Wieder einmal Zeit für den Kamin und eine Erinnerung an längst Verschüttetes. Heute gibt’s keinen Whisky und auch keine Zigarre. Diese Genüsse muss man mit Maß und Ziel verfolgen, sonst werden sie zur schlechten Gewohnheit. Die gute Seele
@****06 hat mir eine Flasche Malzbier geschenkt. Das muss für heute reichen.
Anlässlich der kürzlichen Opernabende, hier im Kaminzimmer, äußerte
@*****ree den Wunsch, eine Opernnacht in Verona zu erleben. Ich hatte das Vergnügen bereits und teile meine originellen und wichtigen Erfahrungen des ersten Besuchs gern mit Euch.
Im heißen Sommer 1992 reisten wir zu Viert in meinem damals brandneuen roten Mercedes 190 in einer Nachtfahrt über die Schweiz nach Italien. Nach heutigen Maßstäben hat jeder Kleinwagen mehr Platz, als ein 190er und die Reise war alles andere als bequem. Die Erlebnisse in einem italienischen Hotel in Abano Therme überspringe ich, das ist Stoff für eine eigene Geschichte.
Für den übernächsten Abend hatten wir Karten auf der 2. Gradinata in der "wunderbaren" Arena die Verona. Aida, sollte es geben.
Die Juli-Sonne hatte den ganzen Tag gebrannt und bereits um sechs Uhr abends waren wir bei den ersten, die auf die Öffnung der schmiedeeisernen Tore warteten. Damals gab es drei Kategorien Karten für dieses Spektakel. Die sackteuren im Innenraum des Stadions mit reservierten Plätzen, die man auch noch kurz vor Beginn der Vorstellung um halb zehn einnehmen konnte und eben die beiden Gradinatas, vergleichbar mit dem 1. und 2. Rang eines Theaters auf ungepolsterten Steinstufen und freier Platzwahl.
Verständlich, dass die Leute beizeiten Schlange standen, denn jeder wollte ja gern einen möglichst guten Platz haben. Wir fanden auch recht schnell unsere Wunschplätze, nahmen sie ein und packten die mitgebrachten Picknick-Vorräte aus. Reichlich Wasser, Oliven, frisches Brot und dergleichen, schließlich mussten mehr als drei Stunden Zeit bis zum Beginn der Vorstellung überbrückt werden. An ein Kissen oder ähnliches hatte niemand gedacht, nicht bedenkend, dass die Vorstellung erst gegen halb zwei am Morgen beendet sein würde.
Welche Qual, fast sieben Stunden auf den glühend heißen, von der Sonne gebackenen Steinstufen. Bereits nach einer Stunde rutsche jedermann/frau unruhig hin und her, weil es auf den langsam rot werdenden Ärschen kaum noch auszuhalten war. Dazu kam: Wie wir bald feststellen mussten, ist nicht nur die Arena rund zweitausend Jahre alt, sondern auch die sanitären Anlagen. Bereits während der Wartezeit war jeder von uns mindestens zweimal auf dem Örtchen, jeweils mit einigen Minuten Schlangestehen. So beschlossen wir, mit den Getränken zurückhaltender zu sein, denn während der zwei Pausen und bei rund vierzehntausend Zuschauern durfte man schlimmes erwarten.
Zwischendurch turnten hunderte junger, italienischen Burschen mit Kühltaschen über jedermanns Füße, brüllten "Gelati! Birra! CocaCola!" und beweisen bemerkenswertes Geschick darin, ohne Rückgabe des Wechselgeldes spurlos zu verschwinden. Allein diese dreieinhalb Stunden "Vorbereitung" waren den horrenden Eintrittspreis wert und wir hatten Spaß.
Kurz nach uns erschien ein altes englisches Ehepaar. Ein kleiner Mann von rund fünfundsiebzig Jahren mit einer entzückenden gleichaltrigen Lady an seiner Seite. Sie fragten höflich, ob die Plätze neben uns noch frei seien. Wir taten ihnen eben so freundlich Bescheid und es begann eine fröhliche Unterhaltung. Pete, so hieß der Engländer, erzählte recht fidel aus einem Leben, vom Krieg in Nordafrika und seiner Militärzeit in Norditalien, wo er zum ersten Mal in der Arena gewesen sei und seitdem jedes Jahr mit seiner Liebsten einmal wiederkehre.
Pete schleppte in seinem Rucksack einige große Wasserflaschen mit (die in der Arena eigentlich verboten sind, schadet dem Geschäft der Italo-Gang) und ich bewunderte ihn seit Stunden, ob seiner ausgezeichneten Blase, denn er war nicht ein einziges Mal auf dem Klo gewesen, während unsereins schon die Backen feste zusammenkniff und hoffte, der Spuk möge bald vorbei sein. Nach der zweiten Pause, gegen Viertel nach zwölf, sprach ich ihn an:
"Sorry Pete, I admire your excellent bladder. Where do you stash all the water?". Er grinste mich an und meinte:
"Forty years of training!". Dabei lufte er sehr vorsichtig sein linkes Hosenbein und zeigte mir einen großen Katheterbeutel, der bereits ordentlich gefüllt war. "I also have one on the other leg", fügte er verschmitzt hinzu und ich realisierte, dass man von alten Kämpfern ganz schön viel lernen kann.
Hier eine Szene aus der Aida in Verona, rund viereinhalb Minuten Genuss. Viel Spaß damit: