Zeit
Was ist Zeit?
Ein äußerliches Maß von Ursache und Wirkung im Universum, das gleichmäßig fließt und als konstante Linie alle Dinge prägt?
So der Engländer Isaak Newton, einer der größten Physiker der Neuzeit, der als Sohn eines Schafzüchters 1642 - nach dem auf der Insel gültigen Julianischen Kalender, oder 1643 - nach dem Gregorianischen Festland-Kalender in der Grafschaft Lincolnshire geboren wurde.
Die Zeitverhältnisse waren nicht nur kalendarisch ungeordnet, sondern auch politisch: die englische Revolution hielt das aufstrebende Empire in Atmen, die Pest, die wirren Thronverhältnisse.
Oder:
Zeit ist ein subjektives Empfinden, eine Konstruktion des menschlichen Geistes. Und ohne Bewusstsein von der Zeit, gibt es sie gar nicht.
So der Deutsche Gottfried Wilhelm Leibniz, der letzte Universalgelehrte, der als Sohn eines Professors 1646 geboren im Halbschatten von Hörsälen und Bibliotheken aufwuchs, als Kind mehr von Büchern umgeben als von Bäumen und Sträuchern und Spielkameraden. Der 30jährige Krieg geht gerade zuende, der Westfälische Friede wird geschlossen über einem ausgebluteten Land, das durch Verheerung und Pest ein Drittel der Bevölkerung einbüßte und noch lange unter diesem Verlust leiden sollte, mehr als das Nachkriegsdeutschland nach dem 2. Weltkrieg.
Die Beiden - Newton und Leibniz - werden sich fetzen - um den Begriff und das Phänomen "der Zeit". Natürlich nur schriftlich auf dem Postwege. Nicht auszudenken, wenn es damals schon das Internet gegeben hätte.
Es ist eine Zeit, in der die mechanischen Uhren erfunden und verbessert werden. Die Zeit wird sozusagen privatisiert und die Pünktlichkeit daraufhin zur Tugend. Der Bürger bildet sich was darauf ein, Herr über sein Geld und seine Zeit zu werden. Und Zeit wird fortschrittlich zum Geld. Der moderne Zeitbegriff wird, ohne dass die Menschen genau wissen, was das ist - die Zeit - geboren und wird unsere Welt gestalten bis heute.
Ein Stück um die Vermessung der Welt, deren Debatte sich die beiden Herren leisten werden - denn nicht zuletzt kommt ihr auch theoretisch eine besondere Bedeutung zu in der Seefahrt und der Kartierung der neuen zu entdeckenden Welt. Ohne das kein britisches Empire und Kolonialisierung. An der Uhr hängt ein ganzes Weltreich, während der spanische Karl V. noch davon schwärmen mag, dass in seinem Reich die Sonne nie untergeht, war sie bereits schon im Untergehen begriffen. Tja, wer zu spät bekommt ... das galt schon im 18. Jahrhundert.
Spannend und amüsant liest sich das Sachbuch von THOMAS DE PADOVA, jedenfalls für den, der sich für Wissenschaftsgeschichte, Physik und Philosophie interessiert. Alles Nachdenken über die Zeit - von Kant bis Einstein - bauen auf diese kontroverse Debatte bis heute auf. Kurzweilig ist - die Zeit vergeht über dieser Lektüre wie im Fluge - dieser Rekurs auch.
Und was "Zeit" eigentlich ihrem Wesen nach sein soll, ist bis heute nicht abschließend geklärt.
Thomas de Padava: Leibniz, Newton und die Erfindung der Zeit, Piper-Verlag, 3. Auflage 2016, 347 Seiten, 12 €.