„Familiengeflecht oder verschiedene Inseln Modell?
Womit habt ihr bisher bessere /gute oder eher nicht so gute Erfahrungen in der individuellen Beziehungsgestaltung gemacht :
Möglichkeit a das individuelle Beziehungsgeflecht verflechtet sich miteinander (ähnlich einer Triade oder großen Familie)
B, Das individuelle Beziehungsgeflecht hat voneinander excludierte Bereiche und exklusive Momente (alles Freiwillig natürlich)
C.Eine Mischkalkulation aus Geflecht und Exklusivzeit einzelner Teile.
Ich glaube, dass diese Frage eine sehr grundlegende Frage ist. Es reicht nicht aus hier nur annekdotisch zu beschreiben, wie individuelle Probleme gelöst werden. Ich möchte vorweg schicken, dass ich kein Beziehungsanarchist bin und der Idee auch eher ablehnend gegenüber stehe. Ich hoffe trotzdem niemanden mit meiner Argumentation vor den Kopf zu stoßen.
„Mich interessieren jetzt nicht theoretische Modelle , denn die kenne ich sondern eure persönlichen Beziehungsgestaltungen in einem Geflecht von 3 oder 4 Kernmenschen und nach außen Freundschaft /Sexualität offen.
Ich denke es geht um die Balance zwischen Sicherheit /Angst des Verlassen werden und Freiheit Angst vor Vereinnamung.
Ich glaube das ist eine Herangehensweise, die sehr aus den eigenen Befindlichkeiten und Gefühlen entsteht. Beziehung ist jedoch deutlich mehr. Vor dem Hintergrund, dass wir alle irgendwie nach Glück streben und dies versuchen in Freiheit zu finden, ist das einfach nur ein Ausdruck des Zeitgeistes. Ich hole jetzt sehr weit aus und gucke auf die Entscheidung deutlich philosophischer.
Wir haben ja ein Jubiläumsjahr eines großen deutschen Philosophen: Hegel. Dieser setzt die Familie als Kern der Gesellschaft und als kleinste Form der Gemeinschaft. Die Idee hinter dieser subsidären Struktur ist die gegenseitige Hilfe innerhalb der Familie. Es ist für Hegel die kleinste Einheit in einem Staat, woraus auch folgt, dass diese Einheit vor dem Zugriff dieses Staates geschützt ist.
In den letzten Jahrzehnten findet eine Diskussion statt, was diese Familie eigentlich ist. Mitte des letzten Jahrhunderts war relativ klar, woraus solch eine Familie bestand: Vater, Mutter, Kinder. Inzwischen haben wir durch Homoehe und das daraus erwachsene Adoptionsrecht die Familie zumindest dahingehend erweitert. Gleichzeitig ist aber auch die strake Entwicklung hin zu Singlen eine zumindest starke Triebfeder das verklärte Bild der heilen Familie, das uns von CDU-Wahlplakaten anlächelt zu hinterfragen.
Soviel zur Einleitung, woher ich komme. Die Frage nach der Art polyamorer und beziehungsanarchischer Lebensfrom ist eine gesellschaftlich hochaktuelle. Sie wird nur nicht geführt. Der Dissenz zwischen romantischer Idealvorstellung und gelebter und beobachtbarer Realität ist allgegenwärtig. Alleinerziehende, unfreiwillige Single, verwirrte Männer (aufgrund der wankenden Rollenbilder) passen nicht mehr in das Bild der für einander einstehenden Familie. Der Individualisums, das Streben nach persönlichem Glück, die Idee der Freiheit von äußeren Zwängen, der Anspruch auf Wohlbefinden trifft auf eine komplexe Welt, die ihre Normen verliert. Entscheidungen müssen in fast allen Lebensbereichen selber getroffen werden: Partnerwahl, Jobwahl, Wahl des Verhaltens bzgl. Klima, Flüchtlingen, Corona und und und. Da ust die Wahl des eigenen Familienmodels nur eine weitere von Vielen.
Was uns zur Frage der TE zurück bringt. Nach welchen Kriterien sollte man das Auswählen? Ist wirklich nur das eigene Wohlbefinden und das eigene Streben nach Harmonie entscheidend? Sind da nicht noch ganz andere Elemente von Bedeutung? Wie steht es mut der Freiheit? Nicht nur der Freiheit von Zwängen, sondern auch der Erweiterung von Möglichkeiten? Was ist mit Subsidiarität? Wie stehen die Beziehungen füreinander ein? Was ist mit Verbindlichkeiten? Worin sollen diese bestehen? Wie weit sollen sie reichen?
Je nachdem welche Erwartungen ich an Familie habe und wie sehr ich Familie als subsidiäres Konstrukt akzeptiere, fällt diese Entscheidung anders aus. Die oersönlichen Befindlichkeiten der Mitglieder sind dabei dann recht schnell gar nicht mehr so wichtig.
Genau dieser Gedanke ist einer, der der Beziehungsanarchie sehr entgegen steht. Das wird häufig mit fehlender Verbindlichkeit gleich gesetzt, trifft es aber nicht ganz. Denn die BA setzt nur die herausgehobene Stellung der familiären Beziehungen infrage. Das tue ich nicht. Ich stelle für mich nur die Definition von Familie infrage.
Familie ist also definitiv eine Wirtschaftsgemeinschaft. Gemeinsames Haushalten bietet Sicherheit und gleichzeitig erhöht es den Freiheitsgrad aller Beteiligten durch "Synergieeffekte". Familie ist definiv eine Wertegemeinschaft. Für einander einzustehen und miteinander Aufgaben (Kinder, Haus, Urlaube, Altersversorgung) anzugehen erfordert eine gemeinsame Vorstellung der Ziele. Familie ist eine strukturelle Gemeinschaft der Arbeitsteilung. Alltag will organisiert werden. Völlig gleichgültig, ob dieser in gemeinsamem Bad und Küche gelebt wird, oder verteilt ist, verteilen sich auch Zuständigkeiten und Aufgaben.
Die Frage ist also die gleiche, nur die Kriterien sind mehr als nur Befindlichkeiten.
„Mich würden also vor allem Praxiserfahrung interessieren wie die Vereinbarungen sind die gelingen.
Nach so viel Theorie möchte ich trotzdem noch meine Lebenssituation schildern. Der Zustand ist momentan, dass unser Geflecht vor gut einem Jahr gemeinsam aus verschiedenen Orten in die gleiche Stadt zusammengezogen ist. Es sind noch immer zwei Wohnungen, doch der Grad der Verflechtung ist bereits sehr spürbar. Mit einer meiner beiden Partnerinnen und ihrem Ehemann lebe ich in der einen Wohnung zusammen. Mit meiner anderen Partnerin und den Kindern in der anderen. Möbel, Urlaube und Miete werden gemeinsam bewältigt. Aber die Integration als eine Familie ist noch nicht abgeschlossen.
Spannungen ist Teil des Lebens. Die zu vermeiden ist sogar schädlich. Es ist viel besser zu lernen mit diesen umzugehen und sie auszuhalten. Der Drang nach den eigenen momentanen Befindlichkeiten zu handeln, ist zwar ein scheinbar moderner, aber er ist auch leer und völlig konsumgetrieben.
Unsere Vereinbarungen beinhalten die Absicht ein weiteres Kind in die Welt zu setzen. Das führt zu Verzicht bei allen "Familienmitgliedern" um das Risiko von STIs zu minimieren. Unsere Vereinbarungen sehen langfristige Ziele vor. Ja, das erfordert oft Beziehungsarbeit und fast immer das Aushalten von Spannungen und das Lösen von Konflikten. Ja, dadurch gibt es Phasen, die nicht so glücklich, rosig und schön sind. Wie in jeder Familie. Gemeinsame Ziele, Werte und Entwicklung sind das aber wert. Wir machen es uns viel zu einfach, wenn wir uns in den eigenen Gefühlen verlieren und unsere lächerlichen momentan Befindlichkeiten zum Maßstab unserer Lebensentscheidungen machen.
Familie erhöht den Möglichkeitenraum und damit die Freiheit ihrer Mitglieder. Die Verbindlichkeiten untereinander schützen gegen Unsicherheit. Familie ist ein Stück Heimat. Familie hat Nachteile. Familiäre Verpflichtungen schränken die individuelle Freiheit ein. Aber individuelle Freiheit ist ein Trugschluss unserer Gesellschaft. Gerade die Pandemie hat uns gezeigt, wie zerbrechlich individuelle Freiheit ist und wie mächtig bürgerliches Verhalten sein kann. Wir sind eben nicht nur Individuen (Ich nicht!). Wir agieren auch zusammen. Und da sind die eigenen Befindlichkeiten even schnell nicht mehr ganz so wichtig.
Ist jetzt sicher viel zu lang geworden, aber ich plädiere dafür sein Geflecht nicht nur nach Kriterien der Befindlichkeiten und der Harmonie zu organisieren. Familie und Subsidiarität scheinen unmodern zu sein, aber sie sind es wert ausprobiert zu werden, solange Familie neu gedacht wird. Ganz freiwillig. Zukunftsgerichtet.