Ja klar gibt es auch immer Ausnahmen. Ich schrieb ja auch einige Männer und nicht alle Männer. Und es gibt Frauen, die mit einem Helfersyndrom durch die Gegend laufen. Die waren meistens aber nicht so ungestüm, dass sie direkt mit irgendeiner Hilfestellung begonnen hatten. Da wird meist erst mal ein Erörterungsgespräch geführt. Währendessen zeigt sich oft schon, dass es ihr gar nicht so sehr darum geht, mir zu helfen. Aber egal.
Es ging Dir ja um einen Fokus auf Emotionen.
Mir ist aufgefallen, dass wir über unterschiedliche Positionen der Wut sprechen.
Situation 1: Person A macht/ sagt etwas, was mich wütend macht.
Situation 2: Person B ist wütend auf mich, weil ich etwas gemacht/ gesagt habe.
Und dann kommt es auch immer auf den Kontext an.
Im Kundenservice und Beschwerdemangement (Kreditwesen) habe ich nie meine Wut gezeigt. Wut verspürte ich sowieso verdammt selten. Aufgrund meiner inneren professionellen Haltung konnte kaum ein Kunde bei mir Wut hervorrufen (Situation 1) oder mich irgendwie mit seiner Wut anstecken (Situation 2). Selbst wenn ein Kunde persönliche Beleidigungen aussprach, bezog ich diese selten auf meine Person. Dazu musste der Kunde einen außerordentlichen Glückstreffer landen. Doch Wut oder Betroffenheit habe ich auch dann nicht gezeigt sondern mich noch mehr auf meine professionelle Haltung besonnen und meine Wut später am Klavier oder beim Trommeln rausgelassen.
Im privaten Kontext ist meine innere Haltung jedoch eine gänzlich andere.
Da will ich den zwischenmenschlichen Kontakt mit seiner gesamten emotionalen Bandbreite leben.
Sicherlich gibt es auch da Situationen, in denen ich mich zurücknehme. Ich bin kein Kind mehr, welches seinem Umfeld all seine emotionalen Zustände zumutet. Besser gesagt: Ich kann meine Emotionen selbst regulieren und bin da nicht mehr auf meine Mitmenschen angewiesen.
Wenn ich im emotional offenen Kontakt bin, dann kann es sein, dass etwas ad hoc Wut bei mir auslöst. Ich also eine erste kleine Welle Wut aussende. Ich dieser Wut aber nicht weiter nachgehe, weil mir in der konkreten Situation andere Dinge wichtiger sind.
Mein Gegenüber kann diese erste Welle der Wut aber auch wahrnehmen. Ob es das auch tut und falls ja, was es mit der Info anfängt steht auf einem anderen Blatt. Aber wenn ich emotional offen bin, ist diese erste emotionale Welle auf jeden Fall da und sagt etwas über mich aus.
D.h. wenn ich emotional offen bin, dann mache ich mich angreifbar.
Die Mitmenschen bekommen mit, was mir am Herzen liegt und womit sie mich besonders gut ärgern könnten.
In deinen Texten geht es oftmals um deine Verbundenheit mit einem anderen Menschen.
Aber was ist mit anderen Dingen, die dir wichtig sind? Die dir am Herzen liegen?
Emotionen beziehen sich ja nicht ausschließlich auf die Mitmenschen.
Insbesondere Wut bezieht sich nicht auf die Mitmenschen (im Gegensatz zum Hass).
Nehmen wir ein Beispiel.
Ich war zu Besuch bei einem Freund mit Kleinkind.
Nach Jahren vergeblicher Suche schien er endlich ein passendes Stück Land gefunden zu haben auf dem er seinen Lebenstraum verwirklichen konnte. Eine Hofgemeinschaft mit einem Viehwirt, der in Punkto artgerechter Haltung Pionierarbeit leistete. Er selbst betreibt Gartenbau nach Demeterstandart.
Er war noch ganz in den Anfängen.
Spontan musste er für seine Frau einspringen und die Kinderbetreuung übernehmen. Also übernahm ich den ein oder anderen Arbeitsschritt während er die Kleine bespaßte und zwischendurch zeigte er mir was. Währendessen saß sein kleines Töchterchen ganz in der Nähe und spielte weiter mit seinen Puppen. Irgendwann stand es auf, lief zwischen den bereits besäten Saatpaletten herum. Er ging zwischendurch mal zu ihr. Sie beschäftigte sich mit Käfern und Würmern. Er spielte eine Weile mit ihr, ermahnte sie, dass sie nicht an die Saatpaletten gehen dürfe. Und gab ihr Ideen, nach welchen Käfern sie wohl noch suchen könne. Dann zeigte er mir den nächsten Arbeitsschritt "wie man neue Saatpaletten mit Erde befüllt" und wir führten unsere Unterhaltung fort. Plötzlich stand die Kleine da und zeigte Papa voller Stolz all die Pappschildchen, die sie aus den Saatpaletten gezogen hatte.
Seine Reaktion:
"Och nöö! Das kann doch nicht wahr sein!"
Er nahm die Pappschildchen, wendete sich rasch ab, eilte zu den Saatpaletten, die bereits mit Saat befüllt waren und meckterte herum. "Die brauch ich doch!.. Wo waren jetzt die Kohlrabi?...
Das macht mir doch alles kaputt!... Mann, ist das doof!... In welchen Paletten hatte ich den Spitzkohl? Hier vielleicht?.. Das ist doch total doof!
Ich muss doch wissen, was wo drin ist. Damit ich die Saat richtig bewässern kann. Damit meine Pflanzen wachsen! Wenn ich die falsch bewässer, dann geht mir doch die Saat kaputt! Dann war meine ganze Arbeit umsonst! Total doof.
"
Die Kleine hatte angefangen zu weinen und zu plärren als Papa sich abrupt abgewendet hatte. Aber er ließ sie seine Verärgerung und seine Sorge um seine Saat miterleben. Er mopperte vor sich hin, während er Schadensbegrenzung betrieb und die Pappschildchen wieder in die Paletten steckte. Hier und dort musste er raten, ab welcher Palette er mit welcher Saat begonnen hatte. (Bei einem Dutzend Saatpaletten ist die Saat nicht aufgegangen. Falsch geraten.)
Dazu muss ich sagen, dass die Wut, die er vor den Augen seines Kindes auslebte, nur ein Bruchteil seiner tatsächlichen Wut über die entstandene Situation war. Er lebte die verniedlichte Form eines Wutanfalls. Aber seine Verärgerung war echt und zu Genüge spürbar.
Und bis auf wenige Augenblicke, in denen sie Papa beobachte, weinte sie. (Btw. Meine Nähe wollte sie nicht. Sie kannte mich ja erst seit anderthalb Tagen.) Ja klar, hatte sie das nicht gewollt. Sie wollte ihren Papa doch was tolles zeigen, was sie gefunden hatte. Dabei hatte sie wohl das Verbot an die Saatschalen zu gehen nur im Zusammenhang mit den Käfern beachtet. Und nun war Papa verärgert, hatte ihr einfach so die Schildchen weggenommen und sich auch noch von ihr abgewandt. Ihr ging es um sie und ihren Papa. Doch Papa ging es gerade um seine Saatpaletten und Schildchen. Das sah sie. Die Sache war für Papa verdammt ärgerlich und er sorgte sich um diese komischen Paletten. Das erlebte sie mit. Und genau darum ging es. Auch, wenn sie in dem Alter noch nicht verstehen konnte, wieso, begriff sie, dass diese Schildchen und Saatpaletten für ihren Papa sehr wichtig waren. Wichtiger als viele andere Sachen. Allein mit Worten hätte man das einem Kind in dem Alter nicht begreiflich machen können.
Das Weinen wegen seines abrupten Abwendens hatte erst zugenommen. Dann verstummte sie und beobachtete ihren Papa sehr aufmerksam bei der Schadensbegrenzung. Plötzlich schien sie die Situation zu begreifen und plärrte so richtig los. Das zweite Mal war es wesentlich dramatischer.
Er ging dann auch zu ihr und nahm sie in den Arm, um sie zu trösten. Er redete sanft mit ihr.
Er habe sie lieb. Und er wisse doch, dass sie nur die Welt entdecken und ihm tolle Dinge zeigen wolle. Aber er habe ihr verboten an die Saatpaletten zu gehen. Und es sei wichtig, dass sie sich an Verbote halte. Die Schildchen - er hatte immernoch ein paar in der Hand - die hat Papa in die Saatpaletten gesteckt. Und da müssen die auch bleiben. Sie dürfe keine Schildchen aus der Erde ziehen. Das dürfe sie nie wieder tun. Und sie nickte und die beiden kuschelten noch eine Weile.
Das ist nun ein paar Jahre her. Und die Kleine hat eine echt starke Persönlichkeit entwickelt. Sie hat die Fähgkeit zu unterscheiden, zwischen der Wut über etwas und einem persönlichen Angriff. Im Gegensatz zu anderen Kindern fühlt sie sich nicht jedes Mal ungeliebt, sobald irgendwer in ihrem Umfeld mal über irgendwas wütend wird.
Also auf Situation 2 bezogen: Wenn ich im offenen emotionalen Kontakt mit einer Person stehe und diese Person plötzlich wütend über etwas wird, was ich gesagt oder getan habe, dann werde ich auch nicht wütend. Dann fühle ich zwar persönliche Betroffenheit. Schließlich war ich der Auslöser. Aber die Wut bzw. das Ausmaß der Wut nehme ich primär als Selbstauskunft meines Gegenübers wahr. Also dass da etwas für ihn dumm gelaufen ist und wie wichtig ihm die Sache ist. Angst um den Verlust unsere Beziehung verspüre ich in dem Moment verdammt selten (dazu bräuchte es mehr als bloß die Wut meines Gegenübers).
Diese Wahrnehmung habe ich, seitdem ich denken kann.
(Das ist eine sehr gesunde Grundeinstellung zur Wut, die ich glücklicher Weise Dank meiner Eltern mit auf den Weg bekommen habe.)
Bei Menschen, die immer wie ein Rumpelstilsken laut los poltern, kann ich ad hoc auch nicht einschätzen, wie wichtig ihm die Sache gerade ist. Die sind genauso schlecht lesbar wie Menschen, die ihre Wut nicht offen zeigen bzw. eine professionelle Haltung einnehmen, durch die erst gar keine Wut entsteht.
Beides erzeugt bei mir das Gefühl von einseitiger emotionaler Distanz.
Sicherlich ist das auch eine Art von Selbstschutz.
Aber vertrauenserweckend ist das nicht.
Auf Situation 1 bezogen: Damit, mir selbst zu erlauben, Wut haben zu dürfen und auszudrücken stand ich einige Jahre auf dem Kriegsfuß. Ich hatte von meiner Mutter gelernt: "Zeig deine Wut nicht. Bewahre Haltung. Sonst wissen die anderen Kinder erst Recht, womit sie dich ärgern können." Das stimmt einerseits zwar. Es gibt Situationen, in denen das die bessere Strategie ist. Aber für Beziehungen mit Menschen, denen ich vertrauen kann, war das kontraproduktiv.
Und mein eigentliches Problem mit Wut lag auch ganz woanders. Als ich noch sehr klein war, litt meine Mutter unter Depression. Sie hatte den Tod meines älteren Bruders noch nicht verarbeitet. Sie tat zwar alles, um ihre Krankheit von uns Kindern fern zu halten. Doch als ich eines Tages zu Recht wütend wurde, wurde meine Mutter suizidal. Was da bei mir hängen geblieben war, war, dass meine Wut tödlich sein könnte. Deswegen war es für mich schwierig, mir selbst meine Wut zu erlauben. Und als dann in einer ganz anderen Situation der Ratschlag meiner Mutter kam, meine Wut nicht zu zeigen, damit mich die anderen Kindern nicht noch mehr ärgern können... hatte ich das quasi wie ein Mantra vor mich hergetragen. Und ich war Stolz darauf, wie gut ich - im Vergleich zu anderen Kindern wurde - meine Wut zu kontrollieren. Ich hatte mir einen moralischen Sockel gebaut, mit dessen Hilfe ich mich über alle anderen erheben konnte, die ihre Wut nicht so toll im Griff hatten, wie ich selbst.
Doch Wut ist weder tödlich noch trennt sie mich sonst irgendwie von anderen Menschen.
Wut ist Selbstausdruck und damit ein elementarer Bestandteil emotionaler Kommunikation.
Meine Beziehungen haben sich verbessert, seitdem ich die ewige Selbstkontrolle meiner Wut aufgegeben habe.
Zitat von *********rgara:
„Und da kommt es drauf an , was will ich erreichen?
Wenn ich meine Ruhe will, dann kann ich gehen ( und mich dazu klar abgrenzen ). Will ich ein Miteinander erhalten oder fördern, suche ich Kommunikation und Verständnis.
Es gibt Situationen, da geht es gar nicht darum, was ich erreichen will.
Oder welche Art von Beziehung ich mir mit Mensch XY erhoffe.
Ich zeige mich, zeige, was mir wie wichtig ist bzw. aufregt und wie wütend es mich macht, wenn das schief läuft und überlasse meinem Gegenüber die freie Entscheidung, ob er/ sie etwas mit mir anfangen kann und mag.
Das, was mein Gegenüber aus dem Erlebnis meiner Wut macht, habe ich nicht unter Kontrolle.
Wenn mein Gegenüber darunter leidet, dass ich bei seiner Tat oder Aussage XY wütend werde und an die Decke gehe, ist das sein Problem. Nicht meins.
Ich darf so sein wie ich bin und mir dürfen die Dinge wichtig sein, die mir wichtig sind.
Dem Gegenüber die Freiheit zu lassen, zu entscheiden, ob er mit mir, mit meinem So-Sein überhaupt was anfangen kann und mag, führt schon mal zu enttäuschten Hoffnungen auf Beziehungsebene.
Manchen Menschen ist mein So-Sein unerträglich.
Es kann auch dazu führen, dass mich ein Mensch aus Gehässigkeit genau dort verletzt, wo es mir besonders weh tut.
Aber die Menschen, die von sich aus hier und dort einen Schritt auf mich zu gehen, von diesen Menschen fühle ich mich dann auch wirklich gewollt. Und dieses Gefühl, wirklich gewollt zu sein, das ist mir wesentlich mehr wert als alles zu kontrollieren und mich oder andere vor möglichen Verletzungen zu schützen. Ich mag nicht unter einer Glasglocke leben.
Wie sagte einst die Rose im kleinen Prinzen?
"Ich bin nicht wehrlos. Ich habe auch Dornen.
Und ein paar Raupen werde ich wohl aushalten müssen, wenn ich den Wind spüren und Schmetterlinge sehen will."
(oder so ähnlich)
Also viele Deiner Aussagen
@*********rgara könnte ich nachvollziehen, wenn du von Hass schreiben würdest. Oder wenn es um Wut in formalen Beziehungen (Kollegen, Vereinskammeraden, Busfahrer, Verkäufer etc.pp.) ginge.
Doch in Freundschaften kann ich dein Ansinnen, durch einen Fokuswechsel keine Wut mehr entstehen zu lassen, zu spüren, auszusenden... nicht teilen. Gerade davon bin ich mühseelig weggekommen. Ich wollte diesbezüglich nicht länger auf einem moralischen Sockel über allen anderen Menschen stehen. Ich will mitten unter ihnen sein. Im direkten offenen emotionalen Austausch.