Selbstbestimmung
Selbstbestimmung ist in der Tat - so sehe ich es auch - Dreh- und Angelpunkt dieser Diskussion.
Selbstbestimmung ist A) individuell und B) im gesellschaftlichen Spiegel eines historischen Kontexts zu betrachten. Wenn heute jemand mit sehr guter Ausbildung, vom dem erwartet wird, ein "guter Vater und Ehemann" zu sein und jeden Tag ins Büro zu trotteln, obwohl er es hasst und seine Frau zum Albtraum geworden ist, feststellt, dass er eigentlich einen Obstladen führen und sich von seiner Frau trennen möchte und beides tut, handelt diese Person selbstbestimmt und revolutionär. Denn, so Heinrich sehr richtig:
Ich empfand sie als Selbstbestimmt.
Wer kann das schon von sich behaupten.
Selbstbestimmung war damals schwierig und ist es heute noch. Das hat nicht nur mit Sexualität zu tun, sondern betrifft eine Fülle von Lebensthemen, die gesellschaftlichlich eingeengt werden. In dem Moment, in dem ein Einzelner mit den Normen seiner Zeit und seines Umfelds und seiner ureigenen Geschichte bricht, handelt er selbstbstimmt und gleichsam revolutionär. Denn jeder hat schon für sich eigene Grenzen und handelt entsprechend mutiger und kühner, als ein anderer bei gleicher Handlung.
Wenn Romy Schneider damals in einer Talkshow sagte: "Ich mag sie sehr" - dann ist das nicht nur ein Satz zu einer bestimmten Zeit, der gesprochen wurde und Wellen schlug - heute sagen viele solche Sätze mehrmals in x Talkshows. Sondern es wurde auch von einer bestimmten Frau in einem bestimmten Ton zu einem ganz ganz bestimmten Mann gesagt.
Wenn Nina Hagen damals vor laufenden Kameras demonstrierte, wie man sich am besten anfasst, ist das m. E. nicht revolutionär-er. Für Nina, kann ich mir vorstellen, war das eine vergleichbar Leichtes, das zu tun.
Es muss ziemlich revolutionär gewesen sein, von Jacky Kennedy zu Jacky O. zu werden. Es ist ziemlich revolutionär, wenn Susanne morgen ihrer Mutter sagt: "Diesen Sonntag kann ich nicht kommen", während Marion schon vor 5 Jahren ihrer Mutter sagte: "Ich möchte nicht, dass Du Dich so in mein Leben einmischst"
Was, außerdem, wie in der Kunst, in dieses Thema mit reinspielt, ist der Gegensatz von Wirkungs- versus Darstellungsästhetik. Ein Werk, das nichts bezwecken will, sondern nur darstellt, aus sich selbst heraus, bricht in aller Regel mit den Normen seiner Zeit und ist Kunst. Während ein Werk, das die Normen seiner Zeit anpassend aufgreift, auf Wirkung zielt. Keine Kunst.
Ich habe das Gefühl, Uschi O. tat die Dinge nur aus sich selbst heraus. Wenn ich sie mir anschaue, zusammen mit allen in ihrem Umfeld, fühlt sie sich wie eine echte LebensKÜNSTLERIN an. Sie ist ein Superschrecken im besten Sinne des Wortes gewesen. Sie war ein super Leckerchen, das sich auf zwei total verschiedenen, eigentlich verfeindeten Parketten aufhielt - fashion industry versus Systemgegner. Das allein ist schon revolutionär und zeugt von enormer Selbstbestimmung. Sie nahm sich die Dinge einfach, die sie wollte.
Grüße
she