Freizeitbeschäftigung? ...ich denke das Rentnerleben ist ein Fulltimejob. Zeit hat man irgendwie gar nicht mehr, wenn ich an früher denke, da habe ich neben Haushalt, Garten und Job noch so viel gelesen, Handarbeiten gemacht - war Nachhilfelehrerin der Nation (wir hatten insgesamt 12 Kinder) und was mache ich heute?
Heute fahre ich in Museen, Uwe mein junger Freund zeigt mir so viel und ich bin unendlich dankbar dafür. Z.B. folgendes:
Was aus Samen entsteht….
…..die man im Garten, Feld und Flur sammelt – Blütenblätter, Samenkörner, alles was die Natur an farbenfrohem bietet wird hier gesammelt, getrocknet und in Gläsern trocken aufbewahrt. Der Früchteteppich in Sargenzell ist ein Muss für jeden der so eine Kunst zu schätzen weiss. Wie viele Stunden werden hier von dem Team gearbeitet! 3 Monate Arbeit steckt in diesem ca. 26 qm grossen Früchteteppich – der von der Künstlerin H. Richter von Anfang Juni bis zur Eröffnung begleitet wurde.
Die kleine alte Kirche in Sargenzell ist in dieser Zeit Anziehungspunkt – so auch für uns am heutigen Donnerstag. Am Wochenende werden wieder Busse erwartet – da ist dann in der kleinen Kirche kaum Platz um sich alles in Ruhe ansehen zu können.
Die Gründung dieser Kirche in Sargenzell geht auf einen Mönch aus Fulda zurück. 1857 wurde die katholische Filialkirche Maria Immculata im neugotischen Stil aus Sandsteinen erbaut und 1862 eingeweiht. 1945 wurde sie nach der Zerstörung im Krieg wieder aufgebaut und erhielt 1954 eine neue Orgel mit 9 Registern. 1985 geht diese Kirche in das Eigentum der Stadt Hünfelden über. Der erste Früchteteppich wird 1988 durch eine Interessengemeinschaft zur Erhaltung dieser alten Kirche erstellt.
Die Kirche ist schlicht, am Kopfende – gegenüber der Eingangstür ist der Altarraum der ein Kreuz enthält mit einem Christusbild. Ein kleiner Steinhaufen – eine Topfpflanze eine stilisierte Bank in Form von Kirchenfenstern mit einer weiteren Pflanze runden das Gesamtbild ab. Spartanisch einfach und passend. Rechts neben dem Eingang ist ein Informationsstand aufgebaut an welchem man Karten mit dem diesjährigen Bild sowie Bücher zur Früchteteppichsammlung erstehen kann.
Links vom Eingang an der Wand ein Tisch mit beschrifteten Gläsern in welchem Proben von den verschiedenen Samen und Körnern sind. Ein aufgeschlagenes Gästebuch lädt die Besucher ein, sich hier schriftlich zu äussern. Ausserdem ist an der Wand eine Bildcollage aufgehängt bei der man das Entstehen so eines Früchteteppichs bildlich gut verfolgen kann.
Zuerst ging ich mit Uwe zur Empore hoch – hier sind an der Wand die Bilder aufgehängt von früheren Früchteteppichen von den Anfängen bis zum letzten Jahr. Alle Bilder wurden nach Vorlagen berühmter Meister gemacht bis auf das erste. Hier nahm man sich einen anderen Früchteteppich zum Vorbild.
Die Körner gleichen Gedanken
den Träumen und Wünschen von mir,
auf ihren Platz und in Schranken
gesetzt, sie formen das Bild von Dir.
Die Körner sind Früchte der Ernte
sind bunt, wie ein blühender Traum.
Als noch der Sommer sie wärmte
und reiften an Halmen und Baum.
Die Mühe dies Bild zu legen
gelingt, wenn Du beugst Dein Knie.
Es ist wie das Beten um Segen,
um Gaben, die Gott Dir lieh.
Und liess ich dunkele Erde
sanft über den Teppich geh‘n,
so sei‘s dass es Frühling werde
viel tausend Blumen zu seh‘n.
Lass Dich in des Bildes Gestalten
demütig tragen hinein.
Fest magst im Herz es behalten,
eins von den Körnern zu sein.
(Rolf Günter im Oktober 2002)
Von der Empore hat man einen wunderbaren Überblick über dieses Früchtebild – die Überschrift:
Er ging auf den Berg und lehrte sie
Die Bergpredigt – eine Rede die er auf einem Berg in Israels Norden gehalten hat – es dürfte die wohl bekannteste Predigt Jesu sein. Darin legt er sein Grundsatzprogramm dar und stellt Regeln für das Zusammenleben auf, Dem Nächsten Respekt zu zeigen, sich gegenseitig zu helfen, die Mitmenschen zu lieben und Gutes zu tun.
Der Maler dieses Bildes war Harald Copping der von 1863 bis 1932 in der Grafschaft Kent in England lebte. Er studierte in London und Paris, veröffentliche 1910 eine illustrierte Ausgabe der Bibel, die ein Bestseller wurde.
Jesus sitzt in der Mitte, vor ihm rechts und links Menschen, die ihm gebannt zuhören. Die Gesichter ihm zugewandt – die Farben der Kleidung, die Schattierungen, die Faltenwürfe der Umhänge – alles ist genau und präzise erarbeitet. Das kleine Kind welches am Schoss der Mutter liegt und schläft – liebevoll von der Hand der Mutter gehalten – der junge Mann der ihm gebannt zuhört mit offenen Augen, ein Lächeln auf den Lippen. Die grössten Samen bzw. Früchte sind die weissen Bohnen, die das „Gemälde“ umrahmen und die Steine, die den Abschluss des Bildes bilden. Das Gras welches mit Blumen – weissen und blauen Blumen „verziert“ ist. Man glaubt nicht wie viele verschieden farbige Samen, Blüten und Blätter man benötigt um das Ganze herzustellen.
Die Material-Körnerliste liest sich wie der Einkaufszettel für eine grosse Sämerei. Vergleichbar dem Who is who der Adligen und Reichen.
Für die linke Seite wird für den Himmel gem. Basmatireis, kleiner blauer Hibiskus benötigt und auf der gegenüberliegenden Seite bilden gem. grüne Mungobohnen, gem. Goldliguster, Rosenblätter, Haselnussblätter, Hanf, Lieschgras, Japanhirse und Milchreis die Landschaft.
Und so geht die Beschreibung weiter.
Der Schriftzug, der über dem ganzen Bild steht ist nur aus Rieschgras und Schwedenklee hergestellt. Die äussere Umrandung bilden Sand und Steine.
Ich fragte nach der Arbeitsweise. Auf grossen Tischen werden Teile auf Platten aufgemalt, die Konturen mit den vorher bestimmten Samen oder Körnern geklebt. Dann wird später alles auf den Kirchenboden gelegt und das Team füllt dann mit den entsprechenden farbigen Samen die Flächen aus. Wenn die Zeit der Ausstellung vorbei ist, werden die ganzen Samen wieder vorsichtig eingesammelt und recycelt. Farbe für Farbe, Körnchen für Körnchen. Kleine Staubsauger werden eingesetzt und wenn diese dann entleert werden, kann man auf Tischen wieder alle Blüten, Körner und Samen separieren.
Eine Arbeit die sich in jedem Jahr wiederholt. 3 Monate Arbeit um das Bild fertig zu stellen, später mindestens 3 Monate Arbeit um wieder alles zu recyceln – am Jahresanfang bereits die Auswahl für das nächste Bild treffen und sich intensiv damit beschäftigen. Alles in allem eine immense Aufgabe. Aber es lohnt sich – dieses künstlerische Werk hat den Erhalt der alten Kirche seit vielen Jahren ermöglicht. Eine Spenderliste ist ausgehängt, denn ohne großzügige Unterstützung wäre das alles auch nicht möglich gewesen, trotz der vielen ehrenamtlichen Helfer.
Ein Bild, welches mich heute im innersten berührte – die Stimmung in dieser Kirche – jetzt würde nur noch der Künstler aus der St. Blasikirche fehlen, der so meisterhaft seine Klavierimprovisationen spielte und anschliessend Musik mit dem Hang machte.
Mein Dank geht wieder an Uwe, der mir diese Kostbarkeit zeigte – und der auch im nächsten Jahr bestimmt die Fahrt zum nächsten Früchteteppich mit mir unternehmen wird.