Überraschung beim HNO-Arzt
Es begann vor vier Wochen mit einem einfachen Schnupfen aus dem sich eine lästige Stirnhöhlenentzündung entwickelte. Der Hausarzt verordnete Hanna Amoxicilin über fünf Tage und riet ihr, einen HNO- Arzt aufzusuchen, falls sich die Beschwerden nicht bessern würden. Am Abend des ersten Tages der Antibiotikatherapie hatte die hübsche Hanna leichtes Fieber bekommen. Sie hatte sich jedoch nicht die Mühe gemacht, ihre Temperatur zu messen, da es ihr bereits ein wenig besser ging. Folgsam nahm sie jeden Tag ihr Antibiotikum. Die großen Tabletten zu schlucken fiel ihr nicht schwer. Obwohl es ihr Dank des Medikaments zunächst besser ging, wurde sie nicht so richtig gesund. Sie vereinbarte einen Termin bei Dr. Risso-Diaz, einem Freund von ihr, den sie seit über zehn Jahren kannte. Zwar hatten sie keinen engen Kontakt mit einander und liefen sich eher immer nur zufällig über den Weg, aber sie fanden einander sympathisch und das war Hanna auch bei einem Arzt wichtig.Ungeduldig saß sie im Warteraum von Dr. Risso-Diaz’ Ordination. Sie blickte in den Spiegel der gegenüber auf der Wand hing und war mit ihrem äußeren Erscheinungsbild zufrieden. Gerade weil sie krank war, wollte sie nicht unbedingt auch so aussehen. Kranksein war in Hanna's Augen nur etwas für Schwächlinge und zu dieser Sorte Menschen gehörte sie nicht. Also hatte sie sich ihren neuen, kurzen Wollrock angezogen und ein wenig Make-up aufgelegt. Trotzdem war ihr Näschen noch immer gerötet.
Da ertönte ihr Name aus den Lautsprechern. Beim Aufstehen glättete sie ihren Rock, bevor sie die Tür zum Behandlungsraum öffnete. Hinter einem großen Schreibtisch aus schwerer Eiche saß Miguel. "Hallo Hanna! Schön,dich wieder zu sehen!" Er stand auf, um sie zu begrüßen . Ihr blieb die Sprache weg. Sie hatte vergessen, wie gut er aussah. Als er sich zu ihr beugte, um ihr je ein Küsschen auf ihre Wangen zu geben,wich sie einen Schritt zurück. "Nicht dass du dich noch bei mir ansteckst." erklärte sie heiser und sah ihn schüchtern von der Seite an. Miguel ignorierte ihre Warnung und küsste sie einmal links und einmal rechts. "Mein Immunsystem ist abgehärtet" lachte er und bedeutete mit einer Handbewegung, dass Hanna ihm gegenüber Platz nehmen sollte. "Was führt dich also zu mir?" fragte er in einem professionellen Tonfall. Hanna erzählte ihm von ihren Beschwerden und dass sie bereits im vergangenen Frühjahr drei lästige Stirnhöhlenentzündungen hinter sich gebracht hatte. Während sie sprach, fiel ihr die Vitrine hinter Miguel auf. Dort befand sich eine ganz schöne Sammlung alter Spritzen aus Glas und anderer medizinischer Instrumente. Darunter war auch ein Quecksilberthermometer, mit einer knubbeligen Spitze. Das musste wohl ein Exemplar aus längster Vergangenheit sein. Aufmerksam hörte Miguel ihr zu und bat sie dann, sich auf den Untersuchgsstuhl zu setzen. „Ich wusste gar nicht, dass es beim HNO-Arzt auch einen besonderen Untersuchgsstuhl gibt“ kicherte sie unsicher und biss sich auf ihre Unterlippe. Hanna kam sich ein wenig dumm vor. Doch Miguel sah sie mit einem amüsierten Lächeln an.
Bevor Dr. Risso-Diaz seine Patientin untersuchte, desinfizierte er sich gründlich die Hände. Der beißende Geruch von Sterilium® erfüllte den Raum. Unbewusst rutschte sie unruhig auf dem Sessel hin und her. Sie ertappte sich selbst, wie sie gerade an ihrem manikürten Fingernagel kauen wollte und da fiel ihr auf, dass sie leicht nervös war. Aber warum nur? Das kannte sie von anderen Arztbesuchen doch auch nicht. Nicht einmal der jährliche Check-up beim Gynäkologen ließ sie in Verlegenheit geraten. „Du wirkst ein bisschen aufgeregt“ stellte Dr. Risso-Diaz fest und legte seine Hand auf ihre Schulter. Langsam fuhr er ihren Arm entlang bis hinunter zu ihrem Handgelenk und begann ihren Puls zu tasten. Dabei blickte er auf seine teure Armbanduhr. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Was war bloß los mit ihr? Sie fühlte sich merkwürdig. Irgendwie fand sie es aufregend und schön, dass Miguel ihre Hand hielt und dabei ganz konzentriert wirkte. „Dein Puls ist erhöht. Keine Sorge, die Untersuchung ist nicht schlimm“ versuchte er seine Patientin zu beruhigen. Er nahm das Otoskop zur Hand und schaute damit in ihre Ohren. „Alles in Ordnung.“ Dann griff er nach einem langen, dünnen Endoskop. Hanna musste einmal „A“ und einmal „I“ sagen während Miguel ihr damit in Hals sah. Das tat zwar überhaupt nicht weh, aber es fühlte sich unangenehm an. Mit demselben Gerät wurde auch noch Hannas Nase inspiziert. Während der gesamten Prozedur hatte sie es kaum gewagt zu atmen. Miguel war ihr so nah und das brachte sie durcheinander.
„War doch gar nicht so schlimm“ dachte sie sich als der HNO-Arzt sie fragte, ob sie heute schon einmal Fieber gemessen hätte. „Nein, wieso?“ antwortete sie wahrheitsgemäß. „Na dann holen wir das gleich nach. Bei der Untersuchung ist mir aufgefallen, dass du dich warm anfühlst und deine Augen glasig sind“ erklärte er und griff in eine Lade. Er brachte ein modernes Ohrthermometer zum Vorschein. Für Hanna ein notwendiges Übel. Irgendwie mochte sie das Temperaturmessen nicht. Es war ihr unangenehm, auch mit einem Ohrthermometer. Doch sie machte keine Anstalten, sich zu sträuben. Nachdem er es mit einer Schutzkappe versehen hatte, steckte er es ihr ins linke Ohr und drückte auf den kleinen Knopf. Nichts passierte. Er probierte es noch einmal. Wieder nichts. Erleichtert atmete sie auf. „Da sind wohl die Batterien leer“ vermutete er und begann in der Lade, aus der er das Thermometer genommen hatte, nach Neuen zu suchen. „Zum Glück habe ich noch zwei Ersatzbatterien hier drinnen gefunden“ sagte er. „Sonst hätten wir wohl auf dieses alte Ding zurückgreifen müssen“ scherzte er mit einem verschmitzen Lächeln im Gesicht und deutete auf das Quecksilberthermometer in der Vitrine hinter ihm. „Das wäre doch nicht weiter schlimm gewesen, es hätte nur viel länger gedauert“ antwortete Hanna und versuchte so ihr Unbehagen zu überspielen. „Naja, wer weiß, wer das schon aller vor mir im Mund gehabt hat“ überlegte sie und verzog dabei ihr Gesicht. Miguel musste unwillkürlich grinsen. „Das ist ein Rektalthermometer“ erklärte er und wartete gespannt ihre Reaktion ab. Sie erwiderte zunächst nichts, aber sie spürte wie sich ihre Wangen röteten. Inzwischen hatte er die Batterien gewechselt und steckte ihr das Thermometer erneut ins Ohr. Diesmal ertönte ein kurzes „Piep“. „38,3 °C“ las er ab und fragte sich dabei insgeheim, ob Hannas Apfelbäckchen vom Fieber oder von den Gedanken an das Rektalthermometer kamen. „Hmm, du nimmst das Amoxicilin doch bereits seit vier Tagen, richtig?“. Hanna nickte. „Da solltest du eigentlich kein Fieber mehr haben. Warst du in den letzten Tagen fieberfrei?“ Zu ihrer Schande musste sie gestehen, dass sie kein einziges Mal gemessen hatte. Für den Augenblick ignorierte er die Tatsache, dass seine hübsche Patientin so nachlässig war und stellte ihr ein neues Rezept für ein Antibiotikum aus. Das sollte sie auf jeden Fall länger als fünf Tage einnenhmen. Hanna nahm das Rezept entgegen und wollte schon aufstehen und gehen.
Doch Miguel hielt sie davon ab. „Nicht so schnell, wir sind noch nicht fertig. Das ist heuer bereits deine vierte Sinusitis und wir haben erst Anfang November. Ich würde gern dein Immunsystem ein wenig unterstützen, sonst sehen wir uns einmal pro Woche bis zum nächsten April.“ fuhr er fort. Obwohl sie es eigentlich gar nicht so störend fände, Miguel jede Woche zu sehen, wollte sie natürlich nicht so lange krank bleiben. „Was schlägst du also vor?“ wollte sie von ihm wissen. „Ich würde dir gerne Vitamin B und Vitamin C verabreichen“ fing er an. Sie ließ ihn gar nicht weiter reden, sondern fiel ihm ins Wort: „ich nehme doch schon Vitamintabletten, aber die scheinen nicht viel zu helfen.“ „Offensichtlich“ bestätigte er. „Deswegen möchte ich dir ja auch Vitamin B-Spritzen und Cevitol®-Infusionen verschreiben. Ich stelle mir da eine dreiwöchige Intensivtherapie vor.“ beendete er seinen Vorschlag...