Honigkuss, Salwa Al Neimi (dt. Übersetzung Doris Kilias)
Ich will mich hier nicht auslassen über E- und U-Trenndiäten, schwere und leichte Kost oder die guten ins Kröpfchen und die schlechten ins Töpfchen. Doch wer auf Prinzenrollen steht oder Wichsvorlagen sucht, möge sich in aktuellen Schattenreichen umsehen. Hier geht es um Literatur, jeder Satz erscheint mir aufhebenswert, zeitlos und (mich) glücklich machend, obwohl ich nicht immer mit der Ich-Erzählerin konform gehe.
Pink-gelb und gar nicht grau kommt die gebundene deutsche Ausgabe des erotisch-philosophischen Traktats daher. Honigkuss vereint Geschichten aus 1001 Tagen und Nächten, auf dem Fundament arabischer Klassiker, doch bar fundamentalistischer Humor- und Lustlosigkeiten.
Unsere sinnenfreudige Muslima liebt zwischen Paris und Damaskus, ist verheiratet und führt ein zunächst literarisches Zweitleben, das dank des "Denkers" in ein Doppelleben mündet, zumal ihr die für die westliche Welt übliche Trennung zwischen Körper und Seele fremd erscheint und sie daher Sex nicht als etwas minderwertigeres ansieht als Liebe.
Neben der liebe- und lustvollen Sprache gefällt mir besonders die Dialektik zwischen Wissensdrang und Erkenntnis, zwischen Lust und Lernen - vorzugsweise von klugen Männern:
„Mein Wissensdurst ist der Motor meiner Lust auf Männer. Nein. Meine Lust auf Männer löst meinen Wissensdurst aus. Aus mir selbst heraus das Begehren und die Lust begreifen und dadurch die Welt begreifen... Je mehr mich ein Mann lehrt, desto mehr liebe ich ihn. Nach dem Denker konnte ich keinen Mann ertragen, der es nicht verstand, mir etwas beizubringen... Die Lust zu lernen ist mit sexueller Lust gekoppelt. In meinem Gehirn überlappt sich das Zentrum für Lustempfinden mit dem der Erkenntnis.“ (ISBN 978-3-455-40131-8, Hoffmann & Campe, pp. 114-115).
Und so sortiert sie, die Archivarin der Pariser Bibliothek, auf eine sehr lesenswerte Weise - die erotischen Geschichten und die Männer.