Verschlossen
Sie ist in München, ich bin es nicht. Ihr Hosenanzug hat einen tiefen Ausschnitt, das Dekolleté ist elegant. Ohne dass sie es erzählen muss, weiß ich, die Blicke in der Hotelbar gehören ihr. Etwas ist anders, sie trägt eine Kette mit Schlüssel um den Hals. Neuerdings will sie Zeichen setzen. Und hat mich verschlossen. Der Mann, der es bemerkte, schreibt sie mir im nächtlichen Chat, näherte sich mit Rosé-Sekt und kristallklarer Frage: »Ist er anwesend?« Das war auch für sie ungewohnt, jeder einzelne Schritt wie ein Zugriff, auf sie, auf uns. Die Sektflasche habe es noch vor ihnen in seine Hotelsuite geschafft, erfahre ich gegen 3.00 Uhr, inzwischen sei sie leer, und sie bis auf die Kette nackt. Er lese gerade mit, sehr selbstverständlich. Sie möge das sehr und befriedige aktuell nicht nur seine Neugierde. Meine Bilder im Cage haben ihm gefallen, »so wie Potenzmittel«, textet Claire. Es kommt nur noch eine weitere Nachricht. Von ihrem Handy, mit Verzögerung: Fünfuhrvorstellung. »Ich komme in ihr, Cucki. Schon die ganze Nacht, kleiner Loser.« Ob er so gut ist, wie er meint, spielt keine Rolle. Allein für diese zwei Sätze ¬– nicht zu planen, aber möglich ¬– inszenierte sie sich. Und uns.© Gilbert Bach. 2023