Die weißen Strümpfe zum Fest
Sein Weihnachtsbaum ist pompös, geschmackvoll ist er nicht. Ich bin erst das zweite Mal hier, Claire geht inzwischen ein und aus. Der erste Weihnachtstag unter Freunden, seinen, ich kenne nicht ein Gesicht. Meine Frau in weißen Kniestrümpfen, grünen Chucks und rotem Kleid. Mark im Dreiteiler, ich im weißen Hemd. Schon bald höre ich »Du bist also Claire!«, schon bald sehe ich, wie sie mich fixieren.Das Essen ist okay, aber reichlich. Mark schickt mich in die Küche, Wein und Wasser holen, ein ums andere Mal. Ich erröte und diene. Mit zittriger Hand. Claire plaudert, hat ein Publikum, ist entzückend, eloquent. Irgendwann spricht Claus, 53, mit lauter Stimme, über alle anderen hinweg. Um elf Uhr zwei unterbricht er Gespräche, schaut mich an, redet los: »Dieses Cuckold-Ding kannte ich gar nicht. Und es macht dir also gar nichts aus, wenn er sie fickt?" Ich blicke zu Boden, mein Mund geöffnet, doch es kommt einfach kein Ton. Birgit, seine Frau, unterbricht die Stille, weich und freundlich, offenes Gesicht. »In der nächsten Runde gibst du ihm bitte Wasser! Gil, es tut mir leid.«
Momente des Sammelns, der eine zupft an seinem Ärmel, die nächste sortiert das vor ihr liegende Besteck. Claire erhebt sich, streicht ihr Kleid nach unten, zupft die weißen Strümpfe zurück über die Knie. Kein Auge woanders, auch mein Blick ganz bei ihr. Ihr Weg zu Mark fast in Zeitlupe, die ausgestreckte Hand, ihr leichtes Nicken Richtung Flur. Schon stehen sie im Türrahmen, Hand in Hand wie ein Paar. Claire lächelt, schaut Claus an, Mark zieht sie zu sich, hält sie umarmt. »Claus, du verdienst eine Antwort. Mein Mann schweigt. Ich finde das total süß. Du nicht auch? Aber gut, wie wär's, wenn du ihn einfach beobachtest. Entschuldigt uns kurz, wir sind bestimmt gleich zurück.« Vor unseren Augen verschwinden sie gemeinsam. Wir schweigen weiter. Bis kurz vor zwölf.
© Gilbert Bach. 2023