BDSMedizin - Schmerzwahrnehmung und -deutung im Zeitenwandel
Es imponiert immer, wenn Dinge, die in unserer Gesellschaft als vermeidungs- oder gar verabscheuungswürdig gelten und dementsprechend dann auch im Rechtssystem unserer Gesellschaft Berücksichtigung finden, anderenorts in der gleichen Gesellschaft aber völlig anders bewertet werden.Man kann heute erfolgreich die Mitarbeiter unseres Gesundheitssystems auf Schmerzensgeld verklagen, wenn man z.B. nach einer Operation Schmerzen erleiden mußte. Vor einigen Jahren wurde das noch als "zur Operation gehörig" akzeptiert und in manchen kirchlichen Häusern sogar die Meinung vertreten , dass Schmerz eine Prüfung oder gar Strafe Gottes sei.
Der Umgang mit Schmerzen ändert sich also laufend in unserer Gesellschaft; so wurden z.B. im Mittelalter Hinrichtungen besonders qualvoll vollzogen, indem man den Delinquenten unter größten Schmerzen peu á peu die Haut in Streifen abzog. Dabei beobachtete man allerdings auch, dass die Schmerzschreie nach einiger Zeit in ein "Rausch-Lachen" übergingen, was seinerzeit als finaler Beweis für die Komplizenschaft des Todeskandidaten mit dem Teufel galt.
Heute wissen wir, dass dieses Lachen auf eine überschießende, körpereigene Endorphinausschüttung zurückzuführen ist, womit sich auch dieser euphorische Rauschzustand erklären läßt.
Darüber hinaus wissen wir, dass die Schmerzwahrnehmung auch sehr stark von der ethnischen Zugehörigkeit und der sozialen Prägung beeinflußt wird. So findet es beispielsweise heute in unserer Gesellschaft viel positive Beachtung, wenn ein Mensch sich an einem Triathlon beteiligt und ohne Pause und direkt hintereinander 3,86 km schwimmt, 180 km Fahrrad fährt sowie ca. 42 km Marathon läuft und das in etwa 8,5 Stunden oder mehr. So ein Mensch schindet seinen Körper, nutzt alle Reserven und erträgt und erduldet zum Teil stärkste Schmerzen, zu die ihn niemand zwingt. Warum macht er das ?
Weil er dadurch eine Bestätigung seiner selbst, eine tiefe Befriedigung für seine erbrachte Leistung und natürlich Anerkennung erfährt. Die Schmerzen und teils auch Verletzungen, die er oft noch tagelang danach spürt, nimmt er dafür nicht nur in Kauf, sondern geben ihm auch ein nachhaltiges positives Gefühl, das er nicht missen möchte - im Gegenteil : manche werden förmlich süchtig danach.
Nun aber gibt es - vor allem hier - Menschen, die sich Schmerzen zur Auslebung ihrer Sexualität wünschen- ja brauchen. Das aber läßt sich mit der oben beschriebenen körpereigenen Endorphinausschüttung und der damit verbundenen (überschießenden) angenehmen Wirkung nicht mehr alleine erklären, das hat mit komplexen mentalen Bedürfnissen und deren Befriedigung zu tun. Dabei ist ganz wesentlich, das unser Körper sehr genau zwischen Lustschmerz auf der einen Seite und Verletzungs- oder gar Todesschmerz auf der anderen Seite unterscheiden kann.
Wenn sie allerdings ihrer Neigung nachgehen, dann können diese Menschen das nicht öffentlich tun, weil das in unserer Gesellschaft als "pervers" gilt. Dabei unterscheiden sie sich eigentlich nicht vom o.g. Triathleten, dessen Tun dann eigentlich auch als "pervers" von dieser Gesellschaft bewertet werden müßte.
Es hängt also nur davon ab, wie eine Gesellschaft aus religiösen, ethischen oder moralischen Gesichtspunkten heraus bestimmte Dinge zu einem bestimmten Zeitpunkt beurteilt bzw. bewertet.
Vor 100 Jahren zum Beispiel galten Homosexuelle als widernatürlich und somit als "pervers". Heute werden gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht nur akzeptiert, nein - sie werden sogar von staatlicher Seite den klassischen Ehen gleichgestellt und gelten somit als normal.
Und wenn der Triathlet in unserer Gesellschaft als normal und somit nicht als "pervers" gilt, dann müßte dies auch für alle gelten, die ihrer BDSM-Neigung folgen. Nur können sie nicht auf die Akzeptanz unserer Gesellschaft warten - so gesehen sind sie also ihrer Zeit voraus !
Leben tun sie aber heute ......