Dank an die Engländer
Frauen und Fußball – zwei Welten prallen (manchmal) aufeinander. Zumindest bei mir ist das so.
Mein damaliger Freund Jürgen, mit dem ich mir drei Jahre lang Wohnung, Kosten und Hausarbeit teilte, konnte ein Lied von meinen lästerhaften Sprüchen zum Fußball singen, dem er sich mit Begeisterung verschrieben hatte. Natürlich war ich grundsätzlich gegen „seine“ Mannschaft.
An jenem Mittwochabend im Jahr 2001 rannte ich (wie immer) nach der Arbeit nach Hause, um zu kochen. Jeder sollte das tun, was er am besten konnte. Jürgen konnte nach meinen Kochorgien jedenfalls hervorragend die Küche saubermachen und den Tisch abräumen, wobei ich auch gerne mal eine Auszeit von der Kocherei gehabt hätte.
Wir waren gerade beim Essen, als das große Spiel begann. „Wer spielt denn gegen wen?“ So ohne richtiges Interesse hatte ich diese Frage gestellt. „Deutschland gegen England“ gab Jürgen mit vollem Mund zurück. „Und wer gewinnt?“
„Die Deutschen natürlich!“ sagte Jürgen aus voller Überzeugung. „Wetten nicht?“ gab ich kampfeslustig zurück. „Also gut, wetten wir – um was?“ Ich überlegte. War ich mir doch sicher, dass die Deutschen verlieren würden. Wirklich ganz sicher? Egal, der Spaß war es mir allemal wert: „Wir wetten um eine Woche Küchendienst, d.h. der Verlierer muss nicht nur kochen, sondern auch den Tisch abräumen und die Küche sauber machen!“
Siegessicher ging Jürgen sofort auf meinen Vorschlag ein. Wir schlugen ein – die Wette galt.
Deutschlandhymne... nun ging es los. Ich blieb sitzen, schließlich ging es jetzt um etwas. „Wer ist eigentlich wer?“ „Die mit den weißen Trikots sind die Deutschen!“ Ah ja. Doch was war das? Da lief doch einer von den weißen Männchen schnurstracks auf das Tor der Engländer zu, schoss... und Toooooooooooooooor! Nein, das musste ich mir nicht ansehen – diese Schmach. Ich stand auf, räumte – so geschlagen - schon einmal die Salatschüssel in die Küche und verzog mich in den Nebenraum, um mal ausgiebigst mit meiner Freundin zu telefonieren.
„Was, du guckst keinen Fußball?“ kam es gleich darauf aus dem Hörer. Elisabeth hatte einen Fußballnarren zum Ehemann und ich hörte das Spiel in Stereo – durch den Hörer und aus unserem Wohnzimmer. Plötzliches Gebrüll. „Was war das?“ wollte ich von Elisabeth wissen. „Och, die Engländer haben ein Tor geschossen.“ „Bitte bleib mal kurz dran, bin gleich wieder da!“ Mit diesen Worten rannte ich in unsere Küche und stellte die Salatschüssel wieder auf den Esszimmertisch. Triumphierend sah ich, dass Jürgen etwas in sich zusammen gesunken schien. Atemlos erreichte ich den Hörer wieder. „Was war das denn? Hat jemand an der Tür geklingelt?“ fragte Elisabeth. Ich erzählte ihr von unserer Wette, als erneutes Gebrüll erklang. „Was ist? Muss ich die Schüssel rein- oder raus tragen?“ „2.Tor für die Engländer!“ kam es da zurück. Ah, ich lehnte mich genüsslich zurück. Ich hatte jetzt Zeit; wenn es sein musste, konnte ich nun eine ganze Woche telefonieren und würde nicht durch das lästige Kochen gestört. Solchermaßen beruhigt begannen wir ein Gespräch von Frau zu Frau.
„3. Tor für die Engländer!“ Ich jubilierte innerlich. Beim 4. Tor für die Engländer rief ich mal Richtung Wohnzimmer, um Jürgen ein wenig aufzumuntern: „Sag mal, hatten wir nicht um Tordifferenz gewettet? So für jedes Tor eine Woche Küchendienst?“ Ich beeilte mich, die Tür zu schließen, als ein Kissen mit voller Wucht nach mir geworfen wurde. „Du kannst dich ganz beruhigt auf die kommende Woche freuen, eben ist das 5:1 für England gefallen.“ Abpfiff. Ende des Telefonates. Ich riss die Tür auf und sah gerade noch, wie Jürgen den letzten Teller in den Schrank stellte. Ob er wohl schon beim 3:1 begonnen hatte, die Küche sauber zu machen?
Gespannt harrte ich in der Folgewoche der Dinge, die da kommen sollten. Im Büro wunderten sich schon alle, dass ich es gar nicht mehr so eilig hatte, nach Hause zu kommen. „Jürgen kocht!“ Das genügte als Erklärung. Bei diesen vielen Fußballfans würde ich die Wette besser nicht erwähnen bzw. dass ich, eine Deutsche, gegen Deutschland getippt hatte – unverzeihlich. Schließlich wollte ich noch ein wenig länger hier arbeiten.
Im Treppenhaus roch es verdammt gut. „Welches Kochbuch hat er denn da ausgegraben?“ Noch während ich mich wunderte, schloss ich die Tür auf. Der Tisch war gedeckt, gerade trug Jürgen dampfende Schüsseln auf. Ein Blick hinein genügte: Das sah mir ganz nach Mutters Haschee aus. Die gute Seele hatte sich ihres „Buben“ erbarmt. Es schmeckte hervorragend und ich war gespannt auf die weiteren Tage. Zum Glück gab es den Pizzaservice, den Döner an der Ecke, noch zweimal Mutter, eine Einladung zum Essen, und oh Wunder, Chili, von Jürgen selbst zubereitet – das einzige Gericht, dass er wirklich gut kochen konnte.
Ich war herrlich satt, hielt mir die Hände vor den geschwollenen Magen und fragte: „Wann gibt’s denn wieder Fußball?“