Hallo :-)
Hallo zusammen,
Danke für die Einladungen in diese Gruppe. Heute habe ich endlich Zeit, etwas zu schreiben.
Die Ästhetik des Shibari und die psychologische Dynamik des BDSM haben mich schon sehr früh in meiner Kindheit / Jugend gereizt. Es hat (leider) lange gedauert, bis ich einen Menschen und einen Rahmen gefunden habe, durch den das Fesseln Teil meines Lebens werden konnte. Seit August 2020 habe ich einen festen Fessel-Partner. Ein Zufall hat unser Kennenlernen ermöglicht und die Magie hat uns zu guten Seil-Partnern gemacht. Durch das Fesseln entsteht eine eigene Dynamik des Kennenlernens. Man kommt sehr schnell an sehr private Inhalte, die bei einem „normalen“ Kennenlernen erst sehr viel später oder auch gar nicht zur Sprache kommen. Dafür bin ich von Herzen dankbar.
Genuss beginnt für mich dann, wenn ich echt sein kann, frei von Begrenzungen. Ich mache mich möglichst frei von Konventionen und gestalte mir mein Leben nach selbst gesteckten Regeln.
Ich stehe innerhalb und außerhalb des BDSM-Kontextes für eine starke Frauenrolle. Ich lebe intensiv. Für mich gibt es keine halben Sachen. Ich weiß sehr genau, was ich will und gleichermaßen weiß ich sehr genau, was ich nicht will. Ich bin kein dummes "Devötchen", das sich vor jedem auf die Knie wirft, der vorgibt, dominant zu sein. Die Devotion ist für mich nicht verbunden mit dem Aufgeben von Selbstwertgefühl. Ich mache meine Seele nicht klein, wenn ich mich niederknie und mich restriktiv fesseln lasse. Ich öffne sie. Das ist ein Geschenk, das ein besonderes Gegenüber braucht, der es anzunehmen weiß und der die Stärke braucht, meine Seele zu halten.
Bunny, Passive, Model ?!
Immer wieder begegnet mir hoch-emotionale Kritik an der Begrifflichkeit "Bunny" im Kontext des Shibaris. Dies sei gegenüber der gefesselten Person herabwürdigend und abwertend. Deswegen möchte ich dazu Stellung nehmen und meine Sichtweise beschrieben.
Ein Begriff ist abwertend, wenn er abwertend gemeint ist oder als abwertend empfunden wird. Das kann, muss, soll und darf also jeder/jede für sich selbst entscheiden. Und ich bin mit ganzem Stolz (s)ein Bunny. Ja, dieser Titel mag die Konnotation von "Playboy-Bunny" haben. Und damit komm ich gut klar. Die Ästhetik und die Inszenierungen der Weiblichkeit sind auch beim Fesseln ein wesentlicher Teil für mich.
Und wenn man die gefesselte Person nicht "Bunny" nennen möchte, wie denn dann? Die häufigsten Alternativen sind "passiver Part" und "Rope-Model". Und bei beiden Begrifflichkeiten stellen sich mir die Nackenhaare auf !
Im Seil gebe ich dem Rigger das Recht und die Aufgabe, meinen Körper zu bewegen und zu immobilisieren. Aber deswegen bin ich doch nicht nur passiv. Es bedarf einer aktiven inneren Arbeit. Es geht nicht darum, die Bewegung meines Körpers oder der Seile stumm und passiv zu erdulden. Es ist ein intensiver Dialog. Die unmittelbare und unwillkürliche Reaktion meines Körpers und meiner Psyche auf das Agieren des Riggers hat immensen Einfluss auf die ganze Session. Ich kommuniziere (zu 99% nonverbal) was geht und was nicht geht. Und ich habe jederzeit die Möglichkeit, die Session auch verbal und unmittelbar zu steuern. Sei es, dass ich sie abbreche oder auf eine Veränderung bestehe. Shibari ist für mich nicht das richtige „Instrument“ für Tunnelspiele. Dafür birgt es zu großes Risiko für meinen Körper. In einer Session trage ich ebenso Verantwortung für das Gelingen der Session und für meine Gesundheit wie der Rigger. Wie kann ich dann passiv sein?
Auch stelle ich bei einer Fessel-Session nichts dar. Ich führe nichts vor und bin nicht nur Ablagefläche für die Seile. Ich bin kein Model, wie vor der Kamera oder bei Malerei. Bei einer Fessel-Session geht es für mich um absolute Authentizität. Und das ist für mich das Gegenteil vom Modeln.
Warum so seilgeil ?
Im Seil bin ich zu 100 Prozent ich selbst. Mal stark, frech und widerspenstig. Mal zart, verletzlich und leise. Mal fordernd und gierig auf eine Herausforderung. Und mal unsicher, ängstlich und haltsuchend. Ich stelle nicht nur meinen Körper zum Fesseln zur Verfügung, ich schenke den Zugang zu meiner Seele. Fesseln ist für mich kein Rollenspiel. Es ist die aufrichtige Begegnung zweier Seelen. Ein Dialog, ein Tanz zweier Menschen, frei von Masken und Konventionen.
Für die Zeit der Fessel-Session existieren wirklich nur er, ich und die Seile. Alles außerhalb dieser 2x2 Meter verschwindet. Ein zeitloser Raum entsteht. Die Welt steht still. Wir sind mit unserer Aufmerksamkeit zu 100 Prozent bei einander. Die Immobilisierung und Modellage meines Körpers ermöglicht mir eine sehr genaue und intensive Körperwahrnehmung. Und ich werde ruhig. Es ist wie eine Meditation, eine Trance und ein wundervoller Rausch. Und auch mit geschlossenen Augen sehe ich ihn glasklar. Ich gebe mich seinen Händen und seinen Seilen hin. Ich habe die Sicherheit, dass er auf mich aufpasst und in jeder Sekunde auf mein Wohl bedacht ist. Dieser sichere Rahmen macht es möglich, dass er mich zu und durch Schmerz führt. Schmerz, den ich sehr genieße. Ich entspanne kontra-intuitiv im Schmerz und in Stresspositionen. Ich lasse mich fallen und werde aufgefangen. Es reizt mich, mich auszuliefern. Einen großen Teil der Kontrolle für diese Zeit zu übergeben. Aber ich verliere nichts. Ich gewinne an Freiheit. Die Erfahrungen lassen sich nur bedingt in Worte fassen. Für mich bleibt es Magie. Aufrichtige Hingabe von beiden Seiten. Hingabe bedeutet für mich auch, Grenzen auszuloten und in Frage zu stellen. Jenseits der Komfortzone wird es spannend. Das Risiko, dass etwas nicht gelingt, beunruhigt mich nicht. Ich genieße es, mich Herausforderungen zu stellen und herauszufinden, was ich schaffen kann.
Shibari ist für mich mittlerweile ein großer Suchtfaktor, dem ich mich von Herzen gerne hingebe. Ich bekomme schon Gänsehaut, wenn ich das Seil auf dem Boden oder am Bambus nur höre. Ich habe im Seil sehr viel über mich kennen gelernt, erfahren und verstanden. Und jede Fessel-Session ist anders. Ich bin gespannt, wohin die Reise noch geht …
Warum das Rad neu erfinden ?
Warum soll ich Zeug schreiben, für das schon die perfekten Worte gefunden wurden? Deswegen hier ein paar Zitate und Liedzeilen, die ich sehr mag:
"Wenn Worte überflüssig werden,
weil der Augenblick bis an den Rand mit Sinn gefüllt ist,
beginnt das Leben unwiderstehlich von sich zu erzählen
und führt uns mitten hinein in faszinierende Geschichten,
wenn wir nur lauschen."
[Schiller - das Ende]
„Wir spielen Tag für Tag Rollen.
Uns hat man kräftigere Fesseln angelegt als diese Seile hier.
Menschen sehnen sich nach Kontrolle und wollen kontrolliert werden.“
[Aus dem Film "Professor Marston and the wonder women"]
"Sexualität ist ein wesentlicher Bestandteil des menschlichen Seins. Es ist die intimste Form der menschlichen Kommunikation und Sexualität erfüllt das Bedürfnis nach Akzeptanz, nach Nähe und Geborgenheit."
[Stephanie Klee]
Long story short
Mir gefällt die Übersetzung von BDSM in "bleib dabei stets Mensch". Das fasst all das wunderbar zusammen. In diesem Sinne hoffe ich hier auf einen menschlichen und bereichernden Austausch, insbesondere rund um das Thema Shibari und die Psychologie des Shibari.
Lieben Gruß an alle