Wie es ist
Mitunter trifft mich der Orgasmus ihrer Lover härter als ihrer. Claire kommt bei jedem Windzug, wenn sie das Fenster einmal öffnet. Sie ist so sehr bei sich, souverän und frei, dass mich nur die Guten kränken. Die, denen Sie ihre volle Aufmerksamkeit schenkt. So, als sei ich gar nicht im Raum. Und so ist es überwiegend die männliche Lust, die mich der Brutalität meiner Situation aussetzt. Bin ich dabei, sind ihre Männer aggressiv. Hier ein »Siehst du, wie ich sie ficke«-Gesicht, auch dann, wenn sie mich gar nicht anschauen. Dort ein konstantes Grinsen. Beim Höhepunkt oft ein stummer Schrei. Die meisten bleiben tonlos oder grunzend, immer animalisch, selten dauert es länger als wenige Sekunden. Immer Triumph, ihr Sieg über mich. Nur wenige sind Liebhaber in diesen Momenten, kümmern sich um Claire. Es geht darum, in ihr zu kommen. In meiner Anwesenheit. Je nach Position sehe ich, wie sie sich entladen, das Pumpen, die Kontraktion, sie empfängt den Schwall stoßweise, die Männer packen dann gerne nochmal zu, klammern, stellen sicher, dass sie alles aufnimmt.
Meist versucht sie genau jetzt den Blickkontakt zu mir herzustellen, Auge in Auge und lautlos zu sagen: »Er kommt in mir. Er spritzt deine Frau voll. Du kannst das nicht mehr ändern. Es geschieht.« Ich weiß inzwischen, dass er dann nicht gut war. So verleiht sie ihrer Frustration über einen sinnlosen Fick mit einem fremden Mann Sinn. Nur mit diesem Blick zwischen uns hat es Bedeutung.
In Augenblicken von Verliebtheit verhält sie sich wie eine Frau, die gerade Liebe gemacht hat, bleibt zärtlich mit ihm, nah, küssend, kuschelnd. Auch hier geht es nie um Orgasmen, sondern darum, dass sie mir erlaubt, ihre ungefilterte Intimität mitzuerleben. Sie lässt zu, dass ich ihren Kontrollverlust erlebe. Nicht den körperlichen, den emotionalen. Weine ich, versucht sie es mit Härte, ein »Verzieh dich!« in gebrochener Tonlage. Lacht ihr Partner, weiß ich, dass ich ihn nie wieder sehen werde. Bleibt er höflich, kann ich mich auf eine längere gemeinsame Reise einstellen.
Die mediokren Erlebnisse enden damit, dass die Typen meist geschwätzig werden, mir erklären, was gerade geschah, wieso ich das niemals so gut könnte wie sie, was ich doch für eine Pussy sei, all diese Dinge. Ist er dabei eloquent, bekommt er die Kurve, etwa durch eine geistreich-dreckige Unterhaltung, steigt Claire mit ein. In den meisten Fällen geht sie ins Bad, streicht mir liebevoll über das Haar, berührt mich im Vorbeigehen, coacht ihren vermeintlichen Sieger stilvoll und leise aus.
Männer wie Viktor, Helden wie Jon sind andere Kaliber. Das Wahre und Schöne bleibt die Ausnahme. Man kann es nicht planen. Wenn wir es erleben, fegt es uns aus der Umlaufbahn unserer Erwartungen. Bis dahin amüsieren wir uns mit frivolen Spielchen. Danach wird das Spielen sinnloser. Von Tag zu Tag.
© Gilbert Bach. 2024
