Zusammenfassung vom 6. Stammtisch der Redseligen
Wir wollten uns ja mit Musikinstrumenten beschäftigen in der 6. Runde der Redseligen. Ich hatte das große Los der Vorbereitung gezogen und darf gestehen, dass allein die Vielfalt an möglichen Instrumenten derartig erschlagend war, dass ich mich bei meinen Recherchen und weiteren Vorbereitung dann auf Ruten bzw. Peitschen konzentrierte, da die Rute etwas ist, das auch tatsächlich als Musikinstrument eingesetzt wird (südamerikanisches Schlaginstrument zum Bespielen eines Tamborims). Die Peitsche hat nicht nur in der Musik einen Platz, sondern auch in z.B. lateinamerikanischen Tanzfiguren. Im Jive gibt es die „Whip“ und die „Single“ und „Double Crossed Whip“, was dem Wickeln in der Verwendung einer Single Tail oder Bullwhip ziemlich gleich kommt und geführten Tanzpartner bildlich an den Führenden bindet.
In der Literatur habe ich auch ein wenig gestöbert, hier meine Quellen:
Largier, Niklaus (2001) „Lob der Peitsche“, München: Beck
Döpp, Hans-Jürgen (2003) „Sado-Masochismus“, NY: Parkstone Press
Chasseguet-Smirgel, Janine (2002) „Die Anatomie der menschlichen Perversion“, Gießen: Psychosozial-Verlag
Hier noch einmal eine Anmerkung in Sachen Literatur: wer in die Quellenangaben selbst mal hineinschnuppern möchte, kann die Bücher gern auch ausleihen.
Kafka, der alte Hecht, sagte mal „Das Tier entwindet dem Herrn die Peitsche und peitscht sich selbst, um Herr zu werden und weiß nicht, dass das nur eine Phantasie ist, erzeugt durch einen neuen Knoten im Peitschenriemen des Herrn.“
Unterliegend ist hier eine Frage der Autorität bzw. ein Hinweis darauf, dass ein Infragestellen derselben gar nicht immer so klug ist. Das ist eine schöne Überleitung zum D/S im BDSM, der aktive Part hat für einen gewissen Zeitraum genau die Autorität, die Kafka da beschreibt. Das ggf. zum Einsatz kommende Musikinstrument ist aber nicht nur zum Abstrafen gedacht und ganz sicher auch nicht zur Aufrechterhaltung der Autorität. Die Peitsche ist eine Waffe, sie ist aber auch ein Kommunikationsinstrument, sie kann fesseln, flüstern, streicheln, verführen und vieles mehr.
Wer stumpf draufhauen will, so schreibt Triskellion (ein Peitschenmacher) auf seiner website, der möge bei ihm nicht weiterlesen. Menschen, die etwas von Peitschen verstehen, sind sich einig, dass das keine Spielzeuge sind und man auch durch das Eindreschen auf den armen Rhododendren im Garten kaum die Expertise erlangt, die es braucht, um sich an einem Menschen damit zu versuchen.
Geschichte
In Höhlenmalereien gibt es bestimmt auch Dokumentation von „Haue“, wie ich das hier mal vereinfacht nennen möchte, um das Wort Bestrafung zu vermeiden, weil es schlicht unpassend ist. Weil ich aber jetzt nicht im Neandertal wohne, hole ich auch nicht so weit aus (die Wortwitze stapeln sich, sorry). Schriftliche Dokumentation zum Einsatz von Peitschen und Ruten finden wir als dann als nächstes im Mittelalter.
Hautrötungen und eine gesteigerte Schmerzempfindlichkeit, berichtet man uns hier, steigern das Konzentrationsvermögen und damit die Aufmerksamkeit. Auch heißt es, dass die Gleichmäßigkeit eines Rhythmus und der damit eingehenden Geräusche die Erregung soweit steigern, dass es zu Trancezuständen (Fliegen) kommen kann. Die Flagellanten im Mittelalter haben sich also nicht nur selbst bestraft. Im übrigen galt Haue als Therapeutikum gegen erlahmte Affekte (vulgo Impotenz), Melancholie und Depression.
Selbstheilung und Selbsterlösung durch das Zufügen von Schmerzen (und teilweise auch Wunden, da die Flagellanten gern Dornen in ihre Flogger einflochten) war durch eine Mischung von Affirmation und Negation der eigenen Körperlichkeit das Ziel. Der erlittene Schmerz wurde zur Lust und zugleich zu einem „Näher zu Dir, mein Gott.“
Rutenhiebe, so vermerkte Heinrich Meibon (1639), fachen das Feuer der Wollust an. Eine für ihre glühenden Liebesbriefe bekannte Klosterbewohnerin, Maria Alcoforado (1860) schrieb z.B. „Wer sich gegen Schmerzen panzert, der panzert sich auch gegen das Glück.“. England gilt übrigens als klassische Wiege der Flagellation, trotz der dort ansonsten durchaus geltenden Prüderie in Bezug auf Sexualität. Seit 1800 existierten dort Flagellationsbordelle, in denen auch wohlanständige junge Damen die Kunst des Hauens erlernen konnten (die gängige Prügelstrafe der englischen Internate muss hier nicht weiter erwähnt werden) und der Kontinent bezeichnete das Verlangen nach Haue lange als „englisches Laster“.
Pathologisch wurde die Hauerei erst durch Krafft-Ebing (1886) und seine „Ideen“ zum Sado-Masochismus. Pathologisch blieb das „Phänomen“ auch sehr lange, wann genau es im Gesamtrundumschlag aus den Kriterienkatalogen für „Störungen“ herausflog könnt Ihr bitte selber nachforschen. Tatsächlich existieren im DSM V (2016) analog ICD-10-CM noch die Klassifizierungen „Sexual masochism / sadism disorder“, dies bezieht sich aber auf Störungen im Sinne von „sich selbst oder anderen schaden“, erst daraus entsteht dann eine Behandlungsbedürftigkeit.
In der jüngeren Vergangenheit gab es einige interessante wie erheiternde Erkenntnisse, was das Hauen angeht: Theodor Reik (1941) fand heraus, dass Menschen mit geringer Phantasie nicht zum Sadomasochismus neigen (scheint logisch, wenn man bedenkt, wieviel mentale Vorbereitung z.B. in Rollenspielen steckt). Jessica Benjamin behauptete in den 90ern (Thema Postfeminismus), dass die zunehmende Rationalität und der Individualismus Gewaltphantasien fördern würden, um irgendwie (egal wie?) der eigenen Isolation zu entkommen. Eine Studie jüngeren Datums weist sogenannte „Sensation Seeker“ als besonders anfällig für Gewaltphantasien und deren Umsetzung aus, „Living on the edge“ quasi, "aber seien wir ehrlich, Leben ist immer lebensgefährlich“. (Erich Kästner)
Das einzige deutsche Peitschenmuseum befindet sich übrigens in Killer im alten Bahnhof ...
Lange Zusammenfassung eines rundum kurzweiligen und interessanten Abends, gell? Ich bitte eventuelle Weitschweifigkeiten zu entschuldigen und gratuliere den Lesern, die an dieser Stelle noch wach sind
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