Was Seil mit mir und für mich tut
Es beginnt so, wie es immer beginnt. Präludium - Die Einleitung. Manchmal fühlt es sich an wie ein Vorspiel, manchmal ist es das überwinden der letzten inneren Widerstände oder das Ablegen von den Resten dessen, was die "normale" Welt noch an mir kleben hat.
Das Ausbreiten der Tatami. Meine zwei Quadratmeter eigenes Refugium, der Hort meiner Wünsche und Quelle von Energie. Ich rieche das Gras, knie mich auf die weiche Oberfläche und sitze für einige Sekunden nur da.
Die erste - kleine - Welle der Ruhe schwappt heran und wäscht weg, was noch an kleinen und großen Gedanken da ist und mich nur abhält davon, in die Situation einzutauchen.
Die Seiltasche liegt neben mir, das Öffnen passiert langsam. Die Seilbündel betrachten, alles an seinen Platz legen. Das Ritual der Vorbereitung, in dem jede Länge ihren Platz und jeder Platz seine Bedeutung hat.
Meine Gedanken wandern von Sechs Millimeter zu Vier, von zehn Metern zu Acht. Meine Hände greifen die Bündel, lockern die Bänder, sie zusammen halten. Ohne sie dabei aber zu öffnen, das kommt alles noch.
Die Tücher liegen ebenso an ihrem Platz wie das Messer und der kleine gesichtslose Talisman. Vieles davon werde ich nicht benötigen, aber alles ist unbedingt notwendig in der Zeremonie der Vorbereitung. Es ist das Bauen meiner Burg, das Errichten meiner eigenen Ecke der Welt.
Dann schließe ich die Augen und lass alles los.
Den Tag, den Stress, den Job und die Wehwehchen des Alltags. Freue mich auf das Geschenk, darauf, es zu bekommen und zurück zu geben. Bin dankbar für das Vertrauen das mir gegeben wird und die Verantwortung, die ich tragen darf. Drei tiefe und lautlose Atemzüge später bin ich bereit. Ich öffne die Augen und sehe sie an.
In der Ouvertüre sind Worte störend, die Verständigung ist viel tiefer. Sie betritt meine Fläche und der Tanz beginnt. Sie setzt sich vor mich, ich sehe ihren Rücken an, ihren Nacken, ihre Haare. Ich rücke näher, meine Knie berühren ihre Schenkel, meine Hand vorsichtig ihren Nacken. Aus der ersten Berührung wird ein fester Griff um Ihren Nacken. Ich bin da, ich halte dich, ich trage dich. Ich spüre wie sie nachgibt, sie sich öffnet. Und ich geniesse jeden Tropfen dieser Sekunden.
Das Öffnen des ersten Seilbündels wie die Aufforderung zum Tanz, das öffnen des ersten Seils wie das Einnehmen der Tanzhaltung. Vorsichtig, langsam und mit dem Genuss aller Zeit der Welt. Leise Berührungen , eine zarte Bitte um die Hand der Dame. Keine Forderung, kein Zupacken, keine Hast und kein Druck. Es ist an mir, zu bitten. Es ist an Ihr, zu gewähren.
Seil das sich behutsam um Handgelenke legt, fast schon schüchternes herantasten - und die ersten Schritte sind getan. Die gefesselten Hände behutsam an die Schulter gelegt und das Seil um den Körper herum geführt. Mit behutsamer Bedacht und doch straff und mit Nachdruck. Die Bewegungen, zu Beginn langsam, zögernd und schüchtern werden schneller, das Seil läuft wie von alleine. Und immer wieder das Geräusch von Jute, das auf die Tatami auftrift. Nichts klingt wie ein Seil, das auf dies Oberfläche aus Igusa trifft. So klingt Shibari.
Dazu das Atmen. Ihr Atmen. Die kleinen Laute, die sie von sich gibt und die mir zeigen, welchen Weg diese Reise heute nehmen wird. Jedes mal anders, immer eine Überraschung und immer der Liebe wert, die ich investiere.
Meine Welt wird kleiner, schrumpft um mich zusammen und wird unwichtig. Das Universum um mich herum besteht aus Ihr und mir, einer Matte und ein paar Bündeln Seil.
Wir umkreisen uns, Geben und Nehmen. Atmen zusammen ein und aus, halten gemeinsam die Luft an wenn der Druck zu stark und der Moment des Leids zu überwältigend wird. Entspannen uns und geniessen es, die Energie zu spüren, die unsere gemeinsame Welt flutet.
Suspension, Floorwork, Pattern, Figuren, akrobatische Einlagen, simpelste Technik und meisterlichste Techniken... All das ist ohne Bedeutung, interessiert nicht im geringsten. Ein Seil ist ein Seil ist ein Seil. Und wenn es sich gut anfühlt, ist es richtig. Gefühl ist alles und alles ist pure Emotion. Streicheln mit Seil oder aber Schmerz und das Ausloten der Grenzen des Erträglichen - es geschieht. Einfach so in diesem Moment. Frei sein zu tun und die Freiheit haben, es der Sekunde zu überlassen. Kommunikation ohne Worte, Verständigung über den ganzen Körper. Momente unglaublicher Intimität ohne profane Berührungen. Sie riecht so intensiv wie nach einer durchliebten Nacht und ich begehre sie so sehr, das es mich fast überwältigt.
Irgendwann ist es dann vorbei. Sie liegt in meinen Armen, in einem Nest von Seil, das immer noch die Barriere ist zwischen unserem Reich und der Welt, die sich zurückschleicht in unser Bewusstsein. Ich will den Moment festhalten, möchte nicht das es wieder nur Seil ist und eine Matte. Will nur noch einen Moment geniessen. Noch einen Atemzug der sein, der umsorgt, beschützt und als Fels in der Brandung alles abhält, was den Moment stört.
Doch irgendwann ist er da, der Schluß-Akkord. Und der Tanz ist vorbei.
It's over now, the music of the night...
Oder
And fighting time so hard I pray
that this moment lasts forever.
And will the world stay standing still at least for me.
Through my eyes stare into me.
I bear my heart for all to see.