Ich hab die Erfahrung gemacht, dass ich nicht wirlich beschreiben kann, warum ich Motorrad fahre, bzw. was ich dabei empfinde.
In den letzten 29 Jahren hab ich über 500.000km auf eigenen und noch einige auf fremden Motorrädern zurück gelegt.
Wobei mir das Wetter, wohl anders als dem Threaderöffner egal ist.
Am Donnerstag bin ich knapp 600km von den Dolomiten zurück gefahren, wobei ich ne große Schleife gemacht hab.
Ab dem Stilfser Joch abwärts in Richtung Reschenpass hat es ordentlich angefangen zu regnen ... Meinem Spaß hat das keinen Abbruch getan.
Gut, ich bin keiner von der Streetfighter-Fraktion, fahr halt so, dass ich auch noch Zeit zum Schauen hab. Und zur Chromfraktion gehör ich auch nimmer, weshalb ich hinterher keine Putz-Orgien befürchten muß.
Na ja, ich bin schon oft gefragt worden, weshalb ich das tue und hab schon oft versucht, das auszudrücken. Von den kläglichsten Versuchen bisher der, der wenigstens ein klein wenig meiner Gedanken und Gefühle wieder gibt:
Du fragst Dich, was tut dieser Mensch da draussen im Regen?
Wieso bei dieser Kälte?
Oder Du denkst: Warum - während Du mit Deiner Familie im warmen Auto sitzt und gemütlich die Landstrasse entlangrollst, Radio hörst, Dich mit Deiner Frau und Deinen Kindern unterhältst - warum um alles in der Welt, fährt der ein Motorrad?
Um allein im Regen zu frieren?
Aber, wenn Du das fragst, hast Du nichts, gar nichts verstanden.
Denn der Regen macht Dich klein und er macht Dich groß.
Klein und demütig wie einen begossenen Pudel der sich duckt - und groß wenn Du ihm stundenlang trotzt. Wenn sich das Hemd unterm Kragen der Jacke vollgesogen hat, und das T-Shirt. Du spürst es nicht, denn Du wärmst den Regen mit Deinem Körper. Die Handschuhe sind durch, Du spürst nicht, dass sie patschnass sind, sie fühlen sich nur feucht an, während das Wasser bereits beginnt sich im vorderen Teil der Schuhe zu sammeln, der zur Strasse zeigt.
Du wirst zum Pferd auf einer Weide, zum weidenden Rind in einer endlosen Steppe aus Wasser. Wirst zum Falken, der peilschnell dahinfliegt, den Blick weit nach vorn gerichtet und dabei elegant den Hindernissen ausweicht. Du wirst zur Raubkatze, spürst die Geschmeidigkeit und Kraft, die Dich vorwärts treibt.
Und Du fährst und siehst die Tropfen die vom Visier rinnen und sich in Deinen Bart sammeln. Wenn Du dann nach Stunden wieder zu Hause bist, schüttelst Du Dich und überlegst, ob Du das wieder tun wirst.
Und Du wirst es wieder tun.
Denn die nassen und die kalten Tage sind nur die eine Seite der Medaille und nicht die schlechteste obendrein.
Was Dich wirklich einfängt, hält und nicht wieder los lässt, das ist der Wind.
Der Wind, der im Bart spielt, der an der Hose zerrt, der hineinkriecht in die kleinsten Ritzen Deiner Kleidung, der Dir die Tränen in die Augenwinkel treibt, sie trocknet und kleine Salzkrusten hinterlässt.
Der Wind, der Dir tausend Gerüche zuträgt, den Bratenduft zu Mittag in den Dorfstrassen, den Duft des nassen Laubs in den Wäldern, den Geruch früher Grillabende am Wochenende, die Blume frisch gefällter Bäume, den harzigen Atem der Sägewerke. Das frisch gemähte Gras, die sommertrockene Landstrasse, der süsslich-feucht-modrige Geruch des Moores, die schwüle, stickige Luft der Vorstädte, all das trägt Dir der Wind zu und witternd tauchst Du ein in die Wirklichkeit der Welt.
Am Steuer Deines Autos siehst Du nur einen Werbefilm, dem Du so wenig Glauben schenkst, wie allen Werbefilmen, Du siehst nur diesen winzigen Ausschnitt der Realität durch die Frontscheibe und versinkst in Gedanken, bohrst in der Nase und grübelst oder flüchtest sich in Phantasien.
Auf dem Motorrad bleibt Dir keine Zeit, Dich nach innen zu kehren.
Du nimmst unmittelbar teil und unmittelbar wahr.
Wirst ein Teil der Elemente und deren Spielball.
Unter Dir rüttelt die Strasse im Rhythmus brandender Bodenwellen und Du hüpfst im Sattel wie ein kleines Kind und könntest schreien vor Glück.
Du wirfst Dich in die Kurve, tauchst hinein in das Spiel der Kräfte, wirst Teil ihrer kuriosen Choreographie und tanzt Deinen Part bis zum Kurvenausgang.
Bist ruhendes Auge eines Wirbelsturms und spürst doch dessen Gewalt.
Du führst sie und drückst sie, schiebst sie mit dem Knie.
Jeder Fehler den Du machst wirkt sich unmittelbar aus. Es gibt kein Vertuschen, kein Verheimlichen, die Naturgesetze sind unbestechlich.
Du wirst zu einem Maschinentier, verschmilzt mit dem Motorrad unter Dir, kraftstrotzend schwer wie ein Stier und pfeilschnell wie ein stürzender Falke. Deine Hufe dreschen den Boden, Deine Flügel streichelt der Wind.
Du entwickelst Vorahnungen für Dinge die eintreffen.
Du handelst.
Es ist Motorrad-Zen .. Meditation auf zwei Rädern