Hallo und vielen Dank für die Aufnahme in diese Gruppe,
ich lebe schon seit einigen Jahren sehr offen das Feld der Freundschaften und Partnerschaften aus. Länger, als mir die Idee des Beziehugnsanarchismus bekannt war. Die "Entdeckung" dieser gab vielen Überlegungen, die ich vorher bereits hatte einen Begriff und einige neue Perspektiven. Da ich selbst ein Mensch bin, der stark dem Feld der Philosophie zugewandt bin und stets versuche, Konzepte und Ideen, die mich überzeugen, in mein Alltagsleben zu implementieren, interessieren ich sowohl die theoretischen und begrifflichen Aspekte rund um den Beziehungsanarchismus, wie die praktischen Erfahrungen anderer (und das Teilen meiner eigenen).
Mein Weg zum Beziehungsanarchismus bzw. Übergang zu offenen Beziehungskonzepten begann mit gescheiterten monogamen Beziehungen und der Reflexion auf Ursachen des zwischenmenschlichen Scheiterns fernab der anerzogenen „Topf-Deckel- Rhetorik“ und der beschwichtigenden Versprechen, es gäbe eine Person, die das alles lösen könne. Dass dies soziale Konstrukte sind, die uns recht konstant und konsistent als normale und anstrebenswerte Form des Liebens vorgelebt und verkauft werden ,ist recht leicht zu erklären. Polyamore Bezeihugnsformen haben für mich stets nur einen mäßigen Ausbruch daraus dargestellt, da sie auf die Probleme der Monogamie zurückfallen. In meinen Augen wird in diesen Formen der geschlossenen Partnerschaft oder Partnerschaften stets Liebe mit Besitz verwechselt. Die „eine Person“ oder „Personen“, die Partnerin oder Partnerinnen werden in irgendeiner Form stets als Eigentum dargestellt, wenn oft auch ausgesprochen unterschwellig und vermeintlich emanzipiert oder halt so offensichtlich, dass man den Wald vor Bäumen nicht sieht (Stichwort „Mein Schatz“). Einerseits ist dies herabwürdigend für jede Person, in irgendeiner Form als ein Objekt dargestellt zu werden, auf welches irgendjemand Vorrecht habe und eine Art der Nutzungs-Ökonomie einführt. Andererseits widerspricht dieser, in meinen Augen gewaltsame, Akt der Aneignung jeglicher Definition von Liebe, die ich mitgehen würde. Ich bezweifel, dass viele Menschen in festen Beziehungen zugeben würden, dass sie ihre „bessere Hälfte“ als Besitz bezeichnen, auch wenn den meisten Bezugnahmen auf jene Person die Pronomen „mein“ oder „meine“ voraus gehen. Doch sind es die stillschweigenden Handlungsformen, diese aktiven wie passiven Akte der Vereinnahmung, die doch immer wieder Handlungsspielräume und Freiheiten für die Person oder Personen eingrenzen, die man meint zu lieben. So herrscht unglaublicher emotionaler Druck vor, den viel zu viele Menschen selbstredend hinnehmen, weil ihnen von klein auf erklärt wird, wie sie zu lieben haben.
Nach diesen und vielen weiteren Einsichten, die in dieser Gruppe sicher auf ein allgemeines Grundverständnis stoßen, habe ich wie oben angesprochen irgendwann meinen Weg zum Bezeihungsanarchismus gefunden. Sozusagen getrieben von der Frage: Wie können wir Menschen lieben ohne uns Gewalt anzutun? Führte da kein Weg herum und ist auch aktuell die für mich beste Form meine eigenes Leben und meine Freundschaften zu betrachten. Es ist zwar schwer einen offenen Austausch mit Gleichdenkenden führen zu können, da die meisten Menschen in meinem Freundeskreis eher den herkömmlichen Bezeihugnsformen nachleben aber sie sind für Diskussionen stets offen. Was mich bei neuen Bekanntschaften insbesondere fasziniert ist allerdings, wie die Idee des Beziehungsanarchismus vielen Menschen aus der Seele zu sprechen scheint, die vorher wohl nicht den Mut hatten, radikal die anerlernte (wenn nicht sogar indoktrinierte ^^) Art zu Lieben zu hinterfragen. Probleme wie Eifersucht, Zukunftsängste wie „Torschlusspanik“ oder Anpassungszwänge an nahe stehende sind in meinen Augen durch diese Idee durchaus zu überwinden und können sehr vielen Menschen ein lebenswerteres Leben ermöglichen, die sich sonst nur durch Beziehungen quälen, die sie nur führen, weil sie eine Art Pflicht dahinter sehen. Freundschaften frei zu leben, Freunden sagen zu können, dass man sie liebt, ohne je in irgendeiner Form intim werden zu wollen, einfach nur, weile sein genuines Gefühl ist ohne irgendwelche Hintergedanken. Sich für eine Geliebte Person freuen, wenn diese eine super Verabredung hatte. All dies sind Momente, die einem eine einfache Geisteshaltung gegenüber Liebe und Beziehung bescheren kann, die ich sehr zu schätzen gelernt habe und deswegen die Idee des Beziehugnsanarchismus lebe.
Ich hoffe, in dieser Gruppe viele Gleichgesinnte zu treffen und einige lebhafte Diskussionen führen zu können. Für mich ist Beziehungsanarchismus nach wie vor ein offenes Konzept, wie gesagt eine Idee, welche sicher viele Formen und Handlungsfelder hat und die, wie so ziemlich alles in einer Gesellschaft, mehr Prozess als Dogma ist.