Mein Weihnachtsgeschenk
Lawrence Norfolk "Das Festmahl des John Saturnall"
habe ich entgegen meiner Ankündigung nochmal hintangestellt da ich mir in der Bücherei 2 Bücher geholt habe:
Tana French "Grabesgrün" und "Totengleich"
schon vom ersten Buch "Sterbenskalt" war ich ja total begeistert...
"Grabesgrün" heute früh ausgelesen, etwas gefrustet war ich nur weil einer der Vorfälle aus der Vergangenheit eines der Detectives nicht aufgelöst wurde.
"Totengleich" wird heute abend angefangen...
Rezession krimi-chouch Jochen König
Grabesgrün
»Sie dürfen nicht vergessen: Ich bin Ermittler. Unser Verhältnis zur Wahrheit ist grundsätzlich, aber rissig, verwirrend gebrochen wie gesplittertes Glas. Wahrheit ist das Kernstück unseres Berufs, das Endspiel bei jedem Zug, den wir machen, doch wir verfolgen sie mit Strategien, die sorgsam aus Lügen und Verschleierung und jeder Spielart von Betrug zusammengesetzt sind. Was ich Ihnen sagen will, ehe ich mit meiner Geschichte anfange, ist zweierlei: Ich sehne mich nach der Wahrheit. Und ich lüge.«
1984 wird der zwölf Jahre alte Adam Robert Ryan traumatisiert im Wald von Knocknaree aufgefunden. Seine Freunde Peter und Jamie bleiben spurlos verschwunden. Adam kann sich an nichts erinnern, was die Geschehnisse zuvor angeht; ein wenig Blut an seinem Fuß bleibt die letzte Spur, die das Mädchen und der Junge hinterlassen haben. Fast fünfundzwanzig Jahre später: Auf einem Altarstein inmitten einer Ausgrabungsstätte wird die Leiche der zwölfjährigen Katy Devlin gefunden, erschlagen und augenscheinlich vergewaltigt. Ermittler sind die Polizisten Cassie Maddox und ihr Partner Rob Ryan, der seinen Rufnamen Adam vor Jahrzehnten abgelegt hat. Obwohl er sich aufgrund seiner Vergangenheit eigentlich fernhalten müsste, lässt er sich tief in den Fall hineinziehen. Die Ermittlungen gehen zunächst nur zäh voran. Verdächtige werden gesucht und abgehakt, doch alle Spuren, ob in den familiären Bereich oder in die Stadtpolitik reichend, laufen ins Leere.
Erst als Ryan, der, je weiter die Ermittlungen ergebnislos voranschreiten immer näher auf einen Abgrund zutaumelt, sich seiner Vergangenheit stellt, kommt er dem Täter auf die Spur. Beinahe zufällig entdeckt er ein Schlüsselindiz und stößt dank Cassie Maddox noch auf etwas anderes: einen Psychopathen, der sich seine Umwelt untertan machen möchte und möglicherweise damit durchkommt.
Grabesgrün ist das Debüt der Autorin Tana French, und es ist ein bemerkenswertes geworden. Auf fast 700 Seiten breitet French ihre Geschichte aus, vermeidet es aber geschickt in die Fallen salbadernder Redundanz zu tappen. Das Spektakuläre und Spekulative ist ihr Metier nicht, sie nimmt ihre Figuren ernst, und führt sie durch eine zunächst frustrierend und ergebnislos verlaufende Ermittlung, an die Grenzen ihrer psychischen Belastung.
Den Erzähler und Ermittler in eigener Sache, Rob Ryan, sogar darüber hinaus. Denn je mehr er sich den verschütteten Bildern seiner Vergangenheit stellt, desto mehr verdunkelt sie sich, auch wenn Erinnerungsfetzen trügerische Spuren in die Gegenwart legen. French benutzt hier sehr geschickt das Gruppenverhalten der drei Ermittler Rob, Cassie und Sam, um durch Äußerlichkeiten die inneren Irrungen und Verwirrungen hervorzuheben. Gestattet sie ihren Figuren zunächst, trotz des bedrückenden Mordfalles, der letztlich alle in seinen Bann zieht und verändert, noch kleine neckische Spiele und eine geradezu kindliche Freude an gemeinsamen Aktivitäten, steigt die Anspannung, garniert mit einem Hauch von Wahnsinn, bis zum Schluss, der eine komplette Veränderung der Beziehungen mit sich bringt.
In den spielerischen Passagen erinnert Grabesgrün an die Filme Takeshi Kitanos, der seinen Yakuza auch gestattet, ausgelassen am Strand herumzutändeln, ehe sie wieder ihrem blutigen Tagewerk nachgehen. Diese Diskrepanz zwischen Ausgelassenheit und der Finsternis, die sich schleichend und nahezu unausweichlich breit macht, lässt die innere Spannung sachte, aber merklich steigen. Gerade dadurch, dass die Protagonisten sich so nahe stehen, kann die Aufklärung des Falles erst zum persönlichen Desaster werden.
Glücklicherweise erliegt French nicht der naheliegenden Versuchung einen psychopathischen Serienkiller zu etablieren. Ihr genügt ein Mord und ein lang zurück liegender Vermisstenfall, um in die Abgründe menschlicher Verhaltensweisen blicken zu lassen. Neben dem Abdriften des traumatisierten Erzählers, der sich umso mehr von seiner Partnerin entfremdet, je näher er ihr kommt, führt sie einen Psychopathen vor, der in seiner unspektakulären Alltäglichkeit, der funktionalen und wohldurchdachten Negation jeglicher Mitmenschlichkeit, zum Erschreckendsten gehört, was die Kriminalliteratur dieser Tage aufzuweisen hat.
Grabesgrün ist ein Roman über die Manipulierbarkeit von Menschen und Gefühlen. Eindringlich führt Tana French vor, wie trügerisch Empfindungen sein können, besonders, wenn der menschliche Geist allzu gerne anfällig ist für die Lügen, die ihm aufgetischt werden – oder die er sich selbst erzählt. Doch was das Leben einfacher machen soll, wird zu einem Bumerang, der ganze Existenzen aushebeln kann.
Grabesgrün ist dazu ein kluges Buch, gönnt es seinen Figuren Raum zur Entfaltung ohne zur Schmonzette zu verkommen, täuscht mit lockerem Ton eine Möglichkeit der Erlösung vor, die dank der profanen Wirklichkeit nicht eintreten wird.
Grabesgrün ist obendrein ein mutiges Buch. Es erlaubt sich den Luxus nicht alle Fäden zu entwirren, lässt Fragen offen und schickt Ermittler und Täter in eine ungewisse Zukunft. Selbst das angedeutete Happy End hinterlässt einen schalen Nachgeschmack.
Glücklicherweise besitzt Tana French die sprachlichen und stilistischen Mittel ihr umfangreiches Werk sicher zu einem nachdenkenswerten Ende zu bringen.
Totengleich
Als die junge Polizistin Cassie Maddox in ein verfallenes Cottage außerhalb von Dublin gerufen wird, schaut sie ins Gesicht des Todes wie in einen Spiegel: Die Ermordete gleicht ihr bis aufs Haar. Wer ist diese Frau? Wer hat sie niedergestochen? Und hätte eigentlich Cassie selbst sterben sollen? Keine Spuren und Hinweise sind zu finden, und bald bleibt nur eine Möglichkeit: Cassie Maddox muss in die Haut der Toten schlüpfen, um den Mörder zu finden. Ein ungeheuerliches Spiel beginnt. »Ich kannte sie von irgendwoher, hatte das Gesicht schon tausendmal gesehen. Dann trat ich einen Schritt vor, um genauer hinzuschauen, und die ganze Welt verstummte, gefror, während Dunkelheit von allen Seiten herantobte und in der Mitte gleißend weiß nur das Gesicht der jungen Frau blieb, denn das war ich.«
Cassandra »Cassie« Maddox ist zurück. Nach den Ereignissen in Knocknaree (nachzulesen in Grabesgrün) hat sie sich ins Dezernat für Häusliche Gewalt versetzen lassen und pflegt mit ihrem Freund Sam eine beschauliche Beziehung; möglichst weit entfernt von den Irrungen und Wirrungen, die sie mit ihrem ehemals besten Freund und Partner Rob Ryan durchleben musste. Wenn da nicht diese Sehnsucht wäre – die Cassie im Schießstand auslebt. Bis plötzlich die Leiche einer jungen Frau auftaucht. Nicht nur, dass sie den Namen trägt, den Cassie während ihrer Zeit als Undercover-Polizistin benutzte, bis sie niedergestochen wurde. Lexie Madison sieht Cassandra auch wie aus dem Gesicht geschnitten aus.
Ein Umstand, der Cassie sowohl entsetzt wie fasziniert und ihren alten Mentor Frank Mackey auf eine abenteuerliche Idee bringt. Cassie soll in die Rolle der Toten schlüpfen, ihr Leben übernehmen und ermitteln. Ein heikles Unterfangen, denn Lexie lebte in einer WG, deren verbleibenden vier Mitglieder ein eingeschworenes Team bilden und zudem dringend tatverdächtig sind. Trotz des Widerwillens ihres Verlobten Sam und ihrer eigenen Skrupel, lässt sich Cassie auf das waghalsige Spiel ein. Und sieht sich bald mit einem weiteren Problem konfrontiert: was, wenn das geborgte Leben einen derartigen Reiz ausübt, dass man es möglicherweise behalten will? Und so droht Cassie zwischen den Ermittlungen, ihrer Vergangenheit, und der Suche nach sich selbst und ihren Möglichkeiten verloren zu gehen.
War Grabesgrün mit 670 Seiten bereits von voluminösem Umfang, legt Totengleich noch einmal 110 Seiten drauf. Leider ist diese Länge diesmal tatsächlich der größte Schwachpunkt des Buches.
So dauert es 150 Seiten, bevor Cassie ihre neuerliche Undercover-Mission antritt. Wobei von Beginn an klar ist, dass genau dies passieren wird. Cassies Zerrissenheit, ihre Ängste und Wünsche werden zwar deutlich, aber gemessen an dem von Grabesgrün vorgelegten Standard, bleibt die junge Polizistin blass. Während der Erzähler des Debüts, Rob Ryan, mit seinen inneren Dämonen ringen musste und den Kampf – zumindest zwischenzeitlich verlor -, kämpft Cassie weitgehend gegen die Anforderungen und Ansprüche der Außenwelt. Sie ist weit gefestigter als Rob; und auch wenn dieser Umstand im Verlauf des Romans zunehmend in Frage gestellt wird, bleibt sie die farblosere Figur. Erst als sie auf der verzweifelten Suche nach der idealen Familie ins Wanken gerät, nimmt die Dramatik zu. Und kulminiert in der Umkehrung einer Schlüsselsituation aus Grabesgrün. Hier wie dort versuchen sich Brüderchen und Schwesterchen verzweifelt telefonisch mitzuteilen. Doch wie üblich ist der trennende See viel zu tief. Während Brüderchen wenigstens noch eine treffende Analyse des Lebensabschnittsgefährten Cassies ins Telefon hauchen kann, verharrt Schwesterchen in einem Akt des Schweigens.
An diesen Stellen zeigt sich die wahre (literarische) Größe Tana Frenchs. Sie mag (zu) ausschweifend sein, verliert sich manchmal im Wust ihrer Analysen, aber sie bleibt eng an ihren Figuren und ihren Geschichten. Und so gelingen ihr im Kleinen große An- und Einsichten. Denn sie braucht keine hanebüchenen Aufhänger, um die Strudel und Klippen menschlichen Miteinanders zu umreißen. Niemand rennt mit dem Verdacht auf Hepatitis durch die Gegend oder verzweifelt an seinem harten Schicksal gramgebeugt über ausgeweideten Leichen.
Tana French ist eine Meisterin des gepflegten Understatements. Ihre Morde passieren im Off und rücken nicht mehr als nötig in den Blickpunkt. French behält immer die Menschen hinter den stigmatisierenden Begriffen Täter, Opfer, Ermittler im Zentrum ihrer Erzählung. Ihr geht es um die Bedingungen und Auswirkungen, die Verbrechen und der Umgang damit auf Lebens-Gemeinschaften besitzen. Und natürlich die Relativität des Begriffes »Wahrheit«. Sowohl Rob Ryan wie Cassie Maddox definieren Wahrheit als eine Art höchstes Gut und belegen auf unterschiedliche Weise, dass die Suche nach Wahrheit sowohl zum Gang auf Messers Schneide werden kann und zugleich individuellen Interessen gehorcht. Totengleich zeigt das noch eindeutiger als sein Vorgänger.
Cassie Maddox lässt sich gefangen nehmen von der Stimmung in Lexie Madisons WG. Es gibt Augenblicke, in denen ihr das geborgte Leben verlockender scheint als ihr reales. Abby, Daniel, Justin, Rafe, vier Namen, viermal der verzweifelte Versuch die eigene Vergangenheit zu verleugnen, das Versagen, den Verlust der genetischen Familie durch eine selbst gewählte zu ersetzen. Und plötzlich findet man sich im Puppenheim wieder. Denn auch wenn man Ideale träumt, lassen sich menschliche Begehrlichkeiten und das Eindringen der Außenwelt kaum wegdiskutieren und -tanzen. Am Ende – oder Anfang – steht ein Mord. Nicht nur Cassies Lebensentwurf wird in Frage gestellt. Und ob der Schluss des Romans eine Art »Happy End« oder den Verlust eines Lebenstraums darstellt, muss der Leser selbst entscheiden.
Tana French macht es ihren Lesern nicht leicht. Sie erschafft einen eigentlich sehr überschaubaren Kosmos (das Whitethorn-Haus und seine fünf Bewohner, eine Hand voll Polizisten und noch weniger Außenstehende) und füllt ihn an mit Gedanken, kleinen Plänkeleien und großen Lügen. Das bewegt sich langsam vorwärts, kreist gelegentlich um sich selbst und nimmt erst gegen Ende Tempo auf. Große, wilde Aktionen sucht man vergebens, es sind Nuancen, die sich verändern, kleine Splitter, die eine anscheinend homogene Gemeinschaft in Fetzen reißen können.
Dabei deutet French wenig und überlässt dem Leser selbst Schlüsse zu ziehen – dem diesmal aber mit etwas weniger Input mehr geholfen wäre. Denn manches an Beziehungen und Entwicklungen ist bereits evident, wenn Cassie es zum zweiten oder dritten Mal subsumiert. So braucht man für den fünfhundertseitigen Mittelteil Geduld und Langmut; der sich aber auszahlt. Denn im Einfangen von Stimmungen, den Veränderlichkeiten der eigenen Wahrnehmung und der Beurteilung von Handlungen und Fakten ist French meisterlich.
Vor allem besitzt sie eine eigene Stimme, die ihre Literatur meilenweit von adeligem Beziehungskladderadatsch und vor Betroffenheitskitsch triefenden Lagunenkrimis zahlreicher KollegInnen abhebt. Von extrapolierten Schlachthausplatten sowieso.
medea