"Über Menschen" von Juli Zeh
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Juli Zeh bezieht sich in ihrem neuen Buch "Über Menschen" auf die Corona-Zeit.
Auf den ersten Blick hat "Über Menschen" ein ähnliches Setting wie ihr Erfolgsroman "Unter Leuten". Die junge Protagonistin Dora zieht von Berlin, wo sie es bei ihrem zum Corona-Apokalyptiker mutierten Freund nicht mehr aushalten kann, aufs Land. Mit der Realität auf dem Land konfrontiert, verändert sich ihr Weltbild.
Dora ist mit ihrer kleinen Hündin aufs Land gezogen. Sie brauchte dringend einen Tapetenwechsel, mehr Freiheit, Raum zum Atmen. Aber ganz so idyllisch wie gedacht ist Bracken, das kleine Dorf im brandenburgischen Nirgendwo, nicht.
In Doras Haus gibt es noch keine Möbel, der Garten gleicht einer Wildnis, und die Busverbindung in die Kreisstadt ist ein Witz.
Vor allem aber verbirgt sich hinter der hohen Gartenmauer ein Nachbar, der mit kahlrasiertem Kopf und rechten Sprüchen sämtlichen Vorurteilen zu entsprechen scheint.
Geflohen vor dem Lockdown in der Großstadt muss Dora sich fragen, was sie in dieser anarchischen Leere sucht: Abstand von Robert, ihrem Freund, der ihr in seinem verbissenen Klimaaktivismus immer fremder wird?
Zuflucht wegen der inneren Unruhe, die sie nachts nicht mehr schlafen lässt? Antwort auf die Frage, wann die Welt eigentlich so durcheinandergeraten ist? Während Dora noch versucht, die eigenen Gedanken und Dämonen in Schach zu halten, geschehen in ihrer unmittelbaren Nähe Dinge, mit denen sie nicht rechnen konnte.
Ihr zeigen sich Menschen, die in kein Raster passen, ihre Vorstellungen und ihr bisheriges Leben aufs Massivste herausfordern und sie etwas erfahren lassen, von dem sie niemals gedacht hätte, dass sie es sucht.
Juli Zehs neuer Roman erzählt von unserer unmittelbaren Gegenwart, von unseren Befangenheiten, Schwächen und Ängsten, und er erzählt von unseren Stärken, die zum Vorschein kommen, wenn wir uns trauen, Menschen zu sein.
Quelle NDR Kultur
Kurzinterview mit Juli Zeh:
Repräsentiert Dora, die Hauptfigur aus „Über Menschen“, die während der Corona-Pandemie aus der Stadt aufs Land flüchtet, einen bestimmten Zeitgeist?
"Dora ist in vielerlei Hinsicht eine typische Vertreterin des aktuellen Zeitgeistes.
Sie hat eigentlich alles, was sich ein Mensch wünschen kann - einen guten Job, einen Partner, eine schöne Wohnung in Berlin.
Aber sie ist unglücklich mit sich selbst, sie fühlt sich überfordert, sie hat den Eindruck, mit den vielen Veränderungen und Anforderungen um sie herum nicht mehr mithalten zu können.
Sie weiß eigentlich gar nicht, was sie im Leben will - sie weiß immer nur, was sie nicht will.
Ein starker Fluchtinstinkt plagt sie, manchmal denkt sie, die Welt am liebsten in einer Rakete verlassen zu wollen, um im Weltall endlich Ruhe und Frieden zu finden.
Ich glaube, dass solche Gedanken und Gefühle sehr viele Menschen betreffen, nicht nur wegen Corona, sondern auch, weil wir uns unserer eigenen Epoche, die uns so viel schenkt, uns aber auch mit so vielen Problemen konfrontiert, nicht richtig gewachsen fühlen."
Doras neuer Nachbar stellt sich sogleich als der „Dorf-Nazi“ vor.
Zwingt eine Dorfgemeinschaft dazu, sich auf Menschen einzulassen, die man in der Stadt entschiedener ablehnen kann und einfach meiden würde?
"Das ist genau das Besondere am Dorfleben.
Die Stadt ist in gewisser Weise eine große Möglichkeitenmaschine - man hat immer die Möglichkeit, aber auch die Pflicht, etwas zu verändern und zu verbessern, wenn etwas stört oder nicht gut funktioniert.
Neue Wohnung, neuer Job, neuer Partner, vielleicht sogar andere Freunde, eine neue Identität.
Auf dem Dorf kann man nicht auf diese Weise ausweichen.
Man lebt mit dem, was man vorfindet.
Das stellt einen vor die Herausforderung, sich Konflikten wirklich zu stellen. Man lernt andere Menschen, aber auch sich selbst auf ganz neue Weise kennen."
Wieweit muss man die eigenen Überzeugungen hinten anstellen, um seine Mitmenschen zu sehen und ein Zusammenleben zu ermöglichen? Gibt es da auch eine Grenze?
"Ich glaube nicht, dass es darum geht, eigene Überzeugungen zurückzustellen. Die Frage ist eher, ob und wie man damit leben kann, dass andere Menschen etwas anderes denken als man selbst, ja, dass sie gewissermaßen in einem ganz anderen, eigenen Universum leben, in dem ihnen die Dinge anders erscheinen.
Natürlich gibt es im Zusammenleben Grenzen, wie man sich verhalten darf, was man sagen darf und was nicht.
Zum Teil werden diese Grenzen durch Gesetze gesichert, zum Teil auch durch ungeschriebene Regeln der Sittlichkeit, des Anstands und des Geschmacks.
Das gilt überall und ist gut so. Allerdings beobachten wir derzeit eine Tendenz, dass viele Menschen es auch innerhalb dieser Grenzen schwierig finden, auf Menschen zu treffen, die eine andere Weltsicht vertreten.
Das führt dann zu dem Gefühl, dass man selbst im Recht ist, während die anderen verrückt geworden sind.
In letzter Konsequenz macht das einsam, und es behindert ein offenes Gespräch, wie wir es in einer Demokratie eigentlich führen wollen."
Rezension Amazon
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