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Es war doch mein Geheimnis - eine wahre Geschichte

******oye Frau
3.085 Beiträge
Themenersteller 
Es war doch mein Geheimnis - eine wahre Geschichte
Mit verheulten Augen schau ich nachdenklich meine Fingernägel an, die mit Glitzer lackiert sind. Vor mir ausgebreitet liegen die Bilder, die ich zuletzt gemalt habe. Portraits, Stilleben, Abstraktes. Kein rosa, keine Malbücher. Im Hintergrund läuft ein Fantasy-Hörbuch, von dem ich nichts wirklich mitbekomme. Nein, auf keinen Fall bin ich ein Little/Middle.

Zurück im Eiltempo durch die Jahre. Momente, in denen ich die Zeit vergaß.

Kindheit, Pubertät, Reisen, Freundschaften die bis heute halten.

Eine Biene, die ins Wasser gefallen war, die ich heraus hob und beobachtete, wie sie sich die Flügel trocknete. Wie niedlich. Steine flitschen am See, auf Grashalmen Musik machen, über Mauern turnen, im Gras liegen und die Wolken anschauen. Mit der Decke über dem Rücken auf der Couch im Schneidersitz ein Buch lesend. Experimente mit allem Möglichen, spielen, ausprobieren, lauthals singen, einfach loszulachen ohne erkennbaren Grund, weil mir einfach danach war oder weil mir etwas lustiges in den Sinn kam. Kochen, backen, was aus Holz basteln, mit echten Steinen statt mit Lego bauen. Mit den Kindern viel unternommen und Ausflüge gemacht, Museen besucht, gebastelt, gespielt. In unbeobachteten Momenten war die Welt immer ganz leicht. Auf Streifzügen durch die Gegend in der Mittagspause auf Arbeit, auch da wenn niemand hinsah über Mauern und Steine kletternd und springend, in leere Häuser reinschauen, die nächste kleine Querstraße erkunden. Ein neckendes "Mama, manchmal bist du wie ein Kind." Ja, schon immer. Verspielt. In alle Richtungen. Sexuell, kulturell, emotional, alles ausprobierend, immer neues entdeckend, forschend.

Gedankenfetzen holen mich wieder ein. Eine traumatische Erfahrung, Unverständnis von außen "Sei doch nicht so kindisch!", "Reiß dich mal zusammen!", "Du musst das ganz emotionslos sehen, das kann jetzt eine Weile gehen!" Ok, probier ich aus. Das Herz weggesperrt, den Kopf rational alles entscheiden lassen, die Welt geriet immer mehr in Schräglage, aber hey, "funktioniert" doch. Den Rest der bunten Welt (Gerüche beispielsweise) betäubte ich mit Rauchen und die taktilen Reize wenn es ganz schlimm war mit Alkohol. Auf Partys wunderbar umzusetzen. Gesellschaftsfähig, das ist angepasst. Aber mich dabei selbst zerstörend. Nur wenn ich mich selbst vergessen hatte, saß ich im Schneidersitz da, ließ die Zeit einfach ziehen, war im Moment. Ein Fünkchen von mir war immer da. Es war nie weg.

Und dann?

Blaue Augen vor denen ich anfangs so sehr Angst hatte beim Hineinschauen, weil mir schwindelig wurde und ein Lächeln, das mir die Angst zu versagen nahm, weil ich immer perfekt sein sollte, nie genug war und funktionieren musste.
Ruhe und Geduld, die mir zeigte, dass mein Tempo manchmal anders aber trotzdem ok ist.
Spaziergänge mit raschelndem Laub, Gänsen auf dem Wasser, würzige Luft, eine feste Umarmung, die mir Sicherheit und Geborgenheit gab.
Unterstützung für eine Prüfung, die ich dann verhauen hatte und der darüber bestürzte Blick.
Während eines Spaziergangs plötzliches Loshüpfen und eine Aufforderung hinterher zu hüpfen und meine Ablehnung, weil ich mich schämte. Ich hätte es so gerne gemacht. Die Aufmunterung in einen Blumenkübel zu schauen und mein vehementes Kopfschütteln, um Tage später doch heimlich hinein zu blicken, weil die Neugier dann doch stärker war. Mittlerweile ist dieser Blumenkübel blau gestrichen und wenn ich vorbeigehe, muss ich unwillkürlich lächeln.
Miteinander raufen.
Ein Gewinnen beim Armdrücken und das kurze Hochheben von mir fühlte sich wie Fliegen und in der Luft herumwirbeln an.
Begleitung bei einem Termin und mein Erstaunen darüber, weil das noch nie jemand für mich gemacht hatte doch danach plötzliche Verschlossenheit und ein unbeholfener Versuch ihn zu umarmen war einfach nur schrecklich vom Gefühl her. Ich weiß bis heute nicht warum diese Reaktion mir gegenüber kam und da es auch die letzte persönliche Begegnung war hat sich das eingebrannt. Homeoffice wurde beendet, damit die wenigen Stunden mit Momenten der Schwerelosigkeit. Fassungslosigkeit, Trauer, Wut, aber trotzdem weiterhin lieben, weil ich es nicht anders kann.

Das ich ist wieder da, hat mein Leben wieder aufgeräumt wie es sein sollte, es geht voran. Aber mit Auszeiten. Was nicht gut tut muss weg. Glaubenssätze zerstört. Ist es zu viel, zieh ich mich zurück in meine eigene Welt. Dann geh ich arbeiten weil ich muss, obwohl es mir ansonsten Spaß macht, dann geh ich einkaufen, obwohl ich lieber mit dem Kleinen spazieren gehen möchte und abends bin ich einfach nur müde.

Und jetzt kann ich nicht schlafen, weil mir immer wieder Fragen durch den Kopf gehen.

Warum war das so leicht zu sehen? Ich wollte es so sehr verstecken. Es war mein Geheimnis.

Und jetzt wo ich die Erfahrung gemacht habe, dass es ok ist, wie ich bin und dass ich mich NICHT zusammenreißen muss, jetzt kann ich mich nicht mehr zurückziehen ohne das zu vermissen. Ein Kuss auf den Scheitel, einen an den linken Mundwinkel, die Haare aus dem Gesicht zu streichen, Geschichten zu erzählen, mich zum Lachen zu bringen, mich trösten zu lassen. Einen Scheiß muss ich mit "alles alleine schaffen". Ich kann es, ich will aber nicht mehr. Ich kämpfe damit die ganze Zeit gegen mich selbst an, wenn ich das tue.

Es tut einfach nur weh und ich weiß nicht einmal genau was! Die Tränen liefen die ganze Zeit während ich schrieb, meine Nase ist vollkommen dicht von der Flennerei und ich hab Kopfschmerzen.

Um 5 Uhr klingelt der Wecker und ich muss funktionieren bis zur Mittagspause, wenn ich wieder losziehe, um die Gegend zu erkunden, durch den Park zu streifen, und schaue, wie sich die Blätter verfärbt haben.
******oye Frau
3.085 Beiträge
Themenersteller 
krankgemeldet ... tatsächlich ... einfach nur Zuhause bleiben. Aber morgen geh ich wieder.
*******t26 Frau
273 Beiträge
Ich fühl das grad soo sehr, vielen Dank! *herz4*
****s_H Mann
4.903 Beiträge
schön, ehrlich, traurig... eigentlich schade, es sollte mehr Menschen geben wie dich, wie euch... die sich nicht verstecken
vielleicht wär die Welt dann auch besser...
****79 Frau
55 Beiträge
Ich fühle so mit dir. Die Mauer hinter der ich alles versteckt hatte, wurde eingerissen, und plötzlich war das Funktionieren beinahe unmöglich. Ich wünsche dir viel Kraft deinen Weg zu finden.
******oye Frau
3.085 Beiträge
Themenersteller 
@****s_H Traurig? Ja, im Moment schon. Es gibt seither Dinge, die ich einfach nicht kannte. Und manches will ich auch einfach nicht verstehen. Das Gefühl war schön. Ich habe es aber wohl nicht so sehr nach außen gezeigt.

Ich nutze meine Fantasie mich wegzuträumen, wenn es zu heftig wird. Derzeit ist es wieder mehr, was ich so mitbekomme von anderen. Es scheint gerade an allen Ecken und Enden zu schlechter Stimmung zu kommen und ich kann nur dastehen und nicht helfen oder zumindest trösten. Wie dumm so viele sind, wie gefühllos und - ach, ich weiß auch nicht. So farblos? Das nimmt mir selbst auch meine Farben. Ja, vielleicht wäre es eine bessere Welt.

Früher dachte ich, das ist bei allen so. Irgendwann eckte ich überall an und ich sprach nicht mehr darüber. Erst viel später, als ich eben wieder fühlte und das alles auf einmal und teilweise durcheinander und gefühlt falsch oder gänzlich unbekannt merkte ich, dass das nicht so ist. Das zu sortieren war heftig. Aber ich war ja anfangs nicht alleine.

So zu weinen wie die letzten paar Wochen immer wieder, das kenne ich von mir nicht. Ich verkneifen es mir normalerweise. Aber das ist jetzt eben so. Stört ja Keinen. Was gefühlsmäßig danach kommt, werde ich ja sowieso gleich als Erste merken. Solange ich mein Lachen nicht verliere, ist alles in Ordnung.
****s_H Mann
4.903 Beiträge
ja, es klingt traurig, dass ein little/middle was auch immer, nach außen nicht sein kann wie es ist... dabei ist es oftmals so erfrischend wenn man einfach Blödsinn machen oder träumen kann, gerade auch wenn es gemeinsam machbar ist...
******oye Frau
3.085 Beiträge
Themenersteller 
Zitat von ****79:
Ich fühle so mit dir. Die Mauer hinter der ich alles versteckt hatte, wurde eingerissen, und plötzlich war das Funktionieren beinahe unmöglich. Ich wünsche dir viel Kraft deinen Weg zu finden.

Ich bin in die Gruppe gekommen, weil ich plötzlich einfach irgendwie nicht wusste, wohin mit mir. Das war ganz spontan ohne nachzudenken.

Einfach zu viele Dinge, die die letzten Tage wieder waren und die Pausen, die ich machte haben irgendwie nicht mehr ausgereicht. Körperliche Menschen wie ich, die gerne berührt werden und berühren, haben wohl alle damit zu kämpfen, wenn Umarmungen fehlen oder anderer Kontakt (auch Sex in meinem Fall). Wenn dann nach gefühlter Ewigkeit wieder intensiver Kontakt stattfindet, ist das auch wieder zuviel und ich brauche Zeit das zu verarbeiten. Und dann fiel ich plötzlich ins rabbit hole und ich wusste gar nicht mehr, wo oben und unten ist.

Und dann wurde ich hier so liebevoll aufgenommen und getröstet. Auch über private Nachrichten. Unbeschreiblich. Keine verbale Dresche, keine Besserwisserei oder "Reiß dich zusammen!" Ich darf traurig oder fröhlich sein, ich darf vermissen, wütend sein, Blödsinn machen.

Da ich dann so ziemlich den ganzen Tag verpennt hatte, bin ich jetzt natürlich wach. Aber das ist ok. Ich weiß, dass ich gleich wieder schlafen werde, aber ich wollte das hier schnell reinschreiben. Es geht mir bereits viel besser. Habt vielen Dank dafür.
*******t26 Frau
273 Beiträge
Ich war heute Nacht auch wach, mal wieder so ein Traum….
Habe alles für jemanden aufgeschrieben und geh jetzt mit 2 Stunden Schlaf funktionieren…

Hab einen guten Tag *herz4*
******oye Frau
3.085 Beiträge
Themenersteller 
Funktionieren ist super *schiefguck* Hab auch einen schönen Tag.
**********tNord Frau
1.108 Beiträge
Wer kennt es nicht? Leider.
*******irl Frau
488 Beiträge
Liebe Suncemoye *g*
eher durch Zufall (weil einer meiner zufälligen Profilbesucher diese Gruppe in seinem Profil hatte) kam ich hier vorbei und ich konnte Deinen Text auch als Auszenstehende lesen.
Er hat mich so tief berührt...und Dinge in mir angestoszen..dasz ich mich jetzt auch hier wiedefinde. Noch etwas desorientiert.
Ist alles noch sehr neu.
Danke.
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