Spannende Perspektiven sind hier aufgekommen!
Ich mach meine Gedanken mal entlang von Zitaten auf, die in mir Zuspruch oder Widerstand erzeugt haben:
*********kshaw:
Ich dachte wir sind in dieser gruppe,weil uns das alles bewußt ist mit der monogamie.
Aber warum polyamor anarchistisch sein soll,versteh ich net.
Zuerst: Ich denke, es gibt verschiedenste Auslegungen davon, was poly* sein kann. Die einen, wie wir hier, verstehen darunter mehr als nur 'Mehrfachlieben', mehrere Liebesbeziehungen einvernehmlich nebeneinander zu führen - die wiederum 'mehr wert' sind als Freund*innenschaften.
Beziehungsanarchie bedeutet für mich politisch-praktisch die konsequente Fortführung meiner gesellschaftskritischen Einsichten in meine Beziehungen zu Menschen hinein ("das Private ist politisch"), die Verneinung der romantisch-zwanghaften Exklusivität von Liebesbeziehungen á la RZB. Biographisch habe ich für mich zunächst poly/die Schlampagne als Lebensentwurf entdeckt, irgendwann später dann den Begriff Beziehungsanarchie entdeckt und ihn für mich als passend empfunden.
Ich denke darum durchaus, dass Poly* und BA nicht so weit voneinander weg sind.
Und ich glaube im Gegensatz zu Sissy_Hankshaw nicht daran, dass "uns das alles bewusst ist" - nur, weil eine*r nicht monogam-heterosexuell lebt, muss si*er längst keine Kritik an der heterosexistischen Normalität formuliert haben. Es gibt genügend unpolitisch vor sich hinlebende LGBT*s und poly*s. Mensch kann auch einfach - ganz ohne gesellschaftskritische Perspektive auf diese Normen - das (Mehrfachlieben-/ LGBT*-)Leben genießen, ohne sich nen Kopf zu machen. Und das ist aus meiner Sicht vielleicht diskutierbar, aber ihre Entscheidung und die spreche ich ihnen nicht ab.
Insofern, um damit als Antwort auf die oben zitierte Frage auf meine Motivation, den Artikel zur Diskussion zu stellen, zurück zu kommen: Ich finde es wichtig, sich immer auch wieder die Implikationen eines L(i)ebens neben üblichen Wegen klar zu machen. Der Artikel gibt meines Erachtens sehr schön Beobachtungen einer Person (
Frau - vielleicht nicht ganz unwichtig..) wieder, wie monoamor lebende Menschen auf sie reagieren und dreht den Spieß in diesem Blogartikel auf (aus meiner Perspektive) erfrischende Weise um.
*******eta:
Yeap, das mit dem nicht objektiven Unterton der Autorin habe ich ebenfalls als unangenehm empfunden & würde in der Realität auch nach ein-zweimal Anmerken der mangelnden Objektivität aus einem solchen Gespräch herausgehen ...
Bei dem Artikel handelt es sich um einen Blogbeitrag. Das Blog, so unter "about" zu lesen, hat nicht den Anspruch, objektiv zu sein. Die Autorin formuliert nicht nur in diesem Beitrag eine klare Kritik an sexistischen, hetero- und mononormativen Zuständen, Abwertungen des eigenen Lebensstils und Diskriminierungen, die sie immer wieder erfährt. Das objektiv zu formulieren, käme mir vermutlich eher merkwürdig vor. Insofern: Da es sich hier um einen Blogeintrag und nicht ein Angebot zur Diskussion handelt, eine subjektive Perspektive, die hier nun halt umfassend ausgeführt werden muss (weil keine*r nachfragen kann und Gedanken auf dem Papier entwickelt werden), finde ich die subjektive Formulierungsweise absolut okay - mich daran zu reiben, ist dann ja das spannende.
Der Punkt, den sie um die Überschrift herum entwickelt, ist doch tatsächlich ein nicht-objektiver, nicht-wertfreier: Sie sagt "I get Monogamy", weil sie
muss ("To be honest, I say these things because I have to.") - monoamor Lebende müssen genau das poly* Menschen gegenüber nicht. Sie haben mit ihrem als Norm gesetzten Lebensstil 'das Recht' (zumindest ist das eine der o.g. Implikationen, mit denen wir umzugehen haben), andere L(i)ebensweisen abzuwerten, als nicht lebbar abzutun. Ich übersetze mal den Absatz ("What I think is notable [...] valid et all."), der mir da wichtig erscheint :
Ich denke, der springende Punkt hier ist nicht, dass ich Monogamie nicht verstehe, sondern wie viele Menschen Polyamorie nicht verstehen und das - regelmäßig, laut - ohne Widerstand kundtun. Wie oft habe ich schon gehört: "Wow, ich könnte das nicht," "Aber wie soll das überhaupt funktionieren?", "Aber wie kannst Du eine*n wirklich lieben, wenn Du es okay findest, dass si*er mit wem anderes schläft?", "Ich hatte ein*e Freund*in, die das mal probiert und si*er war unglücklich und hat nach ein paar Monaten wieder damit aufgehört," "Das ist einfach falsch," "Warum kannst Du nicht einfach mit einer Person zufrieden sein?", "Das klingt einfach so furchtbar!"? Sehr oft. Und im Gegensatz zu mir sagen diese Leute nicht wenigstens "Aber ich glaube dir, wenn Du sagst, dass das für Dich funktioniert." Sie streiten in der Regel ab, wenigstens implizit, dass meine Gefühle auch nicht die geringste Berechtigung haben.
Und deshalb sehe ich folgendes
*******eta:
Mir ist letztlich bis zu gewissen Punkten egal, was wer lebt & wie ...
auch eher ambivalent.
(
Wobei ich lese, Lady_Greta, dass Du schreibst "bis zu einem gewissen Punkt" und nicht unterstelle, dass Du das anders siehst! Ich schreibe hier erstmal nur über die Gefühle, die bei diesem Satz aufkommen. Bitte verstehe das nicht als Angriff, sondern meine Assoziation und Angebot zur Antwort/Diskussion.)
Ja, mir ist das erst einmal auch egal.
Mir ist es aber nicht egal, wenn Leute, sogar vormals gute Freund*innen, mir sagen, dass das nur eine Phase ist, dass ich nur zu oft enttäuscht worden bin und deshalb nicht mehr zu einer festen, innigen Bindung fähig sei, dass "Männer viel besser zu mir passen" (genau so gesagt bekommen), dass poly* bedeute, ich würde nicht richtig lieben (die Autorin schreibt auch dazu eine schöne Replik), dass ja die gescheiterte Beziehung zu XY beweise, dass poly* nicht funktioniert, ...
Die Reihe der Äußerungen, die meinen L(i)ebensstil aberkennt und Monogamie zur einzig gültigen und lebbaren Beziehungsform erhebt, ist quasi unendlich. Mir ist das nicht egal. Ich kann nicht einfach so tun, als wäre es okay für mich, dass Menschen meinen Lebensstil nicht anerkennen, insbesondere Menschen, denen ich nahe stehe (stand). Da wird es dann auch irrelevant, ob es mir eigentlich egal ist, weil ich trotzdem in die Diskussion gehen und mich auf eine Auseinandersetzung über Mono, Poly*, BA einlassen muss.
Ja:
muss. Für mich ist das ein wichtiger Punkt meines kritisch-politischen Daseins, Kritik an der Abwertung auch sichtbar zu machen, meinen L(i)ebensstil als anerkennungswürdigen sicht- und diskutierbar zu machen.