Gabriel
Ich erinnere mich nicht mehr daran, wann er für kurze Zeit in unser Leben trat. Nur noch an seine Art, sein Temperament, seinen Geschmack. Gabriel studierte Sport, hatte kein Geld, nur seinen Körper und einen sich aus Egozentrik, Selbstverständlichkeit und erfrischender Ahnungslosigkeit speisenden Geist. Er handelte einfach, wie ihm der Kopf gewachsen war. Das konnte man mögen. Claire fand ihn unterhaltsam, weil er sie gar nicht erst zu unterhalten versuchte.An einem Freitag, auch das habe ich behalten, schleppte Claire ihn zu einem der gehobeneren Italiener in der Stadt, »La Fenice«, das Theater in Venedig, allerlei Pomp und Übertreibungen. Sie hatten dort auch im 21. Jahrhundert noch eine Damenkarte, wie Claire mir hinterher berichtete. Die diskrete Version ohne Preise für eine von finanziellen Zwängen befreite Herrenbegleitung. Noch bemerkenswerter für sie war: Auch Gabriel ließ sich diese Karte reichen. »Ihr Ehemann zahlt.« Sie fand das amüsant.
Als ich die beiden abholte, erhielt ich eine burgunderfarbene Mappe. Die Rechnung schmerzte mehr als so manche Ohrfeige, die ich in meinem Leben einstecken musste. Hierfür entschuldigte sich Claire noch im Auto, für alles Weitere nicht mehr. Gabriel gab Gas. Auf dem Rücksitz. Sie hatte ihm in den Tagen zuvor erklärt, wie unsere Ehe zu verstehen sei. Seither fühlte er sich als Mannschaftskapitän. Mit einer Hand zwischen ihren Schenkeln und einer an ihrem Nacken nahm er Fahrt auf. Während ich uns nach Hause cruiste.
Später gestand mir Claire, er habe sich dieses »Cuckold-Ding«, wie er es nannte, neugierig und in aller Ausführlichkeit erklären lassen. Und war sofort begeistert. Er verstand es sportlich, denn das verstand er gut. Sein Ehrgeiz, den Gegner nicht nur zu besiegen, sondern auch zu demütigen, war geweckt. Von Anfang an. Sobald sich die Wohnungstür hinter uns verschloss, drückte er mich erst an die Wand, dann zu Boden. »Zieh dich aus, du Loser«, hörte ich schon, als Claire noch ihre Handtasche und die Schlüssel ablegte.
Mit Kabelbindern um Hand- und Fußgelenke musste ich ihnen zusehen. Sein Spiel ging über mehrere Sätze. Stets beendete er einen Durchgang, ohne selbst zu kommen. Die Ekstase und Erlösung überließ er Claire. Er führte sie kontrolliert, geschickt, schwitzte nicht, obwohl er sie stundenlang befriedigte. Gabriel bewegte sich wie ein Leistungssportler. Und sah dabei aus wie ein Unterwäschemodel. Die Schönheit ihrer Körper im Einklang ließ mich verzweifeln. Es schmerzte, gerade weil ich es für Perfektion hielt.
Irgendwann, in tiefer Nacht, zerrte er mich an sie heran, bereit für das Finale, mein Endspiel, seine Ehre. »Ich werde sie gleich vollpumpen, Schlappschwanz.« Es fehlten nur noch die Fanfaren, das Feuerwerk, der Applaus begeisterter Fans. Gabriel kam in gewaltiger Eruption, hob mich kurze Zeit später, gefesselt wie ein Paket, ohne Mühe zwischen ihre Beine. Claires Augen geschlossen, ihr Körper noch zitternd, ihr Zustand: zwischenweltlich. Seine Hand auf meinem Hinterkopf, unmissverständlicher Druck, mein Kopf schon bald getränkt mit ihren Säften. Er genoss es langsam, verschwand und kehrte wieder, spankte mich mit seinem Ledergürtel, taktvoll, genüsslich, triumphierend. Ich nahm ihn in mir auf. Bis meine Frau wieder zu sich kam. So schmeckten also Sieger.
© Gilbert Bach. 2024.