Oktober
Perplex. Verwirrt. Was ging in Franks Kopf vor? Woher kam der Wunsch? “Er will nur einen Dreier” hatte ihr ein Freund gesagt und: “Probier’s halt aus”. Aber das war es nicht. Er wollte keinen Dreier. Er wollte, dass sie mit anderen Männern schlief. Es ging auch nicht darum, dass sie vor seinen Augen mit anderen Sex hatte, er sagte das bewusst. “Der Gedanke, dass Du mit einem anderen Mann schläfst, erregt mich”.Sie hatte etliche Male nachgefragt - bist Du dir sicher. Was, wenn ich mich verliebe? “Das kann auch im Supermarkt passieren”, war seine Antwort gewesen.
Monate später
An einem verregneten Samstagabend saßen Anja und Frank nebeneinander auf dem grauen Sofa im Wohnzimmer, das von der warmen Lampe neben ihnen nur schwach beleuchtet wurde. Der Fernseher lief im Hintergrund, aber keiner von ihnen schenkte ihm Beachtung. Anja hielt ihre Hände ineinander verschränkt, ihre Finger spielten nervös mit einem unsichtbaren Faden. Frank, der sich anfangs so sicher und sogar begeistert von der Idee der Treffen mit anderen Männern gezeigt hatte, saß nun still neben ihr, seine Stirn in Falten gelegt.
Die Stille zwischen ihnen war schwer, durchzogen von Gedanken, die keiner auszusprechen wagte. Anja war erschöpft von den endlosen Gedankenspiralen, die sie quälten. Die Übelkeit, die sie seit einigen Tagen verspürte, konnte sie sich nicht mehr nur als Einbildung erklären. Und da war dieses Gefühl, das immer mehr Raum einnahm: Was, wenn sie tatsächlich schwanger war?
Frank warf ihr einen verstohlenen Blick zu. Noch vor Wochen hatte ihn die Vorstellung, dass Anja mit anderen Männern Zeit verbrachte, fasziniert und gereizt. Es war für ihn eine Art Abenteuer, eine Möglichkeit, ihre Beziehung neu zu erleben. Doch jetzt, wo die Realität sie eingeholt hatte, kroch eine unkontrollierbare Panik in ihm hoch. Er stellte sich vor, wie es wäre, wenn das Kind, das Anja möglicherweise erwartete, nicht von ihm war. Diese Gedanken fühlten sich wie ein Knoten in seiner Brust an, der sich immer enger zog.
„Ich kann das nicht länger aushalten“, murmelte Anja schließlich, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern. „Wir müssen wissen, was los ist.“
Frank nickte langsam, die Worte fanden schwer ihren Weg über seine Lippen. „Wir sollten... wir sollten einen Test machen“, sagte er, und Anja sah ihn an, ihre Augen voll unausgesprochener Fragen.
„Aber woher?“, fragte sie, beinahe verzweifelt, als sie daran dachte, dass alle Apotheken in ihrer Nähe bereits geschlossen waren. Doch dann erinnerte sich Frank plötzlich: „Die Apotheke am Flughafen. Die hat bestimmt noch auf.“
Anja zögerte, sah aus dem Fenster in die Dunkelheit, den Regen, der gegen die Scheiben trommelte, und dann zurück zu Frank. Er wirkte entschlossener, aber die feinen Linien der Anspannung auf seiner Stirn verrieten seine innere Zerrissenheit. Sie spürte, dass er sich genauso vor dem Ergebnis fürchtete wie sie selbst.
„Okay“, stimmte sie schließlich leise zu, und beide erhoben sich beinahe gleichzeitig, als hätten sie Angst, ihre Entscheidung im nächsten Moment wieder zurückzunehmen. Sie schnappten sich ihre Jacken, Frank griff nach dem Autoschlüssel, und zusammen machten sie sich auf den Weg in die Nacht, auf der Suche nach Antworten, die ihre ganze Welt verändern könnten.
Als sie die Haustür hinter sich schlossen, schüttelte der kalte Wind ihnen den Regen ins Gesicht. Anja zog ihre Jacke enger um sich, während Frank das Auto aufschloss. Die Tropfen prasselten rhythmisch auf das Dach des Wagens, als sie einstiegen. Frank griff nach dem Zündschlüssel, drehte ihn, und der Motor erwachte brummend zum Leben, doch die Spannung zwischen ihnen war fast greifbarer als das vertraute Rauschen des Regens.
Anja saß auf dem Beifahrersitz, die Hände fest in ihrem Schoß verschränkt, und starrte durch die beschlagene Windschutzscheibe hinaus in die Nacht. Die Straßenlaternen warfen verschwommene, gelbliche Lichtkegel auf den nassen Asphalt, während Frank den Scheibenwischer auf die höchste Stufe stellte. Er lenkte den Wagen vorsichtig auf die Hauptstraße, ihre Blicke mieden sich, und die Stille zwischen ihnen wurde nur vom monotonen Wischen der Scheibenwischer durchbrochen.
Frank hielt das Lenkrad so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervorstachen. Seine Gedanken überschlugen sich, und er konnte den Blick auf die dunkle Straße kaum halten. Wie war es nur so weit gekommen? Die Vorstellung, dass Anja mit anderen Männern war, hatte ihn einst auf merkwürdige Weise befreit, doch jetzt fühlte er sich von seinen eigenen Fantasien verraten. Ein Bild schob sich in seinen Kopf, immer wieder: Anja, schwanger – und das Kind nicht von ihm. Er presste die Lippen zusammen, als würde das die Bilder vertreiben.
Neben ihm atmete Anja tief ein und aus, versuchte, Ruhe zu finden. Aber die Angst, die in ihrem Magen brodelte, ließ sich nicht beruhigen. Je näher sie dem Flughafen kamen, desto heftiger schlug ihr Herz. Sie spürte Franks Nervosität wie einen Schatten, der sich zwischen sie drängte. Hatte sie die richtige Entscheidung getroffen, auf seinen Wunsch einzugehen? Würde er bei ihr bleiben, wenn das Ergebnis ihres Verdachts anders ausfiel, als sie hofften?
Sie fuhren durch die nasse, dunkle Stadt, vorbei an menschenleeren Kreuzungen und verlassenen Tankstellen, bis die ersten Anzeichen des Flughafens am Horizont auftauchten. Die leuchtenden Schilder und die hell erleuchtete Zufahrtsstraße zum Terminal boten einen merkwürdigen Kontrast zu dem Chaos in ihren Köpfen.
Als sie schließlich auf dem Parkplatz des Flughafens zum Stehen kamen, verweilten sie für einen Moment im Wagen, beide in ihren Gedanken gefangen. Der Regen prasselte weiterhin auf das Autodach, als ob er ihre Sorgen wegspülen wollte, doch keiner machte Anstalten, die Tür zu öffnen.