Du wirfst da interessante Fragen auf, lieber Rocco, die natürlich bedacht werden wollen und sollen.
Natürlich müsst Ihr vorsichtig sein und behutsam mit allem umgehen, das ist keine Frage! Und es ist einfach nur schön, wie Eure Kinder das sehen und erleben und interpretieren. Und was die Schule betrifft, hast nur allzu recht: Das wirklich Wesentliche, über die rein bilogischen Funktionen hinausgehende wird oft genug nicht vermittelt.
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Darf ich da trotzdem mal höflich nachhaken:
Was ist denn dann mit den Kindern in einer polyamoren Landkommune? Müssten die nicht alle psychisch schwer geschädigt sein? Ich kenne einige solche Kommunen, die sind alle auf dem Land, oft in winzigen Dörfern. Und die Kinder dort lernen und wissen, dass man mehrere Menschen lieben und mit ihnen Sex haben kann und darf.
Manche finden das doof - je nachdem, in welcher Phase ihrer Kindheit sie sich gerade befinden -, manche finden das klasse. Viele werden vielleicht irgendwann mal einen ähnlichen Weg gehen, viele auch nicht. Wie in allen anderen Familien eben auch. Aber die meisten kommen damit prima klar, auch in ihrem Umfeld wie z. B. Schule, Freundeskreis etc.!
Und nach außen vertreten sie das Leben ihrer Eltern meistens selbstbewusst und sogar mit einem gewissen Stolz.
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Gar nicht weit weg von Euch gibt es das ZEGG, nämlich in Belzig bei Berlin. Dort leben die Kinder auch mit in der Gemeinschaft - und sie alle haben eine faszinierende Ausstrahlung und kommen auch in der Außenwelt gut zurecht (Belzig ist ja auch nicht gerade eine Großstadt).
Natürlich gibt es immer wieder "Spießer", denen freiere Lebensweisen Angst machen und die dann meckern oder lästern, aber in all den mir bekannten Fällen, mit denen ich bisher Kontakt hatte, war das die Minderheit. Und auch die sind meistens nach einer Weile immer stiller ...
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Ich fand das immer wieder herrlich zu beoabachten, wie so etwas ablaufen kann: Da kommen ein paar verwilderte, langhaarige Hippies mit Frauen in langen oder viel zu kurzen Röcken und bunten Tüchern, bewohnen auf einmal zu sechst oder zu acht einen Bauernhof, lieben sich alle, leben und arbeiten zusammen, jeder auf seinem Gebiet, bewirtschaften den Hof und das Land. Und mitten unter ihnen drei, vier oder mehr Kinder.
Und die Umgebung hält den Atem an und befürchtet erstmal den Weltuntergang.
Zwei, drei Jahre später treiben sie dann in fast allen Fällen sogar Handel mit den ehemaligen Schreckgespenstern, fragen bei ihnen nach, wie sie das machen mit dem biologischen Landbau (denn sie mekren sehr wohl, dass die nach einiger Zeit bessere und wohlschmckendere Erträge haben), schließen Freundschaften und diskutieren mit ihnen. Die Hippies sind auf einmal gerne gesehen in der Dorfkneipe (ganz am Anfang hätte man sie auf der Stelle rausgeworfen), man zieht sich hin und wieder gegenseitig auf, lacht auch mal übereinander, klopft sich dann aber wieder auf die Schultern und spendiert sich ein Bier.
Zwei oder drei der Langhaar-Affen spielen mittlerweile im Dorfverein Fußball und gehören sogar zu den besten, durch sie hat der Verein sogar den Aufstieg in die nächsthöhere Klasse geschafft.
Die Menschen haben die Kommune voll und ganz akzeptiert.
Sie selbst, die Dorfbewohner, wollen so nicht leben, aber sie haben gemerkt, dass die zwar anders ausssehen, anders sind, anders leben - aber eben auch nur Menschen sind wie Du und ich. Und dass man trotzdem prima nebeneinander und miteinander leben kann. Und das zu beobachten, das lässt mir jedesmal das Herz aufgehen.
Und gerade die Kinder, die dann im Dorf mit all den anderen toben, die sind von einer solch ansteckenden Fröhlichkeit und wild und frei, dass es eine wahre Pracht ist und mir manchmal Tränen in die Augen treibt. Und das alles, obwohl ihre Eltern polyamor leben ...
Wie machen sie und ihre Eltern das bloß?
(Der Antaghar)