Übergriff durch Hilfe
Der Übergriff begleitet mich als Lernfeld schon geraume Zeit. Mit ihm Hand in Hand ging das Thema Achtsamkeit. Kürzlich entdeckte ich durch den inspirierenden Austausch mit einem lieben Freund eine weitere Variante: Wie übergriffig Hilfe sein kann und, noch erhellender, warum will ich denn helfen?
Dass man mit Ratschlägen vorsichtig sein soll, hat vermutlich fast jeder schon mal gehört. Unwillkommene Ratschläge können Schläge sein.
Aber konkrete Hilfe, wenn jemand vor Deinen Augen leidet? Sozusagen im übertragenen Sinne psychisch ertrinkt und Du hast das Seil, das ihm raushelfen könnte?
Jemand steckt in Mustern, Verhaltensmustern allgemein oder in Beziehung beispielsweise, fest und leidet furchtbar. Es wiederholt sich dauernd. Du als Außenstehender hast es erkannt und möchtest helfen. Du hast diesen Menschen sehr gerne oder liebst ihn sogar.
Du fühlst mit dem anderen und vor allem: Du willst ihn glücklich sehen.
Klingt vertraut? Wie geht Ihr damit um?
Wenn der andere bereit ist anzuhören, was wir zu sagen haben, ist alles einfach. Wir sind für denjenigen da und dürfen Teil nehmen am Heilen oder Wachsen. Wir freuen uns und sind dankbar. Wir fühlen uns gebraucht und wertvoll als Helfende. ( schmeichelt dem Ego )
Wenn er aber nicht zuhören will? Er macht dicht, lehnt es ab über das Thema zu sprechen und geht auf Distanz? Wird beim Hilfsangebot schon ärgerlich?
So richtig deutlich wurde das Thema für mich durch einen Freund, der jegliche Hilfe ablehnt, weil sie ihn an die Übergriffe seiner Mutter erinnern. Die ihn liebt und immer helfen wollte. Gerade deshalb. Was hat sie hinterlassen? Einen Menschen, der sich nicht angenommen fühlt wie er ist.
Manchmal brauchen wir alle Hilfe. Schwäche und Hilfsbedürftigkeit kennen wir alle. Jeder geht anders damit um.
Kürzlich traf ich diesen Freund und er wirkte sehr traurig. Ich habe ihn noch nie so gesehen. Und ich wusste nicht: Darf ich es überhaupt ansprechen? Ich sah ihm zu, wie er sich und mich davon abzulenken versuchte. Sehr gerne hätte ich ihn in den Arm genommen.
Ich ließ es bleiben. Mir wurde aber bewusst wie sehr ich helfen wollte. Wie sehr ich ihn anders sehen wollte. Es belastete mich.
Später sprachen wir darüber. Ich komme gut zurecht mit meiner Traurigkeit, sagte er. Ich empfinde sie nicht als etwas Negatives. Sie gehört zu mir und sie geht auch wieder. Lass sie mir bitte und lass das helfen wollen....
Ich verstand wie weise er selbst damit umgehen kann und dass ich ihn für hilfsbedürftiger gehalten hatte, als er ist. Durch mein helfen wollen habe ich zudem auch ihm die Fähigkeit abgesprochen , es allein zu lösen...
Ich verstand, dass ich mit dem Glaubenssatz rumlaufe, dass glücklich sein gut ist und traurig sein oder leiden ist schlecht. Scheint normal. Nun habe ich aber inzwischen gelernt , dass wir durch leiden lernen. Masochisten stehen drauf. Also ist meine Einstellung sehr subjektiv und emotional. Ich vermeide leiden und traurig sein und möchte es auch bei den Menschen um mich weg haben.
Aber sie lernen dadurch. Nicht jedes Leid ist per se schädlich oder schlecht. Oder hat nur diesen Aspekt....
Sich dem Leid zu stellen , es auszuhalten und die Blockade dagegen aufzugeben, stärkt das Selbstbewusstsein. Es kann im BDSM ein Weg sein , ein Machtgefälle erfahrbar zu machen oder Hingabe in intensiver Form erlebbar.
Warum also will ich allen helfen nicht traurig zu sein und leide im Grunde zu häufig mit, statt nur mitzufühlen?
Ich fand ein Erlebnis aus der Kindheit. Meine verzweifelte weinende Mutter fürchtete wegen einer Erkrankung um ihre Schwangerschaft mit meiner Schwester. Ich war 3 Jahre alt. Meine Mutter weinend zu erleben war furchtbar. Kinder spüren da sehr stark mit. Ich versuchte sie zu trösten indem ich ihr meinen großen geliebten Teddy schenkte.
Wenn ich jetzt jemand traurig erlebe, möchte ich ihm jedes Mal wieder meinen Teddy schenken. Und habe Mühe mich zurück zu halten.
Ich habe jetzt gelernt, welchen Schaden zu große Mutterliebe anrichten kann. Dass ich meine Hilfe nur geben darf, wenn der andere dafür bereit ist.
Dass meine geliebten Menschen leiden dürfen, wenn das ihr Weg ist.
Ich habe verstanden, dass aus guter Absicht und Liebe dennoch ein Übergriff entstehen kann.
So kann scheinbar Gutes durchaus negative Folgen haben und scheinbar Schlechtes positive....
Wie erlebt Ihr das? Wird Euch oft geholfen ohne dass Ihr es wollt? Oder passiert es Euch eher, dass Ihr helfen wollt und damit aneckt?
Mischen sich andere ständig in Euer Leben oder fühlt Ihr Euch zum Therapeuten Eurer Lieben berufen?
Und vor allem: Warum?