Kindheit & Jugend vor oder doch hinter der Mauer?
In meiner Familie in Weißensee war die Mauer natürlich auch „die Mauer“, nach außen „die Grenze“, weil „Antifaschistischer Schutzwall“ einfach zu absurd war. Man sollte aufpassen, was wann gesagt wurde.
In der ersten Klasse saß vor mir ein Junge, der meistens im BVG-Wochenheim untergebracht war, der erklärte seinem Banknachbarn
"Du, der Onkel Tobias, der schwindelt!“; für die Nichtkenner
: "Onkel Tobias" war eine Kindersendung im RIAS am Sonntagmorgen, ich kannte die ganz gut …; aber ich habe damals in dem Moment (es war wirklich die erste Klasse) genau gewusst, dass ich jetzt keine Reaktionen zeigen durfte, weil ich ja
eigentlich Onkel Tobias nicht kannte.
Meine Eltern hatten sich bewusst gegen einen Fernseher entschieden,damit konnte ich bei Fragen in der Schule zum TV-Programm immer gut ausweichen „wir haben keinen Fernseher“ und dann war das bei mir erstmal gut. Irgendwann stand auf einem Unterstufenzeugnis, dass ich an sich ein ganz toller Typ wäre (anders formuliert natürlich), aber es sei schade, dass ich „noch immer kein Junger Pionier“ wäre. Auch das konnte ich ab.
Im Bereich der Köpenicker Straße in Mitte erinnere ich mich noch an den Krach, der beim „Lautsprecher-Krieg“ zwischen Ost & West dort unüberhörbar war. Wir hatten dort mal eine Bekannte irgendwann in den 60er Jahren besucht.
Interessant war es, wenn ich zu den Großeltern hinter Bernau allein gefahren bin: zwischen Schönhauser und Pankow fuhr die S-Bahn durchs Grenzgebiet, die Brücke war gut erkennbar.
Später gab es an dieser Stelle immer und immer mehr einen kleinen Stich irgendwo drinnen.
Auch die Grenzbefestigungen waren an dieser Stelle gut sichtbar: irgendwann lagen hinter der „Vormauer“ Gitter, ähnlich wie die Eggen in der Landwirtschaft, mit den Spitzen nach oben. Wer dort über diese erste Mauer springen wollte, fiel dann direkt auf diese zumindest stark verletzenden Spitzen. Vermutlich diente dies auch zur Abschreckung gegen potentielle Flüchtlinge, ähnlich den Hunden an den „Laufanlagen“, die man bei der S-Bahn-Fahrt zwischen Bergfelde und Hohen Neuendorf sehen konnte.
Und irgendwann erzählte ein Klassenkamerad, dass sein älterer Bruder als Ordner eingesetzt war, um Ost-Jugendliche von einem vermeintlichen Konzert der Stones auf den Springer-Hochhaus abzuhalten, wir sollte auf keinen Fall evtl. mit Älteren oder so dorthin, es könnte „hart“ werden. War es wohl auch, denn ein Jugendlicher aus dem Nachbarhaus war für ein halbes Jahr weg und kam dann mit kurzen Haaren und zunächst sehr einsilbig wieder zurück …
Später habe ich gelegentlich meine Patentante vom Bhf. Friedrichstraße oder von der Bornholmer Straße zu Besuchen abgeholt und die Ungerechtigkeit über die für mich undurchlässige Grenze unmittelbar erlebt, noch schlimmer war das beim Verabschieden an diesen Stellen …