Der Übermensch kommt!
Yuval Noah Harari: Homo Deus – Eine Geschichte von Morgen, München 2017, C.H.Beck-Verlag, 576 Seiten, 24,95 €.Vor 70.000 Jahren tritt eines Morgens einer junger Homo Sapiens vor die Höhle, die sein Stamm (etwa 20 Menschen) vor kurzer Zeit in Beschlag genommen hat. Seine Sinne sind geschärft, er schnuppert die noch kühle Frühlingsluft; die nächste Jagd steht an; er und der Schamane des Stammes werden am Feuer die Tiergeister befragen müssen, um den besten Zeitpunkt und die Richtung der Jagdausflüge zu bestimmen. Dann denkt er an die junge Frau seines Stammes, Aya. Lustgefühle überkommen ihn. Er hat für die Auswahl seiner Partnerin nicht viele Möglichkeiten. Der nächste Stamm lebt 80 Km von der Höhle entfernt, und solange genug Wild, Früchte, Beeren, Holz, Wasser etc. in der Umgebung vorhanden ist, gibt es keine Veranlassung das Gebiet zu verlassen. Jeder Homo Sapiens lebt in der Regel 20-30 Jahre. Kurz also, das Nötige zum Überleben zu tun.
Die neurobiologischen Wissenschaftler 2017 behaupten, der junge Homo Sapiens folgt dem organischen Algorithmus seiner Natur. Die Evolution hat ihn bis hierher gebracht.
500 v. Chr. Ein babylonischer Priester steigt die Treppe des Tempels hinauf, um die Sterne zu befragen. Wann ist die beste Zeit der Aussaat? Soll der babylonische Großkönig sein Reich erweitern, indem er seine gut organisierte Armee in Gang setzt? Wie am besten das Land im Osten des Reiches verteilen. Alles eine Frage der richtigen Berechnung der Sternbilder und Konstellationen.
Die Juden, die in dieser Zeit als Gefangene in alten Babylon leben, erzählen eine andere Geschichte: nicht die Sterne, sondern der eine Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat, regiert die Welt. Auch kein ägyptischer Gottkönig … Später werden sie sagen: Lies in den heiligen Schriften (wie die alten Inder oder die alten Chinesen ihre heiligen Schriften haben) und höre auf Gott (oder die Götter).
Die Neurobiologen würden sagen, dass hier ebenso ein Algorithmus am Werke war, der Religion und Kultur schuf, damit Menschen, die vielleicht eine Lebenszeit von ca. 40 – 50 Jahren haben, das Überleben zu sichern. Einige wenige hatten ein sehr angenehmes Leben, sofern sie zur Herrschaftsschicht gehörten und nicht einer Krankheit erlagen, die damals tödlich verlief, heute aber problemlos geheilt werden kann.
1866: ein junger Ingenieur sitzt mit seinem Team zusammen und macht gerade eine recht kurze Mittagspause. Bald werden sie sich über Reißbrettpläne beugen, auf die Verbesserung einer Dampfmaschine konstruiert werden. Der junge Mann glaubt nicht an Sterne, die sein Schicksal beeinflussen, nicht an Götter oder einen Gott – von denen hat er während der Schulzeit und seiner Jugend gehört -, sondern er glaubt an Technik, Fortschritt, soziale Gerechtigkeit und die Freiheit des Menschen, seine Zukunft zu gestalten, während er ein Rädchen darstellt von abertausend von Menschen, die von der Landwirtschaft in die Industrie wechseln. Er glaubt an Liberalismus und den damit verbundenen Humanismus. Er lebt im Berlin, zu dieser Zeit auf dem Weg zur Weltstadt, schwärmt von Paris und wird bald ein Mädchen heiraten, eine aus der bürgerlichen Mittelschicht.
Die neurobiologische Elite 2017 sagt, zwischen dem jungen Homo Sapiens vor 70 000 Jahren und dem jungen Ingenieur 1866 besteht neurologisch und biologisch gesehen kein großer Unterschied. Beide gehorchen in ihrer Zeit jeweils biologischen Programmen, nur das der Ingenieur die Biologie oder die Natur durch Technik verbessert, und damit die Lebensqualität der Menschen seiner Zeit steigert. Er tut dies nicht zuletzt in seiner Überzeugung an den Fortschritt des Humanismus, der behauptet, der Mensch müsse nicht an Sterne, Götter, Gott glauben, es genüge, dass der Mensch an sich selbst glaube und auf seine innere Stimmen höre, zu entscheiden, was gut und was böse, richtig oder falsch ist. Gott ist tot, es lebe der Übermensch, der Homo Deus.
Der junge Ingenieur wird als alter Mann übrigens noch die Gründung des Deutschen Reiches erleben, vielleicht sogar noch den Ausbruch des 1. Weltkrieges und die Massenvernichtung von Soldaten in einer technisch-militärischen Materialschlacht.
2017 während ich das Buch des israelischen Historikers lese, tut sich eine Menge Aufregendes in den Brain Trusts und Forschungslabors in Silicon Valley und anderswo auf der Welt. Das Ziel, nichts weniger als die Verbesserung des Menschen und damit auch der Menschheit. Informatiker arbeiten bei Google, Microsoft, Apple etc. an Algorithmen, die Daten – und Informationsströme immer besser steuern. Die künstliche Intelligenz ist bereits in der Lage, Großmeister in Schach und Go-Spiel zu schlagen, die Pharmalabore entwickeln neuartige Medikamente und Methoden um Krebs, Übergewicht oder Herzkreislauferkrankungen in den Griff zu bekommen. Biologisch sei es möglich, dass ein Mensch im Jahre 2090 150 Jahre alt werde, satt der heutigen 70-80 Jahre. Heute schon vertrauen wir den Algorithmen die Börsenkurse der Wirtschaft, die Überprüfung unserer Fitness und den Terminkalender an, das alles wird sich in den kommenden Jahrzehnten effizienter und differenzierter gestalten.
Es entsteht eine neue Data-Religion, ein Dataismus, der dadurch überzeugt, dass er nicht nur den Menschen verbessert, sondern auch seine Mit-und Umwelt reguliert und nach seinen Bedürfnissen einrichtet. Das machen nun Menschen schon seit tausenden von Jahren, aber eben nicht so effizient und wirkmächtig wie dies in Zukunft geschehen kann. Und dies wird Folgen haben auf das Leben aller, ob positiv oder negativ.
„Der Dataismus nimmt gegenüber der Menschheit eine streng funktionale Haltung ein und bemisst den Wert der menschliche Erfahrungen allein nach ihrer Funktion in Datenverarbeitungsmechanismen. Wenn wir einen Algorithmus entwickeln, der die gleiche Funktion besser erfüllt, werden menschliche Erfahrungen ihren Wert verlieren. Wenn wir also nicht nur Taxifahrer und Ärzte, sondern auch Anwälte, Dichter und Musiker durch überlegene Computerprogramme ersetzen können, warum sollte es uns groß kümmern, wenn diese Programme über kein Bewusstsein und keine subjektive Erfahrung verfügen? Wenn manche Humanisten nun die Ehrwürdigkeit menschlicher Erfahrung preisen, würden Dataisten das als sentimentalen Humbug abtun. >> Die Erfahrung, die Sie da in den Himmel loben, ist nichts weiter als ein veralteter biochemischer Algorithmus. Vor 70 000 Jahren in der afrikanischen Savanne war dieser Algorithmus modern. Selbst im 20. Jahrhundert war er für die Armee und für die Wirtschaft noch zu gebrauchen. Aber schon bald werden wir über viel bessere Algorithmen verfügen.<< (Harari, S. 527).
D.h. für den Dataismus als neuer Religion ist der moderne Humanismus nichts weiter als eine Fiktion, die der Humanismus den Religionen, Gott, Seele, Geist unterstellt. Die humanistischen Werte wie Menschenwürde, Freiheit, Gefühl, Bewußtsein, Demokratie wird ebenso eine Fiktionalität unterstellt wie vormals den alten religiösen Mythen der Antike. Nicht nur der Mensch schafft sich ab, sondern auch der Deus Homo gleich mit, indem er der nicht bewussten Intelligenz der Algorithmen, die sicherer und besser funktionieren als die biologischen, die Regelung aller Lebensvorgänge und Entscheidungen überlässt. Das Leben und die Welt ist für den Menschen auch als Gott zu kompliziert und das Universum, Himmel und Hölle bleiben leer.
Y.N. Harari bezeichnet seine Geschichte von morgen nicht als Prognose, als komme es genau so und nicht anders. Er spricht von der Möglichkeit solcher Entwicklungen. Natürlich sind solche Gedanken nicht neu, Star Wars, die Tribute von Panem und ein ganzes Heer von SFi - Literatur spielen mit diesen Szenarien, die übrigens Harari gut kennt und er selbst verwendet in seinen Beschreibungen eine Vielzahl kleiner alltägliche Szenerien der Zukunft, die er geschickt dann mit Makrotendenzen eine möglichen zukünftigen Entwicklung verbindet. Worin das Buch besticht, ist das Weiterdenken eines Historikers, der ähnliche Muster in der Geschichte der Menschheit erkennt und die Linien einfach auszieht und die Tendenzen beschreibt. Und das sehr wohl logisch begründet.
©Dreamy2017
©Thomas Bernhard2017
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