Michael Köhlmeier: Die Abenteuer des Joel Spazierer
Klappentext:
Joel Spazierer, geboren 1949 in Budapest, wächst bei seinen Großeltern auf und ist vier Jahre alt, als sie von Stalins Schergen abgeholt werden. Fünf Tage verbringt er allein in der Wohnung und lernt eine Welt ohne Menschen kennen.
Joel Spazierer begreift nie, was gut und was böse ist. Sein Aussehen, sein Charme, seine Freundlichkeit öffnen ihm jedes Herz. Er lügt, stiehlt und mordet, ändert seinen Namen und betreibt seine kriminelle Karriere in vielen europäischen Ländern. Ein großer Roman über die Nachtseiten unserer Gesellschaft.
Es gibt Bücher, in denen der Hauptakteuer so unsympathisch ist, dass daraus schon wieder Sympathie entsteht. (Eine Gratwanderung, die Doris Dörrie in „Diebe und Vampire“ nicht schaffte). So erging es mir mit dem 653 Seiten dicken Roman.
Einem Roman, in dem der ICH-Erzähler gerne davon spricht, dass es ein Schelmenroman ist. Nein, das ist es nicht. Denn Joel Spazierer ist kein Schelm. Aufgewachsen als Andras Fülöp, nutzte er sein Aussehen, seinen Charme und sein Talent zum Lügen immer wieder zu seinem Vorteil.
Bar jeder Empathie wurde er bereits als Jugendlicher kriminell. Letztendlich bereits in jungen Jahren wegen Mordes verurteilt.
Dabei schafft er es, einen Freund zu gewinnen, an dem ihm wirklich etwas liegt: Sebastian.
Er ist ein Lügner, ein Hochstapler, ein Krimineller, ein Betrüger, ein Verführer, von Kindesbeinen an ein Charmeur und ein mehrfacher Mörder. Trotzdem ein liebevoller Vater. Dazu auch ein Philosoph.
Habe ich etwas vergessen?
Nein, ein Schelm ist er nicht.
Seine Lebensgeschichte, deren oben genannte Eigenschaften dazu beiträgt, dass sie sich so entwickelt, wie sie ist, wird über 60 Jahre erzählt und führt ihn durch die Weltgeschichte.
Seine Geschichte beginnt in Budapest und wird nach der Flucht nach Österreich fortgesetzt. Ganz schnell begreift er, dass er mit seinem sommersprossigem Gesicht, seinen Locken und seinem Charme sein Umfeld für sich einnehmen kann. Ob Lehrer, Mitschüler oder die Pfarrer, alle bezirzt er. Niemand durchschaut ihn. Wobei er andere schnell durchschaut.
So verdient er sich bereits im Alter von 7 Jahren als gefragter Stricher sein Taschengeld. Später erpresst er einige seiner Freier.
Beim späteren Gefängnisaufenthalt täuscht er Mitgefangene und den Gefängnisdirektor. Manipuliert sie. Natürlich wird er vorzeitig wegen guter Führung entlassen und erhält sogar eine neue Identität: Joel Spazierer.
In Wien beginnt ein weiterer Lebensabschnitt, in dem er auch mit Drogenhandel seinen Lebensunterhalt bestreitet.
Doch kaum fasst er irgendwie Fuß, wird er von seiner Vergangenheit eingeholt. So platzt die Hochzeit mit einer reichen Fabrikantentochter, da sich der Sohn und die Tochter seines ersten Mordopfers unter den Verlobungsgästen befinden. Der Tochter möchte er nicht zumuten, dem Mörder ihrer Mutter zu begegnen.
Seine Geschichte geht weiter. Zwischendurch lebt er sogar in der DDR, wo er fast eine bürgerliche Existenz lebt.
Irgendwann lebt er auch wieder in Österreich, wo ihn sein Freund Sebastian Lukasser überzeugt ein Buch über sein Leben zu schreiben.
Was macht das Buch so aus? Natürlich die interessante Lebensgeschichte des Joel Spazierer, der zwischendurch philosophiert oder die Mathematik erklärt. Dies kann etwas ausarten, unterbrach meinen Lesefluss eher nicht. Mich störten eher die Passagen, in denen die reichlichen Mahlzeiten beschrieben werden, die Joel Spazierer zu sich nimmt, nachdem er eine Zeit zuvor darben musste. Gepaart mit der Erzählkunst des Michael Köhlmeier empfand ich das Buch als großes Kino, obwohl ich diesen Joel Spazierer manchmal so unsympathisch fand, dass ich vorwärts blätterte, auf der Suche nach positiven Eigenschaften.
Ich fand sie nicht.
Schade fand ich das Ende des Buches. Für mich war es nicht ganz rund, nicht mehr so strukturiert. Als müsste es nun beendet werden, bevor etwa 700 Seiten geschrieben werden.
Ein kleines Manko, welches ich gut verschmerzen kann.