Erlebnisse mit dem "Karneval der Kulturen", eine Zeitreise
Als vor unvorstellbar langer Zeit der "Karneval der Kulturen" das erste Mal stattfand, traf ich mehr zufällig auf das Fest. Es war relativ kühl, teils sogar regnerisch und Menschen unterwegs, die einfach Freude hatten.
Dem konnte ich mich nicht entziehen. Es war nicht künstlich aufgesetzt wie die CSD oder Rheinländer Helau und Allaf, sondern Freude aus dem Herzen, aus der Situation. So etwas hatte ich zuvor noch nie erlebt.
Deshalb habe ich dem nächsten Karneval der Kulturen regelrecht entgegengefiebert und wieder diese starken Gefühle empfunden wie im Jahr zuvor.
Dann kamen leider diese Jahre, in denen einige Kneipen meinten, sie müssten sich am Umzug mit überdimensionierten Krachanlagen und ohrenbetäubender Techno-Musik - wenn man das dumpfe und hirnlose Gestampfe als Musik bezeichnen kann - beteiligen und das doch bisher sehr volksnahe Ereignis regelrecht aufgemischen.
Danach kamen wieder Jahre mit sehr schönen und überraschenden Klängen und Kostümen. Jedoch wurde auch die zunehmende Komerzialisierung spürbar.
Immerhin gab es noch Bühnen, auf denen trotz großer Anlage gute Musik gemacht wurde. Außerdem gab es in der Heilig-Kreuz-Kirche sehr verschiedene kleine Gruppen, die auch meditative Seiten der Musik bedienten.
In den letzten Jahren wurde der Andrang der Zuschauer und Besucher unerträglich und zusätzlich scheinen inzwischen nur noch Leute an den Mischpulten der großen Bühnen zu sitzen, die einen schweren Gehörschaden haben. Es klingt nur noch extrem laut - bis hin zu Ohrschmerzen in ca. 50 m Entfernung - und vor allem nur noch bassig-dumpf. Zu hören ist kaum noch, was die Musiker wirklich spielen und können, schlichtweg eine Beleidigung und Missachtung der Künstler.
Immerhin bemerken es manchmal die Musiker wie ihre Musik versaut wird durch tumbe Bediener der Mischpulte und, wie im letzten Jahr geschehen, von der Bühne steigen, um den Dilettanten zu zeigen, wie die Anlage einzustellen ist.
Wahrscheinlich spielt auch der exessive Alkoholmissbrauch eine Rolle, dass sich die Zuhörer so etwas gefallen lassen.
In der Heilig-Kreuz-Kirche kam es mir in diesem Jahr so vor, als würde das Event zur Bekehrung missbraucht, um die Zuhörer auf einen angeblich rechten Weg zu bringen.
Schade, früher fand ich es ehrlicher, weil man sich in der Kirche mehr am Musikereignis orientierte. Dieses Jahr waren im ausgehängten Plan jede Menge Ansprachen vorgesehen zum Thema Glauben. Als wenn das Mittelalter nicht genug über den Missbrauch der Macht der Kirchen gezeigt hat und das Jahr zu kurz ist, um zu verkündigen.
Übrigens, nachdem ich deshalb heute schnellstens die Kirche verlassen hatte, habe ich auf dem Weg zum U-Hallesches-Tor doch noch tolle Musik gehört.
Die Gruppe "Meltem", überwiegend türkisch, hatte Stücke des Rock und Pop der 70-ger und 80-ger Jahre gespielt, wobei sogar der Sound sowohl von der Lautstärke als auch von der Einstellung her stimmte. Und das beste war, die Leute haben mit Leichtigkeit und Freude aufgespielt ohne den Affen mit verzerrten Gesichtern zu machen und ohne Gehampel von Möchtegern-Stars, einfach überzeugend.
Nächstes Jahr werde ich den "Karneval der Kulturen" nicht mehr besuchen und zu Pfingsten sicherlich Berlin den Rücken kehren. Aber mal sehen, vielleicht finde ich ein Programm, bei welchem die Gruppe "Meltem" aufspielt.