Ich kenne beides ...
sowohl über der Lektüre alles zu vergessen, als auch dass beim Lesen alte Erinnerungen wieder sehr lebendig werden, mit den dazugehörigen Sinneseindrücken.
Als ich vor vielen Jahren "Das Wunder von St. Petersburg" von Maria Blumencron las, war ich so in das Buch hineingezogen, dass ich sogar vergaß, meinen damals noch kleinen Kindern etwas zu essen zu machen. Sie forderten das dann nachdrücklich und lautstark ein, und am nächsten Tag begann zum Glück eine Papawoche, sonst hätte am Ende noch das Jugendamt vor der Tür gestanden
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Das Buch erzählt die Geschichte der sechsjährigen Alja, die mit billigen Wachsmalstiften fantastische Welten malt und in der Kinderakademie der Eremitage gefördert wird. Und parallel dazu die Geschichte ihrer Mutter Anna, die nachts putzen geht, um tagsüber das ungewöhnliche Talent ihres Kindes zu fördern. "Die beiden Lebensgeschichten, die von Anna, die in sowjetischen Waisenhäusern begann, und jene ihrer Tochter im neuen Russland, zeugen von der Macht der Phantasie und dem, was möglich ist, wenn man an eine bessere Zukunft glaubt." (Klappentext)
Das Auftauchen von längst vergessenen Kindheitseindrücken habe ich am stärksten erlebt, als ich die Romantrilogie "Das Städtchen am Wasser" von Bohumil Hrabal las. Darin gibt es eine präzise Beschreibung eines Schlachtfestes, die bei mir Erinnerungen an die Schlachtfeste der benachbarten Bauern im Dorf, wo ich aufgewachsen bin, weckte. Ich empfand die gleiche Mischung aus Faszination (da wird ein Tier getötet) und Ekel (Blut, fettes Fleisch) wie ein Vierteljahrhundert zuvor.