Sonntagabend und immer noch kein besseres Wetter. Fidibus, Feuerzeug, Whisky, Zigarren, alles am gewohnten Platz. Das Feuerchen flackert auf und mein Lieblingssessel ist auch noch frei. Ich blicke ein wenig in die Flammen und erinnere ein frivoles Erlebnis, das in einem Theater spielt. Es bringt mich zum Lächeln und darum teile ich es mit Ihnen:
Opern und Theaterhäuser haben oft ein ganz besonderes Flair. Jeder der schon einmal in Dresden, Mailand oder auch nur in Wiesbaden war, kann das sicher bestätigen. Aber der äußere Schein mag trügen und manchmal sind Beiwerk und Publikum interessanter als das Stück und das Haus. Darum möchte ich heute von einem frivolen Ereignis berichten, das wohl seinesgleichen sucht.
Als Opernfreund nehme ich mitunter weite Wege in Kauf, um hier und da mal ein selten gespieltes Stück im Original zu sehen. Verdis Macbeth ist so eins. Nicht so oft gespielt, nix Liebe und süße Melodien, sondern Mord und Totschlag. Das fehlte noch in meinem Repertoire und die nächste Gelegenheit der laufenden Saison ergab sich in Karlsruhe. Ein sehr modernes Theater, nüchtern fast und ohne das Flair, das man oft in älteren Häusern findet.
Ich hatte im Vorverkauf eine der wenigen Restkarten in einer der letzten Reihen auf dem zweiten Rang ergattert. Unmittelbar vor mir fand ein interessantes Paar seinen Platz. Es bestand aus einem kräftigen, gesetzten Herrn und einer sehr schlanken Frau. Beide mochten die fünfzig schon überschritten haben, dennoch schienen sie frisch verliebt zu sein. Der Mann trug einen unspektakulären Anzug, die Dame ein sehr enganliegendes, schwarzes Jerseykleid, das viel von mehr von ihrem süßen Apfelpo und den langen Beinen enthüllte, als es verbarg. Dazu besaß sie ein paar sehr kleine Brüste, deren Knöpfe sich etwas vorwitzig durch die weiche Stoffhülle drückten. Ein wenig Neid auf den Kerl war sicher auch dabei, aber es fiel mir schwer, mich abzuwenden.
Die Vorstellung begann. Das Bühnenbild, grauslig modern, die Musik, obwohl ich ein großer Verdi-Fan bin, sprach mich überhaupt nicht an. Nun, es ist wie beim Lesen. Nicht jedes Buch gefällt, selbst nicht vom eigenen Lieblingsautor. Ich lehnte mich also zurück und gab dem Stück eine Chance.
Meine Aufmerksamkeit wurde von der Bühne nur minder gefesselt und ich ließ die Blicke schweifen, die immer wieder an meinen beiden Vorderleuten hängenblieben. Dort bahnten sich Zärtlichkeiten an, die der Grausamkeit des Stückes für mich die Schwere nahmen. Bald beobachtete ich in voyeuristischer Lust nur noch diese beiden. Erfreute mich am Spiel ihrer Hände, die ineinander verschränkt bald in der Einen, bald in des Anderen Schoß fanden. Starrte voller Lust auf die sehenswerten Beine der Dame, die ständig in Bewegung, mal links, mal rechts übereinander geschlagen wurden, mal züchtig nebeneinander standen, je nachdem, wo sich das verschlungene Händepaar gerade befand. Auch schien sie sich am Sitz zu reiben und warf ihrem Begleiter verliebte Blicke zu, worin dieser ihr um nichts nachstand.
Das Programmheft sah eine Pause nach dem zweiten Akt vor und ich überlegte, ob ich die vorzeitige Heimreise antreten sollte, beschloss aber dann, der weiten Anfahrt wegen, doch noch zu bleiben. Beim Verlassen des Saales bemerkte ich in einer sehr dunklen Nische, unmittelbar neben der Samt behangenen Tür und noch hinter den Stehplätzen, deren drei Reihen man jeweils durch ein Geländer voneinander getrennt hatte, zwei Klappstühle. Vermutlich für die Schließer, schienen sie jedoch unbenutzt herumzustehen. Ich wartete also, bis sich das Theater wieder gefüllt hatte und okkupierte dann, wohl verborgen in meiner Nische, einen solchen Sitz in der Absicht, mich leise davonzuschleichen, wenn die Aufführung gar zu arg mit meinen empfindlichen Gehörnerven und meinem Tinnitus umginge.
Sicherlich ein Viertel der Zuschauer hatte die Pause genutzt und das Feld bereits geräumt, sodass die hinteren Reihen des Ranges, und die Stehplätze sowieso, völlig leer geworden waren. Der 3. Akt begann mit einer Introduktion mit Chor und einer anschließenden Ballettszene.
Unmittelbar bei Beginn des Balletts entstand vor mir im Dunkeln Bewegung und ich fürchtete schon, durch weitere Abgänge entdeckt zu werden, aber nein. Es war mein Pärchen, das Anstalten machte, sich still und leise in die letzte Reihe der Stehplätze zu verfügen. Dabei gerieten sie, nur wenige Meter vor mir und im Gegenlicht der Bühnenbeleuchtung genau in mein Blickfeld.
Ein schneller Kuss, eine schnelle Umschau, ob die Luft wohl rein sei und die schlanke Frau lehnte sich mit dem Gesicht zur Bühne ans Geländer, wo sie die Arme aufstützte. Schnell war das Kleid ein Stück nach oben und die hinderliche Strumpfhose samt Slip ein Stück nach unten gezogen. Jetzt begann vor meinen Augen das Spiel der Lust, das Mann und Frau sonst gern im Verborgenen miteinander treiben. Es war ein frivoles Vergnügen für mich, unbemerkter Gast des liebevollen, frivolen Aktes zu sein. Sie bewegten sich geschickt, mit fließenden, sanften Stößen im Rhythmus der Musik und nach nur wenigen Minuten umarmten sie sich glücklich für einen Moment, richteten ihre Kleidung und nahmen, vom restlichen Publikum weitgehend unbemerkt, ihre Plätze wieder ein.
Ich verließ still die Vorstellung vor ihrem regulären Ende. Mit Macbeth habe ich meinen Frieden gemacht.
Hier also die, nach meiner Geschichte vielleicht etwas anregendere, Ballettmusik aus dem 3. Akt:
Erzähl uns Deine Geschichte. Wir freuen uns drauf! Sie muss auch nicht lang sein.