Es war doch mein Geheimnis - eine wahre Geschichte
Mit verheulten Augen schau ich nachdenklich meine Fingernägel an, die mit Glitzer lackiert sind. Vor mir ausgebreitet liegen die Bilder, die ich zuletzt gemalt habe. Portraits, Stilleben, Abstraktes. Kein rosa, keine Malbücher. Im Hintergrund läuft ein Fantasy-Hörbuch, von dem ich nichts wirklich mitbekomme. Nein, auf keinen Fall bin ich ein Little/Middle.Zurück im Eiltempo durch die Jahre. Momente, in denen ich die Zeit vergaß.
Kindheit, Pubertät, Reisen, Freundschaften die bis heute halten.
Eine Biene, die ins Wasser gefallen war, die ich heraus hob und beobachtete, wie sie sich die Flügel trocknete. Wie niedlich. Steine flitschen am See, auf Grashalmen Musik machen, über Mauern turnen, im Gras liegen und die Wolken anschauen. Mit der Decke über dem Rücken auf der Couch im Schneidersitz ein Buch lesend. Experimente mit allem Möglichen, spielen, ausprobieren, lauthals singen, einfach loszulachen ohne erkennbaren Grund, weil mir einfach danach war oder weil mir etwas lustiges in den Sinn kam. Kochen, backen, was aus Holz basteln, mit echten Steinen statt mit Lego bauen. Mit den Kindern viel unternommen und Ausflüge gemacht, Museen besucht, gebastelt, gespielt. In unbeobachteten Momenten war die Welt immer ganz leicht. Auf Streifzügen durch die Gegend in der Mittagspause auf Arbeit, auch da wenn niemand hinsah über Mauern und Steine kletternd und springend, in leere Häuser reinschauen, die nächste kleine Querstraße erkunden. Ein neckendes "Mama, manchmal bist du wie ein Kind." Ja, schon immer. Verspielt. In alle Richtungen. Sexuell, kulturell, emotional, alles ausprobierend, immer neues entdeckend, forschend.
Gedankenfetzen holen mich wieder ein. Eine traumatische Erfahrung, Unverständnis von außen "Sei doch nicht so kindisch!", "Reiß dich mal zusammen!", "Du musst das ganz emotionslos sehen, das kann jetzt eine Weile gehen!" Ok, probier ich aus. Das Herz weggesperrt, den Kopf rational alles entscheiden lassen, die Welt geriet immer mehr in Schräglage, aber hey, "funktioniert" doch. Den Rest der bunten Welt (Gerüche beispielsweise) betäubte ich mit Rauchen und die taktilen Reize wenn es ganz schlimm war mit Alkohol. Auf Partys wunderbar umzusetzen. Gesellschaftsfähig, das ist angepasst. Aber mich dabei selbst zerstörend. Nur wenn ich mich selbst vergessen hatte, saß ich im Schneidersitz da, ließ die Zeit einfach ziehen, war im Moment. Ein Fünkchen von mir war immer da. Es war nie weg.
Und dann?
Blaue Augen vor denen ich anfangs so sehr Angst hatte beim Hineinschauen, weil mir schwindelig wurde und ein Lächeln, das mir die Angst zu versagen nahm, weil ich immer perfekt sein sollte, nie genug war und funktionieren musste.
Ruhe und Geduld, die mir zeigte, dass mein Tempo manchmal anders aber trotzdem ok ist.
Spaziergänge mit raschelndem Laub, Gänsen auf dem Wasser, würzige Luft, eine feste Umarmung, die mir Sicherheit und Geborgenheit gab.
Unterstützung für eine Prüfung, die ich dann verhauen hatte und der darüber bestürzte Blick.
Während eines Spaziergangs plötzliches Loshüpfen und eine Aufforderung hinterher zu hüpfen und meine Ablehnung, weil ich mich schämte. Ich hätte es so gerne gemacht. Die Aufmunterung in einen Blumenkübel zu schauen und mein vehementes Kopfschütteln, um Tage später doch heimlich hinein zu blicken, weil die Neugier dann doch stärker war. Mittlerweile ist dieser Blumenkübel blau gestrichen und wenn ich vorbeigehe, muss ich unwillkürlich lächeln.
Miteinander raufen.
Ein Gewinnen beim Armdrücken und das kurze Hochheben von mir fühlte sich wie Fliegen und in der Luft herumwirbeln an.
Begleitung bei einem Termin und mein Erstaunen darüber, weil das noch nie jemand für mich gemacht hatte doch danach plötzliche Verschlossenheit und ein unbeholfener Versuch ihn zu umarmen war einfach nur schrecklich vom Gefühl her. Ich weiß bis heute nicht warum diese Reaktion mir gegenüber kam und da es auch die letzte persönliche Begegnung war hat sich das eingebrannt. Homeoffice wurde beendet, damit die wenigen Stunden mit Momenten der Schwerelosigkeit. Fassungslosigkeit, Trauer, Wut, aber trotzdem weiterhin lieben, weil ich es nicht anders kann.
Das ich ist wieder da, hat mein Leben wieder aufgeräumt wie es sein sollte, es geht voran. Aber mit Auszeiten. Was nicht gut tut muss weg. Glaubenssätze zerstört. Ist es zu viel, zieh ich mich zurück in meine eigene Welt. Dann geh ich arbeiten weil ich muss, obwohl es mir ansonsten Spaß macht, dann geh ich einkaufen, obwohl ich lieber mit dem Kleinen spazieren gehen möchte und abends bin ich einfach nur müde.
Und jetzt kann ich nicht schlafen, weil mir immer wieder Fragen durch den Kopf gehen.
Warum war das so leicht zu sehen? Ich wollte es so sehr verstecken. Es war mein Geheimnis.
Und jetzt wo ich die Erfahrung gemacht habe, dass es ok ist, wie ich bin und dass ich mich NICHT zusammenreißen muss, jetzt kann ich mich nicht mehr zurückziehen ohne das zu vermissen. Ein Kuss auf den Scheitel, einen an den linken Mundwinkel, die Haare aus dem Gesicht zu streichen, Geschichten zu erzählen, mich zum Lachen zu bringen, mich trösten zu lassen. Einen Scheiß muss ich mit "alles alleine schaffen". Ich kann es, ich will aber nicht mehr. Ich kämpfe damit die ganze Zeit gegen mich selbst an, wenn ich das tue.
Es tut einfach nur weh und ich weiß nicht einmal genau was! Die Tränen liefen die ganze Zeit während ich schrieb, meine Nase ist vollkommen dicht von der Flennerei und ich hab Kopfschmerzen.
Um 5 Uhr klingelt der Wecker und ich muss funktionieren bis zur Mittagspause, wenn ich wieder losziehe, um die Gegend zu erkunden, durch den Park zu streifen, und schaue, wie sich die Blätter verfärbt haben.