Habe mir nun mal wieder einen Roman von William Boyd zur Hand genommen: Die Fotografin.
Der Verlag beschreibt das Buch folgendermaßen:
"Amory Clay, Fotografin, Reisende, Kriegsberichterstatterin: eine Frau, die ihrer Zeit weit voraus ist, die unerschrocken ihren Weg geht und ihre Geschicke selbst in die Hand nimmt. Tief fühlt sich William Boyd in sie ein und versteht es glänzend, Fiktion und Geschichte miteinander zu verschränken: das ausschweifende Berlin der Dreißigerjahre, New York, wo sie den Mann trifft, der alles verändert, Paris im Zweiten Weltkrieg. Nach »Ruhelos« hat Boyd erneut eine unvergessliche Heldin geschaffen, eine verwegene, verblüffende Frau, einen Künstlerroman, der das Porträt einer ganzen Epoche zeichnet."
Eins gleich vorweg: Ich liebe Romane, die sich als aufrechte, schonunglos ehrliche Biografien geben und die dargestellten, vermeintlich echten Lebensereignisse eindrücklich mit dokumentarischem Bildmaterial zu belegen suchen.
So auch hier: William Boyd erzählt das (komplett fiktive) Leben der englischen Fotografin Amory Clay, es umfasst fast das ganze 20. Jahrhundert, und - ich will jetzt ganz genau sein - nicht er erzählt, nein, es ist ja eine Autobiographie, Amory Clay selbst legt hier als nun alte Dame Rechenschaft ab - und sie hat viel zu berichten: Aufregend war es, in den zwanziger/dreißiger Jahren in Berlin, weibliche Fotografen waren äußerst ungewöhnlich und die roaring twenties bereiten Amory gründlich aufs weitere Leben vor.
Dazu gehört natürlich der zweite Weltkrieg, den sie als Kriegsberichterstatterin hautnah miterlebt, dazu gehören Liebschaften, eine Ehe, Kinder …. Im Vordergrund steht jedoch ihr Beruf, Details und wichtige Ereignisse in ihrem Journal werden mit Fotos belegt. Die Illusion ist perfekt.
Wie konnte dieses (Kunst)werk so gut gelingen? William Boyd kaufte einen Koffer voll alter, namenloser Fotos – zugegeben, das erinnert an Ransom Riggs „Die Insel der besonderen Kinder“, auch hier werden Fotos zur Unterstreichung der Echtheit der Fiktion benutzt. Doch jetzt kommt Boyds großes Können: Er schreibt perfekt im Duktus einer Frau - und ich glaube ihr jedes einzelne Wort. Natürlich - Amory Clay ist echt und wir erfahren ihr Leben durch ihre Worte, ihre Fotos.
William Boyd ist - wie seine Leser - gefangen im Erzählfluss seiner Fotografin, was macht es da schon, dass er ihre Biografie einen Hauch zu fazettenreich anlegt und ein oder zwei Episoden zu lang fabuliert. Wir verzeihen es, denn das letzte Kapitel ist so brillant geschrieben, dass wir das Buch mit Wehmut und doch sehr viel Glücksgefühl zufrieden zuklappen können.
Besonders erwähnenswert ist seine Danksagung ganz zum Schluss, die nicht - wie üblich - an die Ehefrau, den Verleger, den Lektor geht, sondern vielmehr einer ganzen Reihe von Künstlerinnen, Schriftstellerinnen, Fotografinnen gewidmet ist (das Nachrecherchieren zu diesen Musen ist einfach wunderbar), so zum Beispiel der Journalistin Annemarie Schwarzenbach , der Modefotografin Edith Glogau, der Reiseschriftstellerin Martha Gellhorn, den Fotografinnen Marianne Breslauer und Edith Tudor-Hart - denn aus diesen Inspirationen ist es ja entstanden, das spannende, das schöne Leben der Amory Clay.