Der große böse Ev hat mal wieder ein bissl philosophiert, es ist ein längerer Text geworden, sagen wir mal, Sonntagspredigt
Seit einiger Zeit wird mir auf meinem Handy immer wieder Werbung für eine gewisse App angezeigt, ich weiß nicht ob man den Namen hier nennen darf, aber sie fängt mit B an und ich muß jedes Mal dabei zwinkern.
Es wird damit geworben, daß diese App die Kernaussagen von Sachbüchern in knackigen Kurztexten und Audiobeiträgen zusammenfaßt und man sich dadurch in wenigen Minuten Expertenwissen aus einem dicken Fachbuch aneignen könne.
Klingt gut, oder? Ich halte sowas für brandgefährlich.
Nicht erst seit gestern werden in den Medien fleißig 'alternative Fakten' geschaffen, und ich finde es keineswegs großartig, wie man den Menschen mit dieser Zwinker-App weismacht, man würde ihnen lediglich Zeit sparen, beispielsweise beim Studium. Ganz abgesehen von der Gefahr der verfälschten Wiedergabe eines Originaltextes - was ja noch nicht einmal Absicht sein muß, man denke an das berühmte Partyspiel 'Teekesselchen' (für die jüngeren unter uns: Party, das war früher ein Zusammentreffen von Freunden zum Zwecke der Unterhaltung und gemeinsamem Spielen und nebenbei Alkoholtasting) - also ganz abgesehen von dieser möglichen Verfälschung geht es ja auch darum, also mir jedenfalls, daß man den Leuten das Denken völlig abnimmt wenn man ihnen die Quintessenz eines Textes einfach so hinhaut, ohne daß sie sich die Mühe machen mußten, ihn selber zu lesen.
Jeder Leser eines Textes entwickelt ja während des Lesens durch die dabei hochsteigenden Bilder eigene Gedanken. Und die sind wichtig. Für die Gesellschaft, für ihn selber, für alle eben. Sonst könnte man es ja gleich bleiben lassen.
Bereits damals, als das mit Wikipedia anfing hab ich mir gedacht: Was soll das werden? Wenn praktisch jeder der mag, hier etwas hineinschreiben kann, wer überprüft denn am Ende, ob das auch wirklich so ist?
Weiters könnte jeder, der daran ein Interesse hat, in die Biographie eines Menschen, den er aus welchem Grund auch immer diskreditieren will, etwas hineinschreiben, das diesen in den Augen anderer unmöglich macht. Und niemand merkt's.
Inwieweit ist es gar möglich, die Denkweise der Menschen mit solchen Tools absichtlich zu beeinflussen, indem daß man 'unwichtige Kleinigkeiten' einfach wegläßt und somit den Aussagen berühmter Denker eine völlig andere Bedeutung gibt?
Wer hat sich nicht schon einmal im Lateinunterricht grandios blamiert, wenn er, statt die berühmten 'Schwarten' lediglich als Übersetzungshilfe zu benutzen, sich einzig auf deren Übersetzung verlassen hat, sich den Originaltext also nicht selber angesehen hat und dann bei der Repetition einfach aus der Schwarte vorgelesen hat? Bestes Beispiel dafür, daß so etwas niemals funktionieren kann.
Oder der berühmte Google Translator. Was gibt der nicht für völligen Blödsinn von sich. Eine Maschine kann niemals, wirklich niemals einen Text so übersetzen, daß das, was vorher dastand, auch hinterher noch dasteht. Da tut man sich als Mensch ja oft schon sehr schwer. Man muß nur einmal ein Buch lesen, das jemand aus einer Originalsprache, die man selbst beherrscht, herüberübersetzt hat. Es werden einem in den meisten Fällen jede Menge Schnitzer auffallen, eben weil man genau weiß, was da vorher wirklich gestanden hat und was da stehen SOLLTE anstelle dessen, was man da blinzelnden Auges lesen muß.
Offenbar verstehen viele Leute nicht mehr, was sie da lesen, wie sollen sie denn dann eine für alle anderen brauchbare Zusammenfassung erstellen? Kann es die Lösung sein, dies von einem Computer machen zu lassen? Ich glaube sicher nicht.
Und ich red jetzt nicht einmal von düsteren Gedichten des Mittelalters mit vielen komischen Zeichen und noch komischeren Worten, sondern nehmen wir einmal als Beispiel einen völlig normalen Roman der zu Beginn der 70-er Jahre in einer deutschen Kleinstadt spielt.
Als ich vor einigen Jahren 'Maiglöckchen oder ähnlich' von Willi Heinrich las, hab ich mir gedacht, es ist ja kein Wunder wenn die jungen Leute keinen Bock mehr auf Literatur haben, wenn sie beispielsweise überhaupt nicht mehr nachvollziehen können, was eigentlich das Problem ist, das diese Simone damit hat, daß ihre Freundin bei ihr wohnt.
Die jungen Menschen heutzutage wissen ja kaum mehr, daß es damals den berühmt-berüchtigten Paragraphen 175 gab, der Homosexualität nicht nur als unmoralisch verdammte sondern auch unter Strafe stellte.
An zwei Frauen hat sich allerdings selten einmal jemand gestört, hauptsächlich die Männer wurden verfolgt. Böse Zungen behaupten das läge daran, daß die Gesetze nun einmal von Männern gemacht werden - zumindest damals war es so, daß Frauen absolut nichts zu sagen hatten. Und das, obwohl sie gerade eigenhändig die Trümmer beseitigt hatten die das intellektuell ach so überlegene Mannsvolk beim Spielen einfach so liegengelassen hatte, und obwohl sie während der Kriegsjahre auch ohne einen Mann an ihrer Seite ihre Frau stehen und die Kinder versorgt kriegen mußten.
Trotz dieser überragenden Leistungen ließen sie sich nach Kriegsende wieder brav an den Herd zurückdrängen, ordneten sich unter, und ließen sich im weiteren Verlauf von Zeitschriften weismachen wie minderwertig sie doch wären, solange sie nicht Creme X und Lotion Y benutzten, von Modezwängen denen sie sich zu unterwerfen hatten wollten sie nicht zum allseitigen Gespött werden, ganz zu schweigen.
Aber ich schweife ab. Was ich sagen wollte: Daß homosexuelle Handlungen zwischen Frauen meist nicht verfolgt wurden liegt, wie oben erwähnte böse Zungen behaupten, eben daran, daß Männer, die die Gesetze schließlich gemacht haben und auch deren Befolgung kontrollieren, doch recht gerne zwei Frauen bei eindeutigen Handlungen sehen oder zumindest keine Probleme haben, diese sich zumindest dabei vorzustellen - dagegen wenn Männer sich vergegenwärtigen müssen wie zwei andere Männer miteinander zärtlich zugange sind, dann wird die eigene tief verschüttete und unter Verschluß gehaltene bisexuelle Neigung angesprochen und uiuiui!!!, da kann einer ganz schnell sehr, sehr böse werden, wenn er jemanden etwas tun sieht, was er selber nicht darf aber ebenfalls gerne tun würde. Daß die meisten Männer sich dieser Neigung nicht einmal bewußt sind und jegliche Andeutung einer Tendenz in diese Richtung mit einem gewaltigen Kinnhaken beantworten würden, macht die Sache nicht besser.
Selbst wenn also eine Beziehung zwischen zwei Frauen selten zu Strafverfolgung führte, war sie doch immer ein prima Vorwand, eine Frau zu diskreditieren und aus Job und Wohnung zu jagen falls sie es wagen sollte, irgendwie unangenehm aufzufallen oder gar unbequem zu werden. Immer schön klein und brav bleiben, dann kann nix passieren.
Das ist also das eine, was in diesem Roman im Vordergrund steht: die komplizierte Beziehung von Journalistin Simone und ihrer Freundin Lis, Bildredakteurin, welche mit ihrer Eifersucht immer wieder Probleme schafft, die echt nicht hätten sein müssen, aber so ist das in Beziehungen nun einmal, mehr Streß als sonstwas.
Das andere Thema ist dieser Schulberg, ein Mann der wegen seiner Aktionen auf der Straße immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt gerät bis er wirklich mal im Häfn landet, und Simone soll ihn nach seiner Entlassung interviewen und einen schönen Artikel über ihn schreiben.
Bei diesen Aktionen ging ihm, nachdem seine Frau, die noch dazu grad schwanger war, nach einem Autounfall gestorben war, darum, daß die Leute alle dafür sein sollen, keine Autosteuer mehr zu zahlen. Die Regierenden waren nicht mit dem einverstanden was er da immer daherredete und deswegen wollten sie, daß er die Klappe hält und nicht immer mitten auf der Kreuzung das Diskutieren anfängt und einen Riesenstau verursacht. Aber sag mal einem Mann er soll was bleiben lassen, dann macht er es erst recht.
Nachdem ich als Nicht-Autofahrer nicht so ganz verstanden habe, was Schulberg von sich gibt, habe ich auf der Suche nach Erleuchtung den Roman gegoogelt und mich gleich wieder fürchterlich aufregen müssen.
Bin auf einer Fanhomepage des Autors gelandet, und das ist ja zunächst einmal eine löbliche Sache, so eine Fanhomepage. Auch ich lese die Romane von Herrn Heinrich immer wieder sehr gerne, daher finde ich es prima, daß sich jemand die Arbeit macht, den Autor vor der Vergessenheit zu bewahren.
Aber die Zusammenfassung des Romans 'Maiglöckchen oder ähnlich', dessentwegen ich ja dort gelandet war, ließ mir die Haare zu Berge stehen.
Vorne auf der Seite steht, man darf ohne Erlaubnis nichts davon veröffentlichen, also hab ich als Nicht-Jurist jetzt keine Ahnung, inwieweit ich überhaupt zitieren darf ohne mir den kostenpflichtigen Zorn der beiden Betreiber aufs unfrisierte Haupt zu laden, aber wer was ins Netz stellt der muß es sich gefallen lassen, wenn es kommentiert wird, also kommentiere ich hiermit:
Ich lese hier 'Seinetwegen gefährdet sie ihre Freundschaft mit Lis, die ihr alles bedeutet und durch sie das erfahren durfte, was ihr zuvor kein Mensch geben konnte.'
Was so schon einmal einfach nicht stimmt. Abgesehen davon, daß es heißen müßte: ... durch DIE sie ... erfahren durfte ...'.
Diese Freundschaft war, wie eingangs bereits ausgeführt, von vorneherein gefährdet und WENN jemand dem Ärger Tür und Tor geöffnet hat dann war es Lis, die heimlich nachts Nacktfotos von sich und Simone gemacht hat und diese nicht nur ständig in der Handtasche umhertrug so daß ihr Ex sie beim unautorisierten Umeinandergruschteln finden konnte und somit zum bitteren Mitwisser des verbotenen Tuns, zur wandelnden Zeitbombe wurde, nein, die dumme Gans hat auch noch einen Abzug an Schulberg geschickt, welcher sich mittlerweile allerdings von der Brücke herab vor einen Zug geworfen hatte, so daß die Kieberer den noch ungeöffneten Brief im Gasthaus, in dem er logiert hatte, abfangen, öffnen und genüßlich konfiszieren konnten.
So war das. Also wer gefährdet jetzt wen oder was?
Natürlich verstehe ich, daß Lis nicht begeistert davon war, daß ihre angebetete Simone diesem komischen Kerl ständig helfen will und ihn sogar in die Wohnung läßt, ihm Geld gibt und ihm später, als sie ihn unbeabsichtigt wieder treffen, gleich wieder ihre Hilfe aufnötigt obwohl diesem das eher peinlich ist und er nur deswegen im Städtchen bleibt, weil sie ihn gnadenlos zugetextet hat und ihm die Hilfe ihres Chefs und somit Unterstützung bei seiner hirnrissigen Aktion verspricht, was ihn letztendlich dazu bewegt, wieder einmal ihren Wohnungsschlüssel anzunehmen.
Klar kriegt frau da erst einmal irgendwie einen Grant. Aber kann man da nicht ein klärendes Gespräch suchen anstatt durch solch kindische Trotzreaktionen alles erst recht kaputtzumachen???
Nun zu dem Satz in der Rezension, der mich am meisten aufregt:
Aber die Frau Simone muss vor dem Mann Schulberg versagen. Sie kann sich nicht zu etwas zwingen, was ihr nichts bedeutet.
Ja du heiliges Quadrat. Simone muß versagen, hm??? SIMONE HAT NICHT VERSAGT!!! Ich bemühe mich hier redlich, die Autoren dieses Schwachfugs nicht zu beschimpfen, aber es kostet mich SEHR viel Mühe. WIE KOMMT IHR DA DRAUF???
Da fuhrwerkt der Typ mehr als ungeschickt an ihr rum, kriegt nicht mal ordentlich einen hoch, und sie, die ihm von Anfang an gesagt hat, daß sie frigide ist (was man den Frauen ja damals gerne eingeredet hat wenn sie nicht gleich vor Entzücken vergangen sind sobald der Herr und Gebieter die Hosen runtergelassen hat) und daß er den Scheiß genausogut gleich lassen kann, tut halt mit weil was will frau machen und ihr liegt nun einmal etwas an ihm und schließlich will sie es dann auch noch einmal wissen ob es bei ihr immer so ist wenn sie mit einem Mann was hat - was unglaublich tapfer von ihr ist, großherzig und überhaupt mehr Mut erfordert als die meisten Leute überhaupt aufbringen können - und dann hätte sie nach Meinung dieser zwei Komiker versagt??????????
Ja Leute, da vergeht einem das Lachen.
Ich frag mich ja, ob die das Buch überhaupt gelesen haben, weiter oben heißt es doch glatt:
Wird sie Schulberg, dem Mann, der alles von ihr verlangt, helfen können?
Der Herr Schulberg hat überhaupt nix verlangt. Und auch nix begriffen. Der steht da, hat nichts und niemanden (was irgendwo auch wieder unglaubwürdig ist, wenn ich das an dieser Stelle mal so einwerfen darf, denn wer im Knast war hat dort im allgemeinen gearbeitet und zwei Drittel des winzigen aber doch vorhandenen Lohns kommen auf Rücklage, eben DAMIT man ein bissl was in der Hand hat wenn man rauskommt) und sie drängt ihm ihre Hilfe wiederholt auf, auch nachdem er als erste Amtshandlung gleich wieder einen Volksauflauf verursacht und sie ihn grad noch wegziehen kann weil schon wieder ein Kieberer anmarschiert kommt.
Da hätt sie schon sehen können, daß sie mit dem nix als Ärger hat, aber nein, sie hilft ihm weiter wie oben bereits beschrieben, trifft sich nochmal und wieder mit ihm, und gibt ihm sogar das Geld, das sie sich für einen Fernseher angespart hatte. Dreihundert Mark war damals eine Menge Geld.
Sie gefährdet damit meiner Meinung nach aber nicht ihre Beziehung zu Lis weil das eine mit dem anderen nix zu tun hat, weil Liebe das einzige Gut ist das nicht weniger wird wenn man es teilt, und wenn die Leute das endlich mal begreifen würden, dann hätten wir erheblich weniger Ärger und mindestens die Hälfte aller Scheidungsanwälte könnten gleich einmal zusperren.
Somit hab ich zwar immer noch nicht verstanden, was der olle Schulberg eigentlich auf der Straße immer so getrieben hat, womit er sich den heiligen Zorn der Stadtväter zugezogen hat, aber meine Theorie, daß die meisten Leute heutzutage mit Büchern, die älter sind als zehn Jahre und in denen noch richtige Satzkonstruktionen verwendet werden, nichts mehr anfangen können, wurde deutlich bestätigt.
Was allerdings offensichtlich niemanden davon abhält, dennoch Zusammenfassungen dieser Romane zu posten.
Wenn das jetzt der nächstbeste Faulpelz liest, der den Roman als Hausübung rezensieren soll, und er sich dann wundert warum ihm der Lehrer eine dicke rote FÜNF hinmalt, dann ist das eine Sache. Selber lesen Alter, dann Meinung schreiben. Aber das Problem ist ja, wie eingangs bereits beschrieben, viel tiefgreifender.
Die Bücher selber werden am Ende garnicht mehr gelesen werden, egal ob aus Opas verstaubtem Bücherschrank oder in der hienigen Digitalversion, es werden bald wirklich nur mehr die Zusammenfassungen gelesen. Und so geht's dahin mit der Kultur, so gerät alles immer mehr in Vergessenheit, worauf wir einst so stolz sein konnten. Land der Dichter und Denker, my foot.
Erst haben die Nazis unsere brillantesten Köpfe aus dem Land gejagt weil ihnen deren Nase nicht gepaßt hat, dann haben sie geschaut wem sie noch alles die Bücher verbrennen können, was eine Riesensauerei war und man hat sich auch schön aufgeregt hinterher als man wieder durfte - aber nun schauen wir selber tatenlos zu, wie unsere Literatur Stück für Stück im Reißwolf landet 'weil man hat's ja am Kindle', wie die gute Musik nicht mehr gehört wird weil die Bands, die noch welche spielen, notgedrungen lediglich vor kleinem Publikum in winzigen Lokalitäten auftreten können wenn überhaupt, und wie die Platten, auf denen die guten alten Sachen drauf sind, bestenfalls irgendwo im Keller verstauben, weil die Leute, die noch ein Ohr dafür haben, einer nach dem anderen ins Irrenhaus oder ins Altenheim abgeschoben werden.
Nein Opa, du kannst nicht noch einen Trip haben, du hattest grad schon genug davon, ab ins Auto, ab heute kümmern sich andere um dich, und deine Schallplatten kannst du nicht mitnehmen, das Zimmer ist zu klein. Nix da, kannst froh sein wenn du ein Radio kriegst und jetzt halts Maul du alter Depp!
In diesem Sinne halte ich alter Depp jetzt auch mal die Klappe, und verbleibe bis zum nächsten Mal wenn er sich aufregt,
euer großer, böser Ev.