Ein Leserbrief von Chris Liebing zum Thema Digital/Vinyl
Leserbrief von Chris Liebing an die Groove-Redaktion zum Roundtable-Gespräch über das Thema Analog vs. Digital.
Leserbrief von Chris Liebing
zum Thema Analog vs. Digital
"Äpfel vs. Birnen"
Euer Roundtablegespräch war insgesamt sehr interessant, aber ich hätte mir gewünscht, Ihr hättet den Kreis der Gesprächspartner um den ein oder anderen Experten erweitert, z.B. einen Vinyl Mastering Fachmann von Dubplates und Mastering, Andreas Kauffelt von der Schnittstelle oder Brian von "Sanhaji Mastering". Die hätten dann wohl auch mal ein paar Mythen und Halbwahrheiten aus der Welt geschafft, welches grade bei diesem Thema dringend notwendig gewesen wäre.
Ob man nun mit Vinyl oder Laptops spielt sollte jeder für sich selbst herausfinden, ich denke da gibt es kein "besser" oder "schlechter", es kommt nur darauf an, was man als Künstler auf der Bühne erreichen möchte und das haben Eure Gesprächsteilnehmer auch klargemacht. Was ich aber in dieser Runde gänzlich vermisst habe, war ein fundiertes Wissen über die Unterschiede von analoger und digitaler Technik. Es waren, wie eigentlich immer bei diesem Thema, nur Halbwahrheiten zu hören und es wurden Äpfel mit Birnen verglichen.
Es ist einfach unwahr, dass eine Schallplatte mehr Frequenzen als eine digitale Sound Datei wiedergeben kann und aus diesem Grund besser klingt. Im Gegenteil, grade bei den Frequenzen hat eine Schallplatte erheblichen Limitierungen. Alles unter 400 Hz wird nur Mono wiedergegeben, alles über 18 kHz und unter 50 Hz fast gar nicht mehr (nur noch mit einer Flankensteilheit mit ca. 12 dB pro Oktave).
Warum gibt es dann immer noch die landläufige Auffassung, dass Vinyl klanglich dem digitalen Format überlegen ist?
Die Ursache liegt nicht in der Digital Technik an sich, zumal man davon ausgehen muss, daß 99,9999 % aller Vinyl Veröffentlichungen im elektronischen Musikbereich sowieso irgendwann mal digital waren oder sogar nur so produziert wurden.
Es liegt an den Menschen, die diese Technik falsch nutzen. Im Gegensatz zu eurer Gesprächsrunde bin ich der Ansicht, dass die durchschnittliche Qualität der Produktionen in den letzten Jahren erheblich gelitten hat. Fragt mal in den Vinyl Schnittstudios nach, mit wie viel mehr miserablem Rohmaterial sie sich im Gegensatz zu früher herumschlagen müssen.
So werden beim Vinylmastering und -schnitt dank neuester analoger und digitaler Technik wahre Wunderdinge vollbracht. Auch damit einem der Schneidstichel bei all den Frequenzabenteuern mancher minimalen digital Produktionen nicht um die Ohren fliegt.
Kein Wunder also, dass das gemasterte Vinyl besser klingt als Ihr digitales Pendant, welches zu allem Überfluss wahrscheinlich auch noch ungemastert ins Netz gestellt wird.
Die Informationen, die bei einer hochwertigen A/D Wandlung verloren gehen sind weit weniger gravierend als die Frequenzen, die beim Vinylschnitt verschwinden, dennoch ist grade dieser Prozess für viele "schlechte" Produktionen die Rettung. Sie werden auf Vinyl wärmer klingen. Viele eckige, klirrende und hochfrequente Sounds werden abgerundet. Man sollte sich als Produzent vielleicht ein wenig mehr Gedanken über seinen Klang im Studio machen, falls man feststellt, daß die Vinylversion seiner Produktion "wärmer" und besser klingt als das Ausgangsmaterial.
Eine gute Produktion wird als gemasterte 320 kbit Mp3 Datei und guter D/A Wandlung immer besser klingen als von Vinyl abgespielt. Sie hat schon rein physikalisch gesehen mehr Dynamik und eine grössere Frequenzbandbreite.
Ich möchte hier weder ein Statement pro digital abliefern, noch mich gegen Vinyl aussprechen. Im Gegenteil, was die eigentliche Musikproduktion angeht, bin ich der Überzeugung, dass man mit einer Mischung aus gutem analogen und digitalem Equipment klanglich die besten Ergebnisse erzielt. Bei der Wiedergabe kann man aber auch sehr gut rein digital arbeiten.
Wenn ich als Produzent davon abhängig bin, dass das gemasterte Vinyl durch Tonabnehmersysteme und Gleichlaufschwankungen von Plattenspielern meine Produktion erst gut klingen lassen, dann hab ich ein Problem im Studio.
Auch denke ich, dass der Verkauf von MP3 in unserem Musikbereich in Relation zum Verkauf von Vinyl steht. Verkauft sich ein Track als Vinyl nicht, wird auch die MP3 liegen bleiben und umgekehrt. Auch schon deshalb sollten Labels weiterhin auf Vinyl setzten. Bei einer guten Kalkulation (und das muss nicht heissen, dass ich im osteuropäischen Billigpresswerk pressen muss) ist ein Break Even schon bei ca. 500 Vinyls drin.
Ich ärgere mich oft über interessante MP3s, die aber leider schlecht klingen. Entweder versuche ich sie dann selber etwas zu mastern, besorge mir die Vinyl um sie aufzunehmen oder spiele sie gar nicht erst.
Man kann nur hoffen, daß in Zukunft Labels als auch Produzenten nicht nur Ihre Vinyls mastern lassen, sondern auch Ihre digitalen Veröffentlichungen.
Chris