte Meinungen akzeptiere.
Diesen Spaß am Leben möchte ich auch anderen Menschen gönnen, daher lasse ich ihnen Ihre Meinungen, Ihre Erfahrung, ja im Gegenteil, ich interessiere mich gerade für andersartige Erfahrungen.
Denn wenn alle genauso empfinden würden wie ich ... wie langweilig!
Um die anderen aber zu verstehen, muss ich in gemeinsam verwendeten Begriffen reden/schreiben, sonst klappt das Verstehen nicht mal im Ansatz.
Abschließend dazu eine indianische Haltung (etwas anders oder radikaler als unsere heute übliche demokratische):
Wenn dort in einem Ältestenrat nur eine Person eine andere Meinung hatte, wurde weiter diskutiert.
Man nahm dem einen nämlich ab, dass er wohl gute Gründe für diese Meinung habe und evtl. doch größere Weisheit bei seiner Position zu finden sei, obwohl sie prozentual völig unterlegen war.
Ich fand das stets einen animierenden und interessanten Gedanken und Beispiel für einen respektvollen Umgang miteinander. Was gestern noch die Mehrheit der "Normalen" war, kann morgen schon in der Minderheit sein, und umgekehrt - jedenfalls in historischen Dimensionen betrachtet.
Hoffe, ein paar Anregungen gegeben zu haben.
Und freue mich stets über saubere und sachliche Begriffsklärungen.
Sowie über Diskussionen mit klaren, offenen Ich-Aussagen und ohne wertende Du-Zuscheibungen.
Rico