Karfreitag
Es ist Karfreitag. Zeit für Sünde. Wir sind in einer Hotelsuite in München. Vier Jahre später wirst du in dieser Stadt Jon kennenlernen. Heute ist er noch Zukunft. Wir beide sind niemals Gegenwart, auch wenn ich jetzt nackt vor dem großen Bett knie, während du es dir machst. Unsere Momente bestehen immer auch aus Vergangenheit und Verheißungen, die noch auf uns warten. Auf dich. Auf mich. Auf uns. Du nennst mich Lieblingssklave. Und erzählst mir mit den Händen zwischen deinen Beinen von den letzten Liebesnächsten mit Lovern, deren Namen ich nicht mal kenne. Ich weiß nur, dass es sie gab. Die Wiederauferstehung deiner Erlebnisse vor meinen Augen, qualvoll auch hier, durch den Schmerz hindurch, durch meinen, in meine Ohren, ins Hirn, in die verletzte Seele, gnadenlos, Claire, so wie nur du sein kannst. Keine Beichte. Ich bin es, der kniet, als seien es meine Vergehen. Schon willst du deine Zehen in meinem Mund, einen Blowjob für den großen, deine Empfindsamkeit schlägt direkt durch, vor mir bebende Lust, »Weiter, Slut!«, dein Kommandoton zwischen Hier und Erfüllung, gepaart mit Kontrolle: »Zurück auf den Boden. Auch dieser Orgasmus wird nicht von dir kommen.« Kaum hast du es ausgesprochen, angestachelt von dir selbst, kommst du von eigener Hand. Du brauchst meine Demütigung. Ohne sie funktioniert deine Promiskuität nicht. Spürst du, dass es gelingt, hältst du dich an kein Tanzverbot. Ich höre jetzt weitere Details. Schamlose Einzelheiten, einmal reicht dir nicht, während ich längst noch nicht darf. In meiner Nase der Duft von Regen. Auf nassem Gras. Ich gehe über eine Wiese, die ich noch nicht kenne. Und bin dennoch ganz bei dir. In diesem Raum. Heute weißt du noch nicht, dass es nicht der Sex ist, der mich quält. Er ist das Ergebnis, das Unvermeidliche. Um den Verstand bringt mich, wie und dass du sie kennenlernst, eure Komplizenschaft in Chats, die ich nicht kenne, Gelegenheiten des Lebens, die für mich nicht aufzuhalten sind, der Flirt, die Anbahnung, das Durchziehen, obwohl es mich gibt. Hier, Claire, verzettele ich mich in Scham und Eifersucht. Und empfinde Erregung, die ich mir nicht erklären kann. Ihr Saft auf deiner Haut, in dir, mit dir vergossen, ist nur die Bestätigung, die unverrückbare Tatsache, dass es geschah. Deine liebevollen und boshaften Augen wissen davon nichts, direkt vor mir nun, auf der Bettkante, fertig, befriedigt, noch in aufgeheizter Stimmung. »Komm in deine Hand, Baby Boy, und lecke alles, was du dir gibst. Schlucke für mich, Prinzessen. Los, komm!« Es ist Karfreitag. Zeit für Sünde. Unkeusche Lust, Gier, Vergehen und Verrat, zelebrierter Ehebruch vor den Lenden und unter den Augen mindestens eines Herrn. Zwei verlorene Seelen in der reinsten Form ihrer gemeinsamen Existenz. Ein Liebesfest. Unseres. © Gilbert Bach. 2024