Was mir bei vielen Beiträgen im Kontext von Polyamor (und ein wenig auch hier) auffällt, ist eine Diskrepanz zwischen meiner Definition und der Erwartung an Polyamor, die ich aus den Beiträgen lese - oder glaube, lesen zu können.
Dabei geht es mir in erster Linie um "Liebe", also dem Termteil "amor". Den Poly ist ja "nur" eine Vervielfältigung (ggf. mit Facetten) des monogamen Gefühls.
Ähnlich dem, was ich von vielen monogamen Menschen gehört oder gefühlt habe, wird m.E. auch bei Polyamoren häufig die Spiegelung bzw. Erwiderung der Gefühle impliziert, gefordert oder wenigstens gewollt.
Liebe ist aber m.E. eine einseitig gerichtete Größe. Die wirkliche Liebe beansprucht (zunächst) NICHT, erwiedert zu werden (Beispiel: Liebe von Eltern zum Kind). Es ist eben: Liebe. Die fehlende Erwiderung führt aber oft zum Dilemma / Drama.
Vielfach verwechseln (nmM) Menschen (aktive) Liebe mit dem Wunsch geliebt zu werden! Es ist dieses unbändige Gefühl der Zuneigung zu jemandem, das seine Bestätigung - scheinbar - durch die Gegenliebe erhält.
Daraus resultieren dann auch diverse Konfliktpotenziale wie etwa Eifersucht oder Vergleiche wie "Du liebst mich nicht wie ich Dich". Ein(e) wirklich Liebende(r) kann eigentlich keine Eifersucht (bezüglich der Liebe) empfinden, denn sonst sollte das "ich liebe dich" in "ich will von Dir geliebt werden" umformuliert werden.
Da ich Liebe als zunächst unkonditionales Gefühl sehe, definiere ich für mich Polyamor eben auch - aus Sicht des Liebenden - als gerichtet und keinesfalls mit Recht auf Gegenseitigkeit oder Erwiderung ausgestattet.
Dem entsprechend kann jemand m.E. durchaus polyamor sein, ohne dass die geliebten Menschen - ich spreche absichtlich nicht von Partnern - ihrerseits poly sein müssen oder die Liebe gar erwidern. Aber natürlich können - was sicherlich schön ist! Und selbst verständlich kann, muß aber keine Transparenz vorhanden sein.
In meinem Falle WILL ich die Transparenz aber und ich ermuntere auch die, die ich liebe, ihrerseits weitere Liebesbeziehungen einzugehen.
In der Natur der Sache liegt auch ein weiteres Konfliktpotenzial, und zwar sowohl in der Innen- wie in der Aussenbetrachtung: Da Liebe nicht gemessen werden kann, mag jedermann/jedefrau mir meine Liebe absprechen: "Du liebst ja gar nicht!".
Das tut aber meinem Empfinden gegenüber meinen Poly's keinen Abbruch.
Vielleicht würde die Adaption dieses Denkens auch einigen anderen die Sache erleichtern ...
So ... und um die Eingangsfrage "Was bedeutet für euch Polyamorie und polyamores Leben?" nicht unbeantwortet zu lassen:
Für mich bedeutet Polyamorie schlicht, dass ich für mehrere Menschen Liebesgefühle entwickle und lebe, die ich:
1.) nicht gegeneinander zu messen versuche
2.) ich nicht von Erwiderung ausgehe
3.) diese Menschen ermutige (aber nicht nötige), ihrerseits mehr als einen Menschen zu lieben.